Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE WALKÜRE
(Diverse Komponisten)
Besuch am
8. Juli 2022
(Premiere am 7. Dezember 2013)
Nach dem erfolgreichen Auftakt mit dem Rheingold als Vorabend des Ring des Nibelungen im Rahmen des Festivals Wagner22 geht es am nächsten Tag weiter mit der Walküre. Wie schon am Vorabend sind es die Sänger, die teilweise mit überragenden Leistungen für die großen Momente sorgen, dazu ein fantastisch aufgelegtes Gewandhausorchester und am Pult ein in sich ruhender Ulf Schirmer, der die letzten Wagner-Aufführungen seiner Amtszeit als GMD und Intendant zu genießen weiß. Interessant dabei ist zu beobachten, wie sich Jahre nach der Premiere vor allem die Rolle des Wotan und der Brünnhilde gewandelt haben, wenn die Sängerdarsteller frei von Regiezwängen und Premierendruck ihre eigene Persönlichkeit und ihr Rollenverständnis mit einbringen. Das mag vielleicht nicht immer im Sinne der Originalregie sein, aber durch diese kleinen Freiheiten hat die Inszenierung sowohl an Dynamik als auch an Spannung gewonnen. Dazu später mehr.
Wie schon im Rheingold inszeniert Rosamund Gilmore den ersten Abend der Tetralogie, und sie setzt ihr erfolgreiches Konzept fort und erzählt die Walküre in zwei Handlungsebenen, die psychologisch eng miteinander verflochten sind. War ihr Rheingold der Übergangsmoment vom archaischen, zeitlosen Mythos in die Geschichte zu dem Zeitpunkt, in dem die Hoffnung auf die Zukunft gerichtet ist, so wird schon in der Walküre deutlich, dass das Ende der Götter bevorsteht. Es ist nach dem Drama der Lieblosigkeit, des Neides und der Gier im Rheingold das Drama der Liebe und der psychologischen Beziehungsgeflechte. Da ist der Vater-Tochter-Konflikt zwischen Wotan und Brünnhilde, der Ehezwist zwischen Wotan und Fricka, der letztendlich zum Tode seines Sohnes Siegmunds führen wird, und natürlich die stürmische inzestuöse Geschwisterliebe zwischen Siegmund und Sieglinde. Diese drei Beziehungen sind miteinander verwoben und verflochten und bedingen die zutiefst menschlichen Agitationen in der Walküre. Zentralfigur ist Wotan, der nach dem Konflikt mit seiner Gattin Fricka, den er verliert, resignierend auf das Ende wartet. Da ist kein blasierter Stolz mehr wie noch im Rheingold, sondern reine Verzweiflung. Nicht nur, dass er seinen Sohn Siegmund opfern muss, er verliert auch seine Lieblingstochter Brünnhilde, weil er ein Gefangener seiner eigenen Verträge und Anordnungen ist. Und aus dieser Erkenntnis: „… Ich, der unfreieste Aller“ entsteht eine Wut in Wotan, die an Selbstzerstörung grenzt und auch vor seiner Tochter Brünnhilde nicht Halt macht. Wotan tobt und brüllt, sein letztes Wort zu Hunding: „Geh!“ ist von derartiger Intensität, dass nicht nur der bärenstarke Hunding tot umfällt, auch im Zuschauerraum wird es ganz still. Diese Aura springt auf das Publikum über. Und wenn Brünnhilde zaghaft versucht, ihn daran zu erinnern, dass er einst für Siegmund das Schwert in den Eschenstamm gerammt hatte, dann schleudert Wotan ihr in unbändiger Wut im höchsten fortissimo zurück: „… und das ich ihm in Stücke schlug!“ Thomas J. Mayer gestaltet die Partie des Wotan in einer derartigen Intensität, dass man fast Angst bekommt. Einen derart rasenden Wotan sieht man ganz selten auf der Bühne, und zwar ohne Einbußen der stimmlichen und gesanglichen Qualitäten. Und so muss der große Höhepunkt des Werkes, Wotans Abschied von Brünnhilde, anders aussehen als bei der Premiere damals vor knapp neun Jahren. Der Premieren-Wotan des Markus Marquardt war gebrochen, voller Schmerz und Selbstmitleid. Im Abschied von Brünnhilde zeigte sich dieser ganze Schmerz in einer einzigen Geste. Brünnhilde versuchte, Wotan zu umarmen, doch er konnte diese letzte, innige Berührung nicht zulassen, und lehnte dann doch sein Haupt an ihr Gesicht. Dieser stille Moment des Innehaltens, damals auch großartig begleitet vom Gewandhausorchester, war der größte und emotionalste Moment in einer bis dato spannenden und abwechslungsreichen Geschichte. Doch Meyer, dessen wütende und zornige Wotan-Darstellung auch durch die emotionale Gestik und durch den fast schon lyrisch schönen Gesang von Allison Oakes als Brünnhilde etwas besänftigt wird, drückt sie ganz fest an sich. Für einen Moment glaubt man, er wird sie nie wieder loslassen und die Strafe zurücknehmen. Wenn er „die Gottheit von ihr küsst“, dann ist das einer der stärksten Momente der Aufführung mit ganz viel Gänsehaut. Doch dann kommt der Grimm wieder in ihm durch, und herrisch weist er seine Lieblingstochter an, sich auf den Felsen zu legen, damit Loge den Feuerzauber entfachen kann. Dieselbe Inszenierung, zwei völlig unterschiedliche Darstellungen des Wotan und des Beziehungsdramas zu seiner Tochter, und beides funktioniert! Das ist das schöne bei Wagner, dass man vor allem in der Personenregie oder der frei gewählten Interpretation des Darstellers immer wieder neue Facetten entdeckt.
Foto © Tom Schulze
Leider funktioniert das nicht stringent über die ganze Aufführung. Gilmore bleibt ihrem choreografischen Erzählstil, der aus dem Rheingold schon bekannt ist, treu, und wird dadurch auch vorhersehbarer, was der Spannung aber keinen Abbruch tut. So begleiten, großartig dargestellt, Wotans Raben, Frickas Widder und Siegmunds Wölfe den Handlungsstrang. Sie sind stille Beobachter, ohne ins Handlungsgeschehen einzugreifen, und sind doch omnipräsent. Sogar Brünnhildes Pferd Grane wird rührend durch den Tänzer Ziv Frenkel personifiziert, und auch die gefallenen Helden in Walhall dürfen mitspielen, auch wenn deren Choreografie nicht immer nachvollziehbar ist. Angesiedelt von der Ausstattung und den Kostümen spielt die Walküre zum Ende des 19. Jahrhunderts, konzeptionell also nach Wagners Tod. Interessant ist die Figur Frickas, die optisch einer jungen Cosima von Bülow ähnelt, die ihren Göttergatten klar in die Knie zwingt. Ob die Ähnlichkeit gewollt ist oder Zufall, dramaturgisch macht es durchaus Sinn. Siegmund und Sieglinde, das liebende Geschwisterpaar, bleiben spielerisch eher blass, weil Gilmore ihre Interaktion doch sehr statisch anlegt. Überhaupt ist wenig Bewegung im Spiel, es ist mehr die Kraft des Ausdruckes, des Blickes, der kleinen Gesten, die berühren.
Dass Siegmund am Schluss des zweiten Aufzuges von Hunding erschossen wird, steht zwar nicht in Wagners Regieanweisung, passt aber durchaus in das Gesamtkonzept einer bildreichen Sprache. Ansonsten ist Gilmore eine enge Werktreue zu attestieren, zum finalen Feuerzauber mit ordentlicher Pyrotechnik darf Loge höchst persönlich erscheinen und den Feuerkreis um Brünnhildes Felsen ziehen. Carl Friedrich Oberle hat wieder die Bühnenbilder geschaffen. Im ersten Aufzug ähnelt Hundings Hütte einem offenen Betonbunker mit Stacheldrahtverhau auf dem Dach, dessen Rückwand sich passend zu Siegmunds Winterstürme wichen dem Wonnemond … öffnet. Im zweiten Aufzug setzt er sein Walhalla-Bild aus dem Rheingold fort, doch wirkt die Götterbehausung schon baufällig, ja ruinös. Im zweiten Bild des Aufzuges bleiben nur die Seitenwände stehen, und das Geschwisterpaar erscheint aus einem zerklüfteten Hintergrund. Im dritten Aufzug dominiert ein zentraler Stahlblock, der Walkürenfelsen, um den mehr als 200 Paar weiße Stiefel als Symbol der gefallenen Helden stehen, die nach Walhall durften. Das erinnert fatal an amerikanische Heldendenkmäler, wo Veteranen ihre Stiefel zur Erinnerung an ihre gefallenen Kameraden drapieren. Ein schon fast einstürzender Bau mit großen Bogenfenstern scheint Walhalls Rückfront zu sein, hier dürfen sich am Schluss die Walküren aufreihen. Die Kostüme von Nicola Reichert sind nicht spektakulär, eher bieder, ganz im Stile des ausklingenden 19. Jahrhundert. Die Walküren in ihrem Amazonenoutfit sind dagegen ein echter Hingucker. Erwähnenswert auch wieder die Lichtregie von Michael Röger, die auf den Punkt gesetzt stimmungsvoll die Musik untermalt.
Mit Robert Dean Smith als Siegmund kommt nun ein Sängerdarsteller auf die Bühne, der in etwa das genaue Gegenteil einer Bühnenpräsenz von Thomas J. Meyer als Wotan oder auch Tobias Kehrer als Hunding ausstrahlt. Smith, mittlerweile 66 Jahre alt, schleppt sich statisch über die Bühne. Das ist kein junger Rebell, der der Todesverkündigung trotzt und mit einem Streich Sieglinde gewinnt und entführt. Smith wirkt optisch wie ein gebrochener, alter Mann, dem alle Bewegungen schwerfallen, der sich daher auch kaum bewegt, was bei seiner Körpermasse auch nicht ganz einfach ist. Smith ist sicher einer der ganz großen Wagner-Sänger, dessen Bayreuth-Debüt als Walther von Stolzing in den Meistersingern von Nürnberg nun auch schon ein Vierteljahrhundert zurück liegt und der über zwei Jahrzehnte alle Heldentenorrollen mitgeprägt hat. Er verfügt immer noch über eine schöne baritonale Mittellage, die in den lyrischen Stellen immer noch wunderbar erklingt. Doch die dramatischen Höhen eines Heldentenors kann er nicht mehr mit diesem Stahl und dem leuchtenden Glanz singen, der ihn einst so auszeichnete. Zwar hält er den Atem bei den beiden Wälserufen eine gefühlte Ewigkeit, doch am Schluss wird die Stimme brüchig und droht wegzukippen. Das ist aber auch nicht verwunderlich, denn der biologische Alterungsprozess macht auch vor dem Kehlkopf und den Stimmbändern keinen Halt, was aber viele Sänger gerne negieren, brauchen sie doch den Applaus auf der Bühne wie die Luft zum Atmen. So ist sein Auftritt stimmlich ein Ritt auf der Rasierklinge. Er erhält zum Ende des zweiten Aufzuges zwar großen und respektvollen Applaus, aber es ist naturgemäß nicht der Jubel, der über die verbleibenden Sänger am Schluss hereinbrechen wird.
Foto © Tom Schulze
Musikalisch ist es der Abend des Gewandhausorchesters und von vier großen Sängerdarstellern. Allison Oakes als Brünnhilde überzeugt mit leuchtenden Höhen und einer Stimme, die eher jugendlich-dramatisch als hochdramatisch klingt, was ihrer Rollenanlage aber entgegenkommt. Und immer wieder erzeugt sie leise Piano-Töne und beweist damit, wie differenziert und lyrisch man diese Partie anlegen kann. Bewegend die finale Szene, wo sie Wotans Wut mildern will. Elisabet Strid als Sieglinde verfügt schon über die Erfahrung als Brünnhilde im Siegfried. Mit sicheren, klaren Höhen und einer warmen Mittellage setzt sie deutliche Akzente, ihre dramatischen Ausbrüche sind höhensicher und ohne Brüche. Und so ist ihre Stimmlage fast kompatibel mit der von Allison Oakes, was in der Szene „O hehrstes Wunder“ im dritten Aufzug zu einer so noch nie gehörten Stimmenharmonie der Halbschwestern und Töchter Wotans führt.
Ganz groß an diesem Abend der Auftritt von Thomas J. Meyer als Wotan. Neben der schon beschriebenen explosiven Bühnenpräsenz verkörpert er mit ausdrucksstarkem und textverständlichem Bariton, mit kraftvollen Ausbrüchen und sicheren Höhen den herrischen wütenden Gott, dessen Einsamkeit im langen Monolog des zweiten Aufzugs deutlich wird. Sein „Leb wohl, du kühnes herrliches Kind“ ist einer der großartigsten Momente an diesem Abend. Er wird in diesem Sommer kurzfristig in Bayreuth die Partie des Fliegenden Holländers von John Lundgren übernehmen. Tobias Kehrer überzeugt als finsterer Hunding mit markant schwarzem Bass und aggressivem Habitus und ebenfalls physisch starker Bühnenpräsenz. Kathrin Göring ist in den letzten Jahren zu einer großen Wagner- und Strauss-Interpretin in ihrem Fach gereift. Mit ihrem mittlerweile dramatischen Mezzosopran und großer Ausdrucksstärke sowie einem starken Bühnenauftritt entspricht sie dem Idealbild einer Fricka. Die Walküren harmonieren stimmlich leider nicht gut miteinander, da ist etwas Disharmonie und einige schrille Töne in diesem Oktett, aus dem Ines Lex als Gerhilde und Maren Engelhardt als Waltraute herausragen.
Das Gewandhausorchester überzeugt an diesem Abend erneut durch eine beeindruckende Klangmalerei und durch ein farbenreiches und nuanciertes Spiel. Düster und wuchtig erklingt das Vorspiel zum ersten Aufzug, der peitschende Sturm tobt quasi aus dem Orchestergraben, aber er legt sich auch wieder, und immer wieder gibt es Momente, die fast kammermusikalisch klingen, insbesondere in den großen Cello-Passagen. Schirmer am Pult arbeitet die Leitmotive und die großen Orchesterszenen klar heraus, nimmt das Orchester aber immer wieder zurück, geht ins Piano und begleitet sehr sängerfreundlich. Das Tempo ist insgesamt mäßig moderat, mit gelegentlichen schnellen Anzügen und expressiven Ausbrüchen. Am Schluss gibt es großen Jubel und minutenlangen Beifall und Bravi-Rufe, und der Jubel kennt bei Thomas J. Meyer, Allison Oakes und Elisabet Strid keine Grenzen. Auch ein glücklich und gelöst wirkender Ulf Schirmer und das Gewandhausorchester dürfen die verdienten Ovationen entgegennehmen. Und schon steigt die Vorfreude auf den Siegfried, in dem der Rheingold-Wotan Michael Volle als Wanderer auf die Bühne zurückkehren wird, wo Daniela Köhler kurz vor ihrem Bayreuth-Debüt als Siegfried-Brünnhilde im neuen Ring diese Partie in Leipzig gestaltet, und mit Stephen Gould, dem „Ironman“ aus Bayreuth, in der Titelpartie.
Andreas H. Hölscher