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Es war einmal. So fangen Märchen an. In ähnlicher Weise beginnen heute Geschichten, die in Erinnerung rufen, was noch vor wenigen Jahren in der westlichen Welt als normal angesehen wurde: Eine Zukunft, wenn auch nicht strahlend, jedoch ein lichter Hoffnungsschimmer von Wohlstand und Freiheit. Es ist anders gekommen. Dunkle Wolken sind aufgezogen.
Das Heilsversprechen einer globalisierten, friedlichen Weltgemeinschaft? Spätestens seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine: passé. Die Grenzen des Wachstums – weithin negiert. Alles zurück auf Anfang …
Es war einmal. Albert Lortzing erfährt in der ersten Hälfte des 19.Jahrhhunderts, dass berufliche Zukunftsversprechen nicht zuverlässig und selbstverständlich sein müssen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Opernkomponist verliert er unmittelbar nach der Premiere von Undine 1845 am Stadttheater Magdeburg seine Kapellmeister-Position nach zwölf Jahren in Leipzig. Eine prekäre Erfahrung, die nicht wenige Menschen heute mit ihm teilen.
Foto © Kirsten Nijhof
Es liegt von daher durchaus nahe, Lortzings Oper aus ihrem Tiefschlaf zu wecken. Die Undine-Mythologie tut ihr Übriges. Von heftigem Unwetter in einem dunklen Wald überrascht, findet der Ritter Hugo mit seinem Knappen Veit Zuflucht in einer Fischerhütte. Katastrophische Szenarien – sintflutartige Überschwemmungen sowie Hitze- und Dürreperioden weltweit, Hochwassernotstand im Ahrtal gleich um die Ecke – sind inzwischen Teil einer unmittelbar spürbaren Wirklichkeit.
Lortzings Undine zu reanimieren, sie auf den Spielplan zu setzen, besitzt deshalb auf den ersten Blick durchaus einen Reiz. Hat jedoch, wie die Inszenierung von Tilmann Köhler an der Oper Leipzig zeigt, auch ihre Tücken. Die Verführung, zeitgenössischen Assoziationen unbedingt zu folgen, kann lauernde Fallstricke und auch eine gewisse Fallhöhe aus dem perspektivischen Blick verlieren. Unweigerlich schieben sich Zweifel in den Vordergrund: Finden sich heute noch irgendwo rettende Fischerhütten? Wenn ja, für wen? Für alle wohl kaum.
Lortzing verbindet sein selbst verfasstes Libretto – eine inkonsistente Textvorlage wie die vieler anderer – zu einer Spieloper mit gesprochenen Dialogen und Gesang. Die Leipziger Premierenaufführung beantwortet relativ eindeutig, warum Undine kaum noch gespielt wird. Lortzings künstlerischer Anspruch, Sprechen und Singen komplex als eine neuartige Opernform zu entwickeln, geht nicht wirklich auf. Wenig geschmeidige, mitunter geradezu hölzern formulierte Textfragmente verhindern, aufs Ganze gesehen, ein narratives und musikalisches (Zusammen-)Fließen.
Diese Bruchstellen kann in Köhlers Inszenierung der von Thomas Eitler-de Lint gut eingestellte, in den Stimmgruppen flexibel tönende Chor der Oper Leipzig teilweise abmindern. Die Sprechkultur der Solisten lässt dagegen oft zu wünschen übrig. Ein Lehrbeispiel dafür, dass ein schauspielernder Sänger, der es versteht, ausdrucksvoll zu artikulieren, nicht der Regelfall ist.
Olga Jelinková leiht der Undine einen nicht durchgängig verlässlich stabilen Sopran in den Zwischenlagen. In den Dialogen verhuscht ihre Artikulation. Im Unterschied zu ihr überzeichnet Dan Karlström den Veit mit lärmender Lauterkeit. Nonchalant in den Textpassagen, überzeichnet im Gesang. Matthias Stier sattelt den Ritter Hugo mit kräftiger Hand. Dass er sich bei der einen oder anderen Stimmhöhe versteigt, kann passieren. Sich mit sprachlich mokanter Ironie ins sichere Überzeugungsgefilde zu retten, kann nur teilweise überzeugen. Dem Bass Peter Dolinšeks fällt es da wesentlich leichter, mit dem Trinklied-Gestus Füllt die Pokale beide Darstellungsebenen miteinander zu verbinden.
Macher und Hauptfigur in Lortzings Spieloper ist nicht nur per se dramaturgisch Kühleborn, Undines Vater und Strippenzieher aus der Wasserunterwelt. Mathias Hausmanns Bariton charakterisiert ihn mit ganzheitlicher Überzeugung – die nachhaltigste Gestaltung dieser Aufführung in der Figur eines Manipulators, der Undines Schicksal seinem Willen unterwirft. Sind die seelenvollen Menschen bessere Wesen als die seelenlosen der Wassergeister? Im romantisch pantheistischen Geist von Friedrich de la Motte-Fouqué bleibt offen, ob es eine solche Seele überhaupt gibt. Ist sie nur ein Wahn?
Köhler inszeniert ein Staunen darüber, was aus den Menschen nicht alles werden kann. Zwiespältig schwankend zwischen dem Märchenhaften und einer nachvollziehbaren Wirklichkeit, kostümiert Susanne Uhl in einer Mischung aus Ritterschwank und vertrautem Alltags-Look: Poesie des Alltäglichen. Die ins Komische überdrehten szenisch prägnanten Tiroler Jagdfeder-Hüte des Chores sind passgenaue Reflexionsebenen. Das märchenhaft Groteske, gespiegelt in der Bühne von Karoly Risz, imaginiert mit aufwändiger Technik in Form von optisch imponierenden Bühnenwellen Raum, um Lortzings philosophisch intendierte Geschichte von Macht und Anpassung doppelbödig zu erzählen.
Wo der Meineid nimmer wohnt, wo nur ew’ger Friede thront! Ein betörender Schwanengesang, der von Kühleborn ungehört verklingt. Eine Hoffnung, die nicht nur Undines Traum von einem seelenvollen, von Liebe zu Hugo bestimmten, auf Dauer mit ihm geteilten Leben zunichtemacht. Hugo muss sterben. Undine kehrt unerlöst zurück zu den ihren. Bertalda, Olena Takars Sopran bleibt im Findungsmodus, Kühleborns vorgetäuschte Prinzessin als Manipulationsopfer, bleibt ihrem Schicksal im Nirgendwo überlassen. Alle sind seelenlose Verlierer.
Am Ende viel Beifall für die Solisten, den Chor und das von Christoph Gedschold mit geschmeidigem Gestus durch die Höhen und Tiefen geleitete Gewandhausorchester Leipzig. Große Teile des Premierenpublikums haben Lortzings Spieloper in der Oper Leipzig als Applausoper gefeiert. Köhlers Regieteam wird davon ausgenommen. Mit deutlichen, nicht zu überhörenden Buhrufen wird es in die Premierenfeier entlassen.
Peter E. Rytz