O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Tom Schulze

Aktuelle Aufführungen

Doppelter Fluch

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)

Besuch am
7. Juli 2022
(Premiere am 4. Mai 2013)

 

Oper Leipzig

Das Festival Wagner22 strebt mit der Aufführung des Ring des Nibelungen seinem Höhepunkt zu, bevor in einer Woche der Parsifal das Festival zum Abschluss bringen wird. Alle dreizehn Bühnenwerke Wagners, also einschließlich seiner drei Frühwerke, die nicht im Bayreuther Festspielhaus zur Aufführung kommen, stehen in chronologischer Reihenfolge auf dem Plan. Und nun Wagners großes Epos, der Ring, an vier Abenden hintereinander, auch das gibt es nicht in Bayreuth. Für das Ensemble, vor allem aber für das Gewandhausorchester und seinem GMD Ulf Schirmer ist das noch einmal ein Marathon. Richard Wagners großes Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen ist eng mit seiner Geburtsstadt Leipzig verbunden. So fand hier 1878/79 die erste szenische Aufführung des Rings außerhalb von Bayreuth statt, und bevor im Zeitraum von 2013 bis 2016 die jetzige Produktion erstmalig zur Aufführung kam, hatte letztmalig der Ring in Leipzig von 1973 bis 1976 Premiere, eine epochale Inszenierung von Joachim Herz, die als sogenannter Jahrhundertring in Konkurrenz stand zu Patrice Chéreaus gleichnamiger, legendärer Bayreuther Inszenierung. Genau 40 Jahre später, kurz vor den Feierlichkeiten zu Wagners 200. Geburtstag am 22. Mai 2013, hob sich wieder der Vorhang zum Vorabend der Tetralogie, dem Rheingold. Und mit dieser Premiere begann auch das ambitionierte Leipziger Ring-Projekt, das in den folgenden drei Jahren die weiteren Werke vorsah und 2016 mit der Premiere der Götterdämmerung seinen krönenden Abschluss fand.

Foto © Tom Schulze

Im Rheingold werden früh die zentralen Themen des Gesamtwerkes angesprochen. Liebe und Macht schließen sich aus, das ist die Erkenntnis, die am Anfang des Zyklus’ steht. Und musikalisch ist es das tiefe „Es“ der Streicher, das zurückführt zur Geburt der Welt, zum idealtypischen Urzustand. Doch mit Alberichs Raub des Rheingolds und seinem fatalen Fluch, Wotans größenwahnsinniger Idee einer Götterburg als Symbol längst verlorener Autorität, der Überlistung Alberichs durch Loge und schließlich Fafners Brudermord an Fasolt entwickelt sich ein Handlungsstrang, der unweigerlich zum Ende führt und auch durch Erda nicht mehr beeinflussbar ist. Im Grunde genommen sind es zwei Kernaussagen, die das Schicksal bestimmen und das Ende, die Götterdämmerung, schon am Vorabend determinieren. Zunächst entsagt Alberich der Liebe, was ihm überhaupt erst ermöglicht, das Rheingold an sich zu reißen. Der neu erschaffene Ring, der ihm unendliche Macht verleiht und den er an Wotan abtreten muss, wird Gegenstand seines Fluches, der sich schon bald im Brudermord Fafners an Fasolt auswirken sollte. Ja, wären die Rheintöchter doch nicht so gemein gewesen zu Alberich, dann hätte er der Liebe nicht entsagen müssen, hätte … hätte … hätte. Aber dann gäbe es auch keinen vier Abende dauernden Ring-Zyklus, der die Menschheit seit seiner Uraufführung 1876 in Bayreuth bewegt und zu immer neuen Interpretationen und Diskussionen führt, wie kein anderes Musikdrama in der Opernliteratur.

Den aktuellen Leipziger Ring inszenierte Rosamund Gilmore, die sich erstmalig mit dem Werk in Leipzig beschäftigte. Gilmore wollte sich frei machen von den vielen Interpretationsversuchen des Werkes in den letzten Jahrzehnten, sie wollte eine Geschichte erzählen, in der das menschliche, aber auch das psychologische Element im Vordergrund stehen. Ihre Götter sind Menschen mit göttlichen Accessoires, durchaus archetypisch, aber fehlbar und beeinflussbar. Und sie möchte die komödiantischen Elemente, die es im Rheingold ja durchaus gibt, den zerstörerischen Handlungen gegenüberstellen. Ihre Darstellung ist der Übergangsmoment vom archaischen, zeitlosen Mythos in die Geschichte zu dem Zeitpunkt, in dem die Hoffnung auf die Zukunft gerichtet ist. Angesiedelt von der Ausstattung und den Kostümen ist das Rheingold in der Zeit seiner Entstehungsgeschichte, also zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, doch das Konzept ist zeitgeschichtlich nach vorne gerichtet, und die Götterdämmerung wird dann in der aktuellen Gegenwart spielen. Gilmore bedient sich in ihrer Erzählung eines choreografischen Ansatzes und hält sich dabei sehr dicht an den Text. Elf Tänzer, auch als mythische Elemente bezeichnet, sind omnipräsent auf der Bühne und illustrieren, beobachten und begleiten das Geschehen und sind der zentrale Mittelpunkt der Inszenierung. Sie sind Helfershelfer der Protagonisten, stellen in der Verwandlungsszene im dritten Bild Riesenwurm und Kröte dar, sind die geknechteten Nibelungen, erscheinen als Wotans Raben oder als Nornen in der Erda-Szene, ein gelungener Verweis auf die drohende Götterdämmerung, und bewegen während der offenen Wechsel zwischen den einzelnen Bildern grazil die wenigen Requisiten hin und her. Ihre elastischen Körperhüllen lassen viel Spielraum für Verwandlung, Fantasie und Mythos zu. Gilmore, die über eine klassische Ballettausbildung verfügt, hat die Choreografie ganz der Musik untergeordnet. Die wogende Welle, das Charakteristikum im Rheingold, wird von den Tänzern aufgenommen und setzt sich über das gesamte Werk fort.

Die Götter werden in ihrer Erzählung als blasierte, marode Gesellschaft dargestellt, hinter deren mythischer Fassade menschliche Eigenschaften zum Vorschein kommen: Liebe und Hass,    Neid, Gier und Machthunger. So erinnert Wotans erster Auftritt eher an einen römischen Imperator, der sich selbstverliebt und eitel in seinem Glanze sonnt, während seine Gemahlin als Grande Dame auftritt und unwillkürlich Assoziationen an Cosima Wagner hervorruft. Freia ist ein naives Püppchen, Froh und Donner sind arrogant wirkende Nebenfiguren, die nicht wirklich ins Geschehen eingreifen können. Ganz anders Loge, der Strippenzieher, der mit intrigantem Spiel das Heft des Handelns in der Hand hält und der Außenseiter ist, von den Göttern mehr geduldet als akzeptiert. Wotan aber verwandelt sich im Laufe des Geschehens, er spürt um seine wankende Macht. Genial ist die Erda-Szene. Erda erscheint mit den seilspinnenden Nornen, die schon auf die bevorstehende Götterdämmerung hinweisen. Auch auf der anderen mythischen Ebene gibt es bunte Kontraste. So geizen die Rheintöchter nicht mit ihren optischen Reizen und bringen Alberich, den lüsternen und notgeilen Chef der Nibelungen mit lasziven Gesten fast um den Verstand. Seine Entsagung der Liebe und der Raub des Goldes verwandelt die Komödie in ein Drama, an dessen Ende der Untergang der Götter und die Hoffnung auf eine neue Welt stehen. Rosamund Gilmore schafft es in diesen knapp zweieinhalb Stunden, die Geschichte spannend und intensiv zu erzählen, ohne dramaturgische Brüche und ohne belehrenden Zeigefinger, und dabei ganz dicht am Werk.

Unterstützt wird sie dabei durch Carl Friedrich Oberle, der für das Rheingold einen einzigen Bühnenraum geschaffen hat. Passend zum Erzählstil symbolisiert dieser Raum den Übergang der Zeit. Im Mittelpunkt stehen ein großes Treppenhaus, das die Zeit des Transits markiert, ein großes Becken in der Mitte, im ersten Bild mit Wasser gefüllt und dann wie eine Bühne auf der Bühne die Handlungsabläufe zentralisiert; sowie ein großer Bogen, der durch unterschiedliche Beleuchtung die verschiedenen Ebenen und Beziehungen charakterisiert und sich zum Einzug der Götter in Walhall am Schluss in einen leuchtenden Regenbogen verwandelt. Hier hat die Lichtregie von Michael Röger ihren ganz großen Moment. Die Kostüme von Nicola Reichert sind fantasievoll an die Entstehungsgeschichte des Werkes adaptiert und verleihen den einzelnen Figuren ihren besonderen, individuellen Charakter.

Foto © Tom Schulze

Das gesamte Ensemble übernimmt den Erzählstil Gilmores und bewegt sich mit großer Spielfreude und Intensität. Und musikalisch offenbart der Abend ganz starke Momente. Allen voran Michael Volle in der Rolle des Wotan. Er war der überragende Hans Sachs in der genialen Bayreuther Meistersinger-Inszenierung von Barrie Kosky, und er ist jetzt der überragende Wotan. Mit kraftvollem Helden-Bariton und aggressivem Spiel dominiert er die Aufführung, und er reiht sich ein in die Riege der ganz Großen, die der Partie ihren Stempel aufgedrückt haben. Ein begeisternder Auftritt, der am Schluss vom Publikum zu Recht bejubelt wird. Man darf sich schon jetzt auf den Siegfried freuen, wenn Volle als Wanderer wieder auf der Bühne stehen wird. Der zweite Ausnahmesänger ist Thomas Mohr als Loge. In den zurückliegenden Jahren hat er in dieser Ring-Produktion auch beide Siegfried-Rollen überragend gestaltet, und mit seinem in dieser Partie etwas zurückgenommenen Heldentenor und seiner sprühenden Spielfreude ist er sängerisch und spielerisch ein weiterer Hauptakteur der Aufführung und hat mit seiner musikalischen Interpretation der Figur Maßstäbe gesetzt. Ein überragendes Hausdebüt feiert Werner van Mechelen als Alberich. Sein markanter Bass-Bariton ist geprägt von Durchschlagskraft und sehr textverständlicher Deklamation. Sein Fluch zu Beginn des vierten Bildes, tief durchdringend, ist einer der musikalischen Höhepunkte des Abends. Sein Spiel, zunächst komödiantisch hinter den Rheintöchtern gierend, dann abgrundtief böse als Nibelungenfürst, zeigt alle schauspielerischen Facetten, die die Rolle fordert. Auch Dan Karlström als Mime überzeugt einmal mehr als Charaktertenor mit dynamischem Spiel.

Kathrin Göring gestaltet ihre Partie als elegante Gemahlin Fricka mit Grande-Dame-Attitüde und dramatischem Mezzosopran. Ihr großer Auftritt kommt am zweiten Abend in der Walküre, auf den man sich ebenfalls schon freuen darf.

Anooshah Golesorkhi gibt den Donner mit derart kräftigem Bariton, dass er seinem Rollennamen alle Ehre macht. Sven Hjörleifsson als Froh verfügt über einen schönen jugendlich-dramatischen Tenor, doch wie auch bei Golesorkhi ist es der harte Akzent, der den Gesamteindruck etwas trübt. Gabriela Scherer gibt die Freia mit schönfärbendem, jugendlich-dramatischem Sopran. Friedemann Röhlig singt den Fasolt mit fast balsamischem Bass und sehr sauberer Deklamation und verleiht dem verliebten Riesen dadurch eine schon fast menschliche Note, während Taras Shtonda stimmgewaltig seinen schwarzen Bass als Brudermörder Fafner erklingen lässt. Differenziert und mit ausdrucksvollem, warmem Mezzosopran  singt Marina Prudenskaya die Partie der Erda. Olga Jelinková als Woglinde mit etwas starkem Vibrato in der Stimme, Sandra Maxheimer als Wellgunde und Sandra Fechner, für die erkrankte Sandra Janke als Flosshilde eingesprungen, harmonieren stimmlich und spielerisch als verführerisches Rheintöchter-Trio.

Das Gewandhausorchester begeistert durch eine beeindruckende Klangmalerei und ein farbenreiches und nuanciertes Spiel. Dunkel und düster erklingt der Es-Dur Akkord zu Beginn aus dem Orchestergraben, doch die Farben wechseln schnell. Der Übergang zum zweiten Bild ist schon fast symphonisch zart, die Nibelungen-Szenen dagegen im überschäumenden Forte schon brutal, der Einzug der Götter in Walhall wiederum majestätisch und erhaben. Ulf Schirmer führt die Orchestermusiker mit klarem Gestus durch die Partie. Er arbeitet Farbnuancen heraus, wechselt klug die Tempi und arbeitet besonders die Leitmotive und symphonischen Elemente klar heraus. Die in der Partitur vorgesehenen 18 Ambosse hat Schirmer in den beiden Verwandlungsszenen durch eine gesampelte und digitalisierte Aufnahme von Originalambossen durch zwei Pianisten einspielen lassen und damit einen Klang erzeugt, der dem Original sehr nahe kommt und so in dieser Form selten zu hören ist. Am Schluss gibt es großen Jubel und minutenlangen Beifall für alle Beteiligten aus dem internationalen Publikum, das leider vor allem zu Beginn sehr unruhig ist. Besonders Ulf Schirmer, Michael Volle und Thomas Mohr dürfen sich an der Publikumsgunst erfreuen. Der Vorabend des Ring des Nibelungen im Rahmen des Festivals Wagner22 darf, vor allem wegen Michael Volle als Wotan, als gelungen bezeichnet werden und macht so richtig Lust auf die nächsten drei Abende.

Andreas H. Hölscher