O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Am Ende stirbt sie doch

MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)

Besuch am
12. April 2023
(Premiere am 8. April 2023)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach, Theater Krefeld

Dass Regisseure versuchen, in alten Opernstoffen aktuelle Bezüge zu finden, galt bislang als legitim, wenn nicht sogar gewünscht. Inzwischen sind solche Bestrebungen jedoch mit äußerster Vorsicht zu genießen. Ein gutes Beispiel dafür ist Giacomo Puccinis Madama Butterfly. Eigentlich gibt es daran nichts zu rütteln. Die Geschichte spielt um 1900 in der Nähe des Hafens von Nagasaki. Der amerikanische Marineoffizier Benjamin Franklin Pinkerton heiratet die 15-jährige Geisha Butterfly, um sie bald darauf zu verlassen und in die Heimat zurückzukehren, wo er Kate heiratet. Allerdings ist dieser Ehe ein Kind entsprungen. Als Pinkerton davon erfährt, kehrt er tatsächlich zurück – allerdings in Begleitung von Kate, weil sie das Kind mit nach Amerika nehmen wollen. Cio-Cio San, also Madama Butterfly, zieht die Konsequenz aus der doppelten Enttäuschung und geht in den Freitod. Die Geschichte beruht auf zwei Erzählungen, die Giuseppe Giacosa und Luigi Illica zu einem Libretto gestalteten, das später überarbeitet wurde.

Foto © Matthias Stutte

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sorgte maßgeblich die amerikanische Filmindustrie dafür, dass in der westlichen Wahrnehmung die Geisha einer Prostituierten gleichgesetzt wurde. Heute weiß man, dass das nicht stimmt. Übrigens darf eine Frau in Japan die Ausbildung zur Geisha seit 1952 erst ab 16 Jahren beginnen. Nach fünf Jahren ist sie dann eine Unterhaltungskünstlerin auf höchstem Niveau. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Pinkerton in der Oper eine 15-Jährige heiratet. Und Puccini respektive seine Librettisten geben bereits die Antwort auf die Aktion, die bis heute gültig ist: Sie muss in die Katastrophe führen. Daran gibt es auch für das Regie-Geschwisterpaar Beverly und Rebecca Blankenship nichts zu kritteln und zu deuten, die jetzt mit einer Neuproduktion der Oper am Theater Krefeld Mönchengladbach beauftragt wurden. Zumal die Geschichte in unserem Kulturkreis überhaupt keine Rolle mehr spielt. Alles eindeutig gesetzlich geregelt. Und selbst wenn Menschen aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen, bei denen das noch anders ist, gibt es hier eindeutige Urteile. Wir haben das Problem erkannt, wir haben es im Griff, und wir können uns die Oper ganz entspannt als ein Stück Vergangenheit anschauen, ja, sogar mit einem kleinen Schauder, der uns über den Rücken jagt.

Genau deshalb funktioniert auch die Bühne von Kirsten Dephoff nur dann, wenn wir uns als Deutsche mal wieder für die ganze Welt verantwortlich fühlen. Die Rückwand der Bühne hat sie mit den Begriffen Freiheit, Frauenrechte, Würde und Menschenrechte in vielen Sprachen beschriftet. Dabei geht fast die gelungene Architektur unter, die zahlreiche Auf- und Abgänge ermöglicht. Davor hat sie einen Container auf einer Drehbühne aufgestellt. „Ist doch eigentlich alles ganz schön. Bis auf diesen hässlichen Container und die Kostüme“, ereifert sich eine Zuschauerin in der Pause – und liegt damit nicht ganz falsch. Dass sich Dephoff mit den Drehungen des Containers eine Menge gedacht hat, steht außer Frage. Aber was, das erschließt sich dem Zuschauer nur sehr bedingt. Erheblich mehr Fragen werfen allerdings die Kostüme auf. Die ganze Abstrusität der Heirat wird dadurch unterstrichen, dass es sich um „Ehrenmänner“ handelt, die daran beteiligt sind. Konsul Sharpless, der Marineoffizier Pinkerton, später Fürst Yamadori, der versucht, Cio-Cio San zu retten. Sie alle treten hier als Schmierlappen in ungepflegten Klamotten auf. Das steht in seltsamem Kontrast zu den in schwarzen Partykleidern auftretenden Verwandten.

Foto © Matthias Stutte

Ganz in weiß, wenn sie sich nicht gerade in rote Tücher hüllen muss, tritt Cio-Cio San auf. Als zierliche Fünfzehnjährige kann Yibao Chen sicher nicht durchgehen, aber ihr Gesang lässt solche Ungereimtheiten ohnehin schnell vergessen. Weich, biegsam ist die Stimme, wenn sie durch die Rezitative wandert, bestimmt, aber nicht schrill, wenn sie mit ihren Arien begeistert. Um das tatsächliche Alter der Madama hervorzustreichen, haben die Blankenships ihr Tan-Yin Liou zur Seite gestellt, eine in der Tat kindlich wirkende Tänzerin asiatischen Aussehens, die als Butterfly 15 das Seelenleben der Butterfly widerspiegelt und folgerichtig auch mit ihr stirbt. Als Suzuki tritt Eva-Maria Günschmann auf, die hier keine ergebene Dienerin, sondern eher eine geschäftstüchtige Assistentin von Cio-Cio San gibt. Vielleicht deshalb wirkt die Stimme der Mezzosopranistin oftmals metallischer als erwartet. Milen Bozhkov gibt einen zwar charakterlich schwachen, aber einsichtigen Pinkerton, dessen Stimme so wunderbar klingt, dass man ihm als Hörer eigentlich alles nachsehen möchte. Konsul Sharpless ist bei Rafael Bruck in besten Händen, vor allem, wenn ihm die menschliche Härte gegen Cio-Cio San fehlt. Eine Sonderrolle, weil aus jedem Rahmen fallend, ist die Mutter der Butterfly. Katharina Ihlefeld spielt hier eine heruntergekommene Säuferin. Warum? Auch in den übrigen Rollen gibt es keine Ausfälle. Besonders erwähnenswert ist außerdem Lea Novakova, die als blondbezopftes Kind hochkonzentriert und mit viel Spielfreude und Geduld dabei ist, wenn ihr Chen immer wieder die Ohren zuhält oder sie an ihren Busen presst – vermutlich, um sie vor der Lautstärke der eigenen Stimme zu schützen. Insgesamt eine großartige Ensemble-Leistung, die das Publikum auch gern mit zahlreichen Zwischenapplausen würdigt.

Den musikalischen Boden dafür bereiten die Niederrheinischen Sinfoniker, die von GMD Mihkel Kütson zu temperamentvollem Spiel ermutigt werden, ohne die Sänger in Bedrängnis zu bringen. Gemeinsam gelingt es Ensemble und Orchester, über den Abend eine besondere Atmosphäre herzustellen, die das Publikum in ihren Bann zieht. So ist gut nachzuvollziehen, dass die Zuschauer sich mit der letzten Note erheben, um sich lange Zeit mit größtmöglichem Applaus bei den Beteiligten zu bedanken.

Was von diesem Abend bleibt, ist ein wunderbares musiktheatralisches Erlebnis und die Erkenntnis, dass Regisseure im Opernmuseum weniger mit „Wokeness“ als mit Klugheit an historische Stoffe herangehen sollten, wollen sie sich ihr Publikum erhalten.

Michael S. Zerban