O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Träume im Theater

BEETHOVEN ABGEDREHT
(Ludwig van Beethoven)

Gesehen am
21. Juni 2020
(Video on demand)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach, Theater Krefeld

Interessante Projekte im Theater sind in diesen Tagen eher selten, sofern man nicht gerade auf die 1.000-ste Lesung oder die 100-ste Operngala hinarbeitet. Einerseits verständlich, wenn man sieht, welcher Aufwand nötig ist, um ein Stück aufzuführen, andererseits darf man schon erstaunt sein, wie wenig Kreativität an den Tag gelegt wird, um vielleicht Theater oder Tanz in neuen Formaten zu entwickeln.

Immerhin auf den Nachwuchs am Theater Krefeld Mönchengladbach ist Verlass. Schon bald, nachdem klar war, dass das geplante Stück über Beethoven nicht würde als Live-Aufführung vor Publikum stattfinden können, reifte der Plan, einen Musikfilm zu drehen. Nicht, dass irgendein Musiker, Sänger, Schauspieler oder Tänzer des Jungen Theaters irgendwelche Filmerfahrung oder besondere Ambitionen zu einer Filmkarriere hätte. Aber warum nicht einfach mal was Neues ausprobieren? Zumal die Rahmenbedingungen schon interessant klangen.

Der Film soll im Theater spielen, und Michael Preiser würde den Musikern die Arrangements der Stücke „auf den Leib“ schreiben. Regisseurin Katja Bening hat das Konzept zum Film entwickelt. Danach soll sich ein Zuschauer durch das Theater träumen, in dem bruchstückhaft an verschiedenen Orten Spielszenen stattfinden. So entsteht eine Nummern-Revue mit eher unbekannten Stücken Ludwig van Beethovens, die von der Liebe und anderen Unglücken handelt. Gar eine Massenschlägerei gibt es zu sehen. Für den 35-minütigen Film holt sich Bening Jurek Wieben und Jens Bussang an die Seite, die für Kamera-Regie, -Führung und Schnitt, aber auch ein paar hübsche Effekte sorgen.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Für „große Ausstattung mit kleinen Mitteln“ sorgen Bening und Ulrike Aistleitner. Die Dramaturgin ist auch für die Projektleitung beim Jungen Theater verantwortlich. Die Kostüme der Darsteller sind historisierend, der träumende Theaterbesucher tritt in heutiger Alltagskleidung auf. Die Kostüme der Tänzerinnen Julianne Cederstam und Alice Franchini, für die Robert North eigens eine kleine Choreografie entwickelte, verantwortet Luisa Spinatelli. Dank der häufigen Szenenwechsel reichen ein paar Requisiten aus, um die gewünschte Stimmung zu erzeugen. Für Spaß sorgt der Schrank auf der Bühne, der von vorne wie hinten begehbar ist. Für eine Arie der enttäuschten Liebe reicht es, die Sängerin an die Theke des Theatercafés zu setzen und sie mit Sektflasche und Glas zu versorgen. Der Spuckschutz wird zentral auf der Bühne zum Fenster, durch das sich die Liebenden das Duett liefern. Und ein künstlicher Blumenstrauß sorgt für einen herzhaften Lacher. Das Leitungsteam verzichtet bewusst auf die Perfektion eines Spielfilms, sondern orientiert sich eher an künstlerischen Musikfilmen. Und das ist auch gut so. Denn damit fügen sich die Unebenheiten in der Gesangsaufnahme, die bis zur Wortunverständlichkeit reicht, in den Charakter des Films ein.

Foto © Matthias Stutte

Die Darsteller einschließlich der Instrumentalisten sind mit Feuereifer und viel Spielfreude dabei. Die Sänger des Opernstudios Niederrhein, das in das Junge Theater integriert wurde, zeigen, dass sie alsbald wieder auf die Bühne müssen. Boshana Milkov gefällt mit einem dunkel gefärbten Mezzosopran, darf aber darstellerisch gern mehr gefordert werden. Maya Blaustein verspricht vor allem im Ausdruck viel für die Zukunft. Tenor Woongyi Lee muss sich auf gesanglicher Ebene noch mehr mit der deutschen Sprache beschäftigen. Und Guillem Batllori ist als Bariton mit seinem Auftrag noch nicht wirklich gefordert. Schauspieler Raafat Daboul übernimmt neben seiner Beobachterfunktion, die tatsächlich oft eher träumerisch ankommt, wenn er etwa weitgehend sinnfrei durch die Katakomben und Verwaltungsgänge des Theaters irrt, gesprochene Texte, die schon sehr natürlich klingen. Insgesamt werden hier die eher nicht so geläufigen Werke Beethovens – Ausnahmen bestätigen die Regel, wenn man an Anfang und Ende des Films denkt – frisch und fröhlich präsentiert.

Eine ausgesprochen kurzweilige Angelegenheit, die von den Orchesterakademikern unter der musikalischen Leitung von Michael Preiser, der selbst am Flügel sitzt, wunderbar unterstützt wird. Klarinettistin Viola Gaebel, Cellistin Inka Jans, Geiger Justinas Kaunas und Flötistin Tekla Varga dürfen dabei nicht nur ihre – solistischen – Fähigkeiten am Instrument präsentieren, sondern werden auch in die „Handlung“ einbezogen. So macht Katja Bening aus der reinen Nummern-Revue einen künstlerischen Musikfilm, der einen merkwürdigen Impuls auslöst. Nämlich die Frage, wie dieser Film wohl wirkt, wenn er Patina angesetzt hat. Er könnte das Zeug zu einem historisch bedeutsamen Werk haben.

Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Da ist vorerst wichtiger, dass das Video noch einige Tage auf der Website des Theaters und bei YouTube abrufbar ist. Und das lohnt sich auch in formaler Hinsicht. Denn es ist endlich mal wieder eine Aufführung, bei der die Zuschauer nicht raten müssen, was sie da sehen. Vorbildlich liefern die Macher Informationen, die vormals in jedem Programmheft Standard waren. Ein wichtiger Schritt zum so genannten Hybrid-Modell, bei dem nicht mehr alle Zuschauer im Saal sitzen, sondern auch an den Monitoren. Wichtig, weil das Modell nur dann funktioniert, wenn es auch Menschen findet, die bereit sind, für den Genuss einer Aufführung zuhause Geld zu zahlen. Und dazu braucht es einfach mehr als: Wir zeigen ein Video. Bening und ihr Team haben nicht nur einen großen kleinen Film gezeigt, sondern auch an Tugenden erinnert, die gerade jetzt nicht nur in den Häusern, sondern auch im Digitalen bedeutsam sind.

Michael S. Zerban