O-Ton

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Elektronische Antworten

WECHSELWINKEL
(Diverse Komponisten)

Besuch am
5. Mai 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Chamber Remix Cologne im Kunsthafen, Köln

Von Hause aus ist Albrecht Maurer Geiger. Das Instrument studierte er an der Musikhochschule Köln, aber für ein ganzes Leben reichte ihm das Spielen eines Instrumentes nicht. So beschäftigte er sich mit dem Synthesizer, dem Klavier, der Viola, um sich schließlich auch als Komponist zu verwirklichen. Stücke schreibt er gern, noch mehr Spaß hat er an der – gekonnten – Improvisation. Genres oder die Festlegung der Musik auf bestimmte Zeiten langweilen ihn. Seit sechs Jahren geht er zudem seiner Lieblingsbeschäftigung als Veranstalter nach. Damals rief er Chamber Remix Cologne ins Leben. Musik für die Kammer, egal, aus welcher Zeit, mischt sich mit elektronischer Musik. Damit, erzählt Maurer, hole er die elektronische Musik aus ihrem luftleeren Raum, wenn sie konkrete Antworten auf die Kammermusik geben müsse. Selbstverständlich darf die Kammermusik aber auch auf die elektronische Musik erwidern. Für dieses Format hat er den Kunsthafen am Rheinufer in Köln gefunden. Der ist eine Halle, die zum Kunsthaus Rhenania gehört. Das gibt es seit 1987 als Hort der bildenden Kunst. Über 50 Künstler verschiedener Gattungen haben dort ihre Heimat gefunden. Und in der Halle des einstigen Getreidespeichers war eigentlich Platz für Ausstellungen vorgesehen. Längst schon müssen sich die bildenden Künstler aber diesen Ort auch mit den darstellenden Künsten teilen. Alle zwei Monate gibt es so ein Musik-Wochenende. Der Sonntag gehört Maurer mit seinem Chamber Remix Cologne. Dabei ist das Salz in der Suppe für ihn gar nicht die Veranstaltung selbst. Schon gar nicht, wenn wie heute parallel ein Neue-Musik-Festival in Köln stattfindet, bei dem sich die Anhänger von Gegenwartsmusik zusammenrotten, anstatt gemeinsam den Kunsthafen zu stürmen. Stattdessen tröpfeln ein paar Unentwegte in den Saal, immerhin 20 werden es an der Zahl. Nein, was Maurer bei seiner Unternehmung beflügelt, ist, immer wieder herausragende Künstler zu finden, die sich der Konstellation von Kammer- und elektronischer Musik stellen.

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Vor zwei Jahren machte ein Trio von sich reden, das Musiktheater neu erfinden wollte. Die vier Uraufführungen von I Transiti waren mehr als vielversprechend. Klarinettist Blake Weston, Posaunist Yoshiki Matsuura und Pianistin Vittoria Quartararo sprühten nur so vor Fantasie. Dann fehlte die Anschlussfinanzierung, wie so oft im deutschen Fördersystem, und es wurde ruhig um das Ensemble. Jetzt steht es wieder, endlich wieder, möchte man sagen, auf dem Plakat. Auch das gehört zur Wahrheit: Jeder Musiker muss sehen, wo er bleibt, und wenn die Finanzierung abreißt, muss man ganz schnell schauen, wo man sein Geld verdient. Und so ist es Weston nicht zu verübeln, dass er nicht mehr dabei ist. Glücklicherweise ist es Quartararo und Matsuura gelungen, mit Ségolène de Beaufond als Geigerin einen adäquaten Ersatz zu finden, als Maurer ihnen vorschlug, sich mit der elektronischen Musik von Kai Niggemann auseinanderzusetzen.

In einem bleibt I Transiti sich treu: Ein einfaches Konzert, in dem alle Musiker stillsitzen und ihr Instrument bedienen, ist mit den dreien nicht zu machen. Theater muss sein. Geradezu enttäuschend wirken da die „Kostüme“ der Künstler. Beigefarbene Oberteile zu schwarzen Hosen. Beige ist das Pink des Alters – und davon sind die drei nun wirklich noch weit entfernt. Dass sie mit ihrer Wahl Recht behalten, wird sich in den kommenden, leicht surreal und großartig wirkenden Bildern zeigen, die sie in der kommenden Stunde produzieren.

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Da wird der Titel des Nachmittags – Wechselwinkel – schnell deutlich, wenn die Musiker permanent ihre Positionen und Aufgaben wechseln, um sich in immer neue Beziehungsgeflechte zu setzen. Wechselwinkel stehe für die zugrundeliegende Überschneidung von Linien, die neue Räume schafft, erzählen I Transiti. Damit könne auf der Bühne eine imaginäre Geometrie wachsen – Planeten, Achsen oder Galaxie-Bahnen. Eine Geometrie, die in der Musik zu einem Großen und Ganzen zusammenwächst. Fünf Stücke haben die drei für den musikalischen Auftritt ausgewählt. Beginnend mit Inner Cities – Three for Piano von Alvin Curran, gibt es zwei sehr kurze Stücke von Dieter Schnebel, die er für drei Musiker schrieb. Mit Letter Piece 8 – Sit up and stand down schließt sich Matthew Schlomowitz an. Von Heinz Holliger aus den fünf Mileva-Liedern haben I Transiti Königsblau ist der Himmel ausgewählt. Die Brücke zwischen den Stücken schaffen Improvisationen, die immerhin 20 Minuten ausmachen. Während üblicherweise Kammermusik und die elektronische Antwort in zwei Blöcke aufgeteilt werden, bekommt Niggemann heute immer wieder Gelegenheit zur Intervention. Dabei fasziniert die Arbeitsweise, wenn er die kammermusikalischen Einlagen aufzeichnet und daraus unmittelbar Erwiderungen komponiert. Ist das mit dem Computer möglicherweise für einen Könner noch leicht zu verwirklichen, perfektioniert Niggemann den Klang mit analogen Geräten, bei denen er in Sekundenschnelle Stecker wechselt und neu verbindet. Dazu muss man schon eine ganz besondere Liebe entwickeln. Für das Publikum ist die Arbeitsweise allemal faszinierend.

Nach einer großzügigen Stunde, die Niggemann mit einem sehr ausführlichen Finale ausklingen lässt, haben die Musiker das Publikum überzeugt. Das „schlanke Musiktheater“ hat funktioniert. Begeisterter Applaus leitet über zu zahlreichen Gesprächen mit den Künstlern.

Der nächste Termin des Chamber Remix Cologne im Kunsthafen ist der 7. Juli. Und wer Albrecht Maurer selbst mal als Komponist erleben will, kann das am 24. Mai in der Alten Feuerwache Köln. Dann wird sein Werk House of Syntopia/Mathilde für 14 Spieler vom Beyond the Roots Large Ensemble uraufgeführt.

Michael S. Zerban