O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Vera Drewke

Aktuelle Aufführungen

Für eine Generalprobe ganz ordentlich

URLICHT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
4. August 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Shalom-Musik.Koeln, Palais im Park, Flora Köln

Das Palais im Park befindet sich inmitten des botanischen Gartens der Stadt Köln, der so genannten Flora, die wenige Meter entfernt vom Kölner Zoo liegt. Ursprünglich wurde das Palais 1864 als Palmenhaus eröffnet. Heute ist es mit seiner historistischen Fassade ein Veranstaltungsort. An diesem Abend wirkt es allerdings alles andere als weltoffen. Die große Freitreppe gegenüber dem Springbrunnen ist abgesperrt, einziger Zugang ist eine Schleuse, die in den so genannten Festsaal führt. Vor dem Festsaal, der heute Abend mit etwa 900 Plätzen vollbestuhlt ist, gibt es eine Terrasse, zu der eigentlich die Freitreppe führt. Ab 21 Uhr wird der Park geschlossen – dann fährt ein Bediensteter mit einem als solchem beschrifteten Dienstrad über die Kieselsteinwege und verweist die Besucher via amtlicher Durchsage des Parks. Ein übermannshoher Zaun verwehrt anschließend auch den Besuchern des Palais den kürzeren Weg durch den Park und zwingt sie, außen herum zu gehen, um zum Auto zurückzukommen. Besonders gastfreundlich wirkt das alles nicht. Fast schon originell ist der Selbstbedienungsgetränketisch.

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Ist schon klar, was das Kölner Forum für Kultur im Dialog und die Synagogen-Gemeinde Köln als Veranstalter eines neuen Jüdische-Musik-Festivals mit dem Namen Shalom-Musik.Koeln, das eine Woche dauert und zukünftig alle zwei Jahre stattfinden soll, im Sinn haben. Eine prunkvolle Eröffnung soll es werden, die gleich mal ein Statement setzt. Daraus wird allerdings nur teilweise etwas. Zunächst einmal heißt es: Hut ab! 50 Konzerte in einer Woche sind ein stolzes Vorhaben, und was da an Programm aufgeboten wird, kann sich sehen lassen. An verschiedenen Orten in Köln wollen die Veranstalter „Brücken von Tradition zu Moderne, von Klassik hin zu urbanen DJ-Sounds“ bauen. Wenn Thomas Höft, der mit Ulrike Neukamm als Künstlerischer Leiter fungiert, eines kann, dann ist es, ein Festival zu programmieren, das Größe und Gewicht hat und wie selbstverständlich alle Menschen anspricht. Das hat er unter anderem bewiesen, als er von 2012 bis 2018 mit dem Fest für Alte Musik Köln regionale Grenzen der Aufmerksamkeit sprengte und Menschen für die so genannte Alte Musik begeisterte, die bis dahin dachten, eine Laute sei ein Messgerät für den Lärmschutz. Unvergessen bis heute sind die Abende in den Balloni-Hallen in Köln.

Aber auch ein Höft braucht Anlauf, um ein großartiges Festival auf die Beine zu stellen. Und so wünscht man sich im Laufe des Eröffnungskonzerts mit dem Titel Urlicht, es sei die Generalprobe für das Festival gewesen. Denn dann kann es nur gut werden. Der Festsaal ist gut besucht, auch wenn etwa ein Viertel der Plätze unbesetzt bleibt. Aber schon der Auftakt sorgt für Ärgernis. Anstatt einer knackigen Rede, die mal kurz skizziert, um was es in der folgenden Woche geht, verplempern Claudia Hessel als Vertreterin des Kölner Forums für Kultur im Dialog und Abraham Lehrer für die Synagogen-Gemeinde Köln eine satte halbe Stunde damit, die so genannten Ehrengäste gleich zwei Mal zu begrüßen. Dazu wäre am Eingang Zeit genug gewesen, ohne die Besucher damit zu belästigen. Ein Konzert hat noch nie an Exzellenz oder Bedeutung durch bekannte Gäste gewonnen. Wer persönliche Eitelkeiten befriedigen will, soll doch auf den Golfplatz gehen. An diesem Abend können die Veranstalter die Verärgerung allerdings noch gewaltig steigern. Neuerdings werden die Gattinnen der ach so wichtigen Gäste begrüßt. Das bekommt ja schon homophobe Züge. Und was nun der Würdenträger der katholischen Kirche darüber denken mag, der ganz allein erschienen ist und ohnehin schon im Kreuzfeuer der Öffentlichkeit steht, möchte man sich gar nicht ausmalen. Dann allerdings fällt Lehrer völlig aus dem Rahmen, indem er ein politisch-religiöses Statement zur Documenta in Kassel abgibt, das in diesem Zusammenhang überflüssig wie ein Kropf ist.

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Plötzlich wird das Programm unterbrochen, Unruhe kommt auf, weil der lokale, öffentlich-rechtliche Fernsehsender darauf drängt, das musikalische Programm zu beginnen, weil man „auf Sendung“ gehen wolle. So verständlich die Sorgen und Nöte der Kameraleute vor Ort sind, stellt sich die Frage, ob man hier zu Besuch bei einer Fernsehübertragung oder eines Eröffnungskonzertes ist. Dass die Organisationsprobleme sich dadurch äußern, dass Personen aufgeregt vor der Bühne auftauchen und tuscheln, zeugt wenig von Professionalität. So etwas regelt man heute digital. Aber immerhin geht es dann auch mal mit der Musik los.

Zuvörderst stellt sich die Frage: Was ist eigentlich „jüdische Musik“? Wird Musik dadurch jüdisch, dass die Komponisten irgendwann einmal dieser Glaubensrichtung angehört haben? Gibt es ein bestimmtes Klangbild, aus dem man schließen kann, es handele sich um jüdische Musik? Da wehren sich die Klezmer-Spieler. Vielleicht wird die kommende Woche hier mehr Klarheit bringen. Zweifel sind angebracht. Heute Abend jedenfalls wird sie nicht geklärt werden. Und damit entstehen die Fragen zum Programm des Eröffnungskonzertes. Das Motto des erstmalig stattfindenden Festivals lautet „Zuversicht“. Und was passiert in der Flora? Da wird gleich mal wieder auf die übliche Tränendrüse gedrückt. Erwin Schulhoff, Gideon Klein und Viktor Ullmann stehen als Komponisten neben Max Bruch und Gustav Mahler auf dem Programmzettel. Drei Menschen, die unter der Nazi-Herrschaft zu Tode gekommen sind. Und noch schlimmer: Die bis heute neben vielen anderen jüdischen Komponisten nicht aufgeführt werden. Was, bitte schön, hat das mit Zuversicht zu tun? Ohne die Leistungen dieser Komponisten auch nur im Mindesten herabzuwürdigen: Wäre es an einem solchen Abend nicht wichtig gewesen zu zeigen, wie gegenwärtig und zukunftsorientiert „jüdische Musik“ ist, so es sie denn gibt?

Vielleicht überwiegt hier der Blick auf das konzertunerfahrene Publikum, das man mit Nazi-Gräueln beeindrucken kann. Wenig überzeugend. Aber wenigstens sind das die Leistungen der Musiker. Den Auftakt gestalten Geiger Marc Bouchkov und Cellist Ivan Karizna, die Erwin Schulhoffs Duo für Violine und Cello WV 74 aufführen. Wenn die Veranstalter dem viersätzigen Stück „Glück und Zuversicht auf eine bessere Zukunft“ bescheinigen, mag man das mit dem Gehörten nicht so ganz vereinbaren. Der tschechische Komponist und Jude starb 1942 in seiner Festungshaft in Würzburg an Tuberkulose, einer damals noch weit verbreiteten Krankheit. Man kann hier gerade im ersten und letzten Satz dem Stück auch sehr viel Melancholie, Wut und Verzweiflung anhören. Aber das passt dann nicht so gut ins Programmheft. Inzwischen gibt es im Saal viel Bewegung. Jetzt rächt sich die großzügige Getränkeausgabe. Da kann man doch mal schnell zum „Püschern“ verschwinden, während der hier despektierlich genannte Strippenzieher zusätzliche Leitungen im zweiten Satz verlegt, so wie er auch nach dem Auftritt der Künstler immer noch mal die Mikrofone nachjustiert. Fleißig wird nach den einzelnen Sätzen geklatscht. Es will einfach keine Ruhe einkehren.

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Traumhaft interpretieren Bratschist Adrien La Marca und Pianist Arno Waschk das Kol Nidrei, das Abendgebet am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur, in der Komposition von Max Bruch. Waschk ist für Elena Bashkirova eingesprungen, die erkrankt ist. Möglicherweise eine gute Entwicklung, weil der Glamour einer Baskirova vielleicht mehr abgelenkt hätte als die ruhige und präzise, aber eher unauffällige Arbeit von Waschk. Die gefällt vor allem in der Begleitung des Baritons Dietrich Henschel, der die vier Lieder Rheinlegendchen, Revelge, Wo die schönen Trompeten blasen und Urlicht von Gustav Mahler vorträgt. Henschel, längst ein Vertreter moderner oder neuer Musik, kämpft ganz unnötig um Akzente, die die Verständlichkeit eher erschweren. Ein bisschen weniger Anstrengung wäre hier mehr gewesen. Ganz nebenbei hat es noch eine Korrektur der Programmfolge gegeben, und als Höft nun wieder vor das Publikum tritt, verkündet er eine unvorhergesehene Pause. So wird aus der Veranstaltung lässig ein Drei-Stunden-Abend. Viele Besucher verabschieden sich deshalb in der Pause.

Damit verpassen sie eine hervorragende Interpretation von Gideon Kleins Streichtrio für Violine, Viola und Violoncello, die sich zwischen Melodie und Spannung in drei Sätzen bewegt. Das wurde neun Tage, also am 7. Oktober 1944, vor seinem Abtransport nach Auschwitz beendet, wo er umgebracht wurde. Sie verpassen nicht den letzten Programmpunkt. Henschel trägt Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke von Viktor Ullmann in der Klavierbegleitung von Waschk vor. Die halbstündige Lesung trieft von pathetischen Bildern, die man angesichts der derzeitigen Kriegsgräuel nicht mehr hören mag, was selbstverständlich nicht am hervorragenden Vortrag der Künstler liegt. Nach der zweiten Verbeugung wollen die Besucher eindeutig nicht mehr.

Heute Abend ist eindeutig zu viel gewollt und zu wenig organisatorisch gekonnt. Für die kommenden Tage darf man den Organisatoren mehr Gelassenheit wünschen. Wie gesagt, wäre es eine Generalprobe gewesen, könnte man sich jetzt zurücklehnen. Denn so viel, wie da schiefgelaufen ist, müssen die nachfolgenden Premieren einfach nur noch großartig werden. Das Programmheft zumindest verspricht es.

Michael S. Zerban