Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LES TROYENS
(Hector Berlioz)
Besuch am
1. Oktober 2022
(Premiere am 24. September 2022)
François-Xavier Roth und Hector Berlioz: Eine Symbiose, mit der die Kölner Oper erneut für einen musikalisch sensationellen Saisonauftakt sorgt, auch wenn Berlioz‘ größtes Bühnenwerk, Les Troyens – Die Trojaner – noch mit dem Deutzer Staatenhaus vorliebnehmen muss. Das war bereits vor neun Jahren nicht anders, als Roth seinen Einstand als neuer Kölner Musikchef mit Berlioz‘ Benvenuto Cellini eigentlich im frisch sanierten Opernhaus am Offenbachplatz feiern sollte. Am aktuell anvisierten Eröffnungstermin des Stammhauses im übernächsten Jahr glaubt in der Premiere offensichtlich niemand so recht. Bürgermeisterin Henriette Rekers diesbezüglicher Optimismus löst rheinische Heiterkeit aus.
Die Kölner Oper hat in den letzten zehn Jahren gelernt, mit den Gegebenheiten des Staatenhauses mehr oder weniger geschickt umzugehen. Bei Berlioz‘ sperrigen Trojanern, die man ungekürzt in fünfstündiger Vollständigkeit zeigt, vertraut man voll der Kompetenz und Zugkraft von François-Xavier Roth, dem maßgeblich zu danken ist, dass die Kölner Oper ihre überregionale Bedeutung wahren konnte. Umso bedauerlicherweise, dass er in drei Jahren ans SWR-Symphonieorchester wechseln wird, als Nachfolger des in Ungnade gefallenen Putin-Vasallen Teodor Currentzis.
In den Kölner Trojanern bildet das riesige, mit sechs Harfen und räumlich verstreuten Bläserensembles besetzte Gürzenich-Orchester den Blickfang. Es posiert sichtbar in der Mitte, umgeben von einem schmalen, meist rotierenden Laufsteg, einer Art Catwalk, für die Sänger. Angesichts der Chormassen, der gut 20 Solisten und einer hinzugedichteten Götterschar sind das keine idealen räumlichen Bedingungen, die Regisseur Johannes Erath aber recht geschickt nutzt. Die Palme gebührt ohnehin dem Dirigenten, dessen Leidenschaft für Berlioz sich so überzeugend und ansteckend auf die Mitwirkenden überträgt, dass selbst die Schwächen und Brüche der Partitur in den Hintergrund treten. Roth bringt den Orchesterklang zum Glühen und Leuchten, kostet die klangliche Palette von süßesten Lyrismen bis zu brutalen Schärfen voll aus und wertet sogar die dramaturgisch eher hemmenden Ballettmusiken im vierten Akt zu orchestralen Kabinettstückchen auf.
Foto © Matthias Jung
Vollständige Aufführungen des fünfaktigen Werks gehören angesichts des Aufwands auch heute noch zu den Ausnahmen. Im Grunde handelt es sich um zwei Werke. Der erste Teil kreist um den Untergang Trojas, der zweite um die Flucht des überlebenden Helden Aeneas in die Arme der karthagischen Königin Dido. Zerrissen zwischen der Liebe zu Dido und seinem göttlichen Auftrag, in Italien ein neues Weltreich zu gründen, gehorcht er den Göttern und lässt die verzweifelte Dido zurück, die das zukünftige römische Weltreich mit einem Fluch belegt und in den Tod geht. Es sind neben den gewaltigen Chorpartien zwei Frauen, denen die beiden Handlungs-Blöcke ihr stärkstes dramaturgisches Profil verdanken. Im Troja-Teil steht Kassandra im Mittelpunkt, die Tochter des trojanischen Königs Priamos, die von Apoll mit dem Fluch bestraft wurde, Unheil voraussehen zu können, ohne dass ihr Glauben geschenkt wird. Die Klagen, Warnungen und Beschwörungen Kassandras gehören zu den eindrucksvollsten Partien des Stücks, von Isabelle Druet mit großer und wandlungsfähiger Stimme überragend an Intensität zum Ausdruck gebracht. Hier kann sich der Regisseur zurücklehnen und der Bühnenpräsenz der Sängerin vertrauen, hier reicht auch das schmale Laufband als Spielfläche aus. Weniger für die Chorauftritte, die zum großen Teil an die Seiten oder gar ins Bühnen-Off gedrängt werden müssen.
Es wäre dienlicher gewesen, auch für die Liebesschwüre und Verzweiflungsakte Didos dem Charisma der vokal und darstellerisch auf hohem Niveau agierenden Sopranistin Veronica Simeoni zu vertrauen. Warum sie mit pinkfarbener Perücke koksend wie ein oberflächliches It-Girl auftreten muss, erschließt sich nicht. Dass sie plötzlich die Abreise Aeneas‘ mit ihrer ausgedehnten Todesszene in tiefem Schwarz und noch tieferem Ernst betrauert, überrascht unvermittelt, weil eine entsprechende Entwicklung vom Party-Girl zur Tragödin im Stück nicht vorgesehen ist. Interessant, dass Aeneas im Unterschied zu den Frauen erheblich blasser gezeichnet ist und sich eher in Selbstmitleid wiegt. Enea Scala bringt mit seinem Tenor das nötige lyrische Kolorit mit, wobei er der Rolle mit seinen metallischen Höhen ein wenig „Heldenglanz“ sichert.
Das Bühnenbild von Heike Scheele beschränkt sich, ergänzend zum stets sichtbaren Orchester, eindrucksvoll auf eine zerbrochene Gesichtsmaske Didos im Hintergrund sowie einige Videoeffekte. Umso fantasievoller greift sie in die Kostümkiste, wobei die von Erath stets präsente, wenn auch hinzugedichtete Götterschar, die die Tragödie letztlich ausgelöst hat, immer stärker an Einfluss verliert. Anfangs noch in edlen Silber-Outfits residierend, erscheinen sie am Ende nur noch als puppenhafte Gauklertruppe.
Insgesamt ein imposanter Saisonauftakt mit überragenden musikalischen Akzenten und der Begegnung mit einem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Werk des Repertoires.
Pedro Obiera