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DIE TOTE STADT
(Erich Wolfgang Korngold)
Besuch am
7. September 2021
(Premiere am 4. September 2021)
Nun endlich live in voller klanglicher und szenischer Präsenz: Von Erich Wolfgang Korngolds vor 101 Jahren in Köln und Hamburg uraufgeführtem Psycho-Thriller Die tote Stadt erhoffte sich die Kölner Oper einen Höhepunkt der letzten Saison. Der Livestream der damaligen Premiere konnte vor allem den orchestralen Rausch des Stücks nur erahnen lassen. Jetzt ist das spannende Stück im Staatenhaus in voller Pracht zu genießen. Auch wenn man Hygiene-bedingte Einschränkungen in Kauf nehmen muss, die die Sänger auf ausreichenden Abstand halten, so dass man sich Pauls Mord an Marietta hinter geschlossenem Vorhang selbst zusammenreimen muss. Auch die Prozession fällt spärlich aus. Und Regisseurin Tatjana Gürbaca begnügt sich mit einer schmucklosen runden Drehbühne, angelegt als Tanzfläche einer Pole-Dance-Bar. Entsprechend flankieren den Bühnenrand Barhocker, auf denen die Sänger bisweilen Platz nehmen und der Handlung wie in Edward Hoppers berühmtem Bild Nighthawks zusehen. Eine bräunlich dezente Kulisse von Ausstatter Stefan Heyne, ergänzt durch die tristen Alltagskostüme von Silke Willrett. Anders als viele ihrer Kollegen verzichtet Gürbaca auf Anspielungen auf Hollywood-Filme à la Hitchcocks Vertigo. Die dramatische Schlagkraft geht von der darstellerischen Intensität der Darsteller und dem symphonischen Sog des Orchesters aus.
Das Thema der Oper bezieht seinen Reiz nicht zuletzt aus dem ambivalenten Lancieren zwischen irrealen und erträumten Bewusstseinssphären. Paul will sich mit dem Tod seiner über alles geliebten Frau Marie nicht abfinden und zieht sich in eine von ihm geschaffene Traumwelt, der „Kathedrale des Gewesenen“, zurück. In der Tänzerin Marietta sieht er die Inkarnation seiner toten Frau und erhofft sich, mit ihr an das glückliche frühere Leben anknüpfen zu können. Als die Illusion platzt, tötet er Marietta. Welche Teile der Handlung real und welche fiktiv zu verstehen sind, lässt Korngold offen. Und zwar bewusst. Das Unerklärliche ist schließlich ein wichtiges Element des Fin de Siècle mit seinem Hang zur Dekadenz. Ob in einem eher reißerischen Stück wie Die tote Stadt oder einem symbolistisch verschlüsselten Werk wie Debussys Pelléas et Mélisande: Die Spannung ergibt sich gerade aus der Erkenntnis, wie unsicher unsere Wahrnehmung ist und wieviel ungeklärt bleiben muss.
Foto © Paul Leclaire
Versuche, die undurchdringliche Komplexität solcher Handlungen logisch zu entschlüsseln, gehen meist schief. Auch Gürbacas Bemühen, die Handlung auf sattelfeste reale Beine stellen zu wollen, indem sie Marietta als vernachlässigte Zwillingsschwester der toten Marie deutet, die an der Seite Pauls das verlorene Glück ihrer Schwester nachholen will, überzeugt nur wenig, richtet aber zum Glück wenig Schaden an. Denn diese Deutung erfährt man eigentlich nur aus einem Pausengespräch mit der Regisseurin, in der Aufführung spielt sie kaum eine Rolle.
Im Zentrum steht also die persönliche Beziehung zwischen den beiden Protagonisten, die nach einer präzisen Personenführung und dem unverzichtbaren emotionalen Einsatz der Sänger verlangt. Im Detail lässt die Regisseurin dann auch wie erwartet ihr Talent erkennen, auch wenn die Abstandsregeln intensivere Begegnungen der beiden verhindern.
Ohnehin geht die stärkste Sogkraft von den Sängern und dem Orchester aus. Gabriel Feltz, der Generalmusikdirektor der Dortmunder Oper, lässt die geniale Partitur farbenprächtig und mit starkem emotionalem Nachdruck aufblühen. Die beiden Hauptpartien verlangen die Kondition großer Wagner-Partien. Dafür treten in der Rolle des Paul alternierend Burkhard Fritz und Stefan Vinke auf, die beide unter Hochdruck singen, wobei Vinke am Ende hörbar an die Grenzen seiner Kraft stößt. Aušrine Stundyte und Kristiane Kaiser als Marietta fehlt es ebenfalls nicht an Durchschlagskraft, allerdings an einer Prise mädchenhafter Wärme. Kultiviert bringt Wolfgang Stefan Schwaiger seinen Bariton als Frank und Pierrot ein. Dalia Schaechter steuert mit ihrem recht angestrengten Sopran eine eher darstellerisch überzeugende Brigitta bei.
Vorzüglich der Chor der Kölner Oper einschließlich der Jungen und Mädchen der Kölner Dommusik. Dankbarer Beifall für „Große Oper“ in gewohntem Rahmen.
Pedro Obiera