O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Turbulente Frauenbilder

SUSANNA
(Bibiana Jimenez)

Besuch am
3. November 2022
(Uraufführung)

 

Wallraf-Richartz-Museum, Köln

Einer der wichtigsten Fundorte für kreative Ideen ist zugleich das meistverkaufte Buch der Welt. Die Bibel bietet Geschichten und Gleichnisse für beinahe jeden Anlass. Unzählige Künstler haben hier ihre Inspirationen gefunden. Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln hat sich jetzt ebenfalls eines biblischen Themas angenommen. Vom 28. Oktober bis Ende Februar kommenden Jahres ist dort die Ausstellung Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo zu sehen.

Wenn man den kleinsten gemeinsamen Nenner der verschiedenen Fassungen der Susanna-Geschichte nimmt, kann man es so zusammenfassen: Die Frau eines reichen Mannes ist nicht nur schön und fromm, sondern auch gebildet. Sie fällt zwei alten Männern auf, die im Haus verkehren. Sie beobachten die Frau im Park. Eines Tages will sie ein Bad nehmen, lässt die Tore des Parks verschließen, aber die beiden Lüstlinge bleiben in dem Garten. Sie verlangen von ihr den Beischlaf, würden sie ansonsten des Ehebruchs mit einem Jüngling beschuldigen. Susanna weigert sich, wird daraufhin wie angedroht angeklagt – und zum Tode verurteilt. Der Prophet Daniel interveniert und besteht auf einer getrennten Befragung der beiden Ältesten. Die verstricken sich in Widersprüche, Susanna wird freigesprochen, die beiden kommen zu Tode. Bekannt ist die Geschichte als Susanna im Bade oder auch Susanna und die (beiden) Ältesten.

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Nach eigenen Angaben hat das Museum nun die weltweit erste Ausstellung zu dem Thema zusammengetragen. Neben eigenen Beständen gibt es Leihgaben aus renommierten europäischen Museen. Das Museum beschränkt sich auf der eigenen Webseite auf eine vergleichsweise knappe Ankündigung mit der Nennung einiger berühmter Namen wie Rembrandt, Manet oder Corinth und zeigt eine Dia-Schau. Man muss einen Moment warten, bis die Bilder zu laufen beginnen. Darüber hinaus lockt das Museum die Besucher mit einer zusätzlichen Veranstaltung. Die Verantwortlichen haben die Kölner Choreografin Bibiana Jimenez und ihr XXTanztheater beauftragt, eine Choreografie zu dem Thema zu entwickeln. Jimenez ist gleich in zweifacher Hinsicht für dieses Thema prädestiniert. So sind ihr nicht nur „Frauenthemen“ wichtig, sondern gern setzt sie sich auch mit ortsspezifischen Gegebenheiten auseinander.

Der Stiftersaal im Museum hat sich in eine riesige Bühne verwandelt. Oder um in der Sprache der Choreografin zu bleiben, in einen Parcours. Da wird die eigentliche Bühne des Saals als Station genutzt. Ihr gegenüber sind einige Stuhlreihen aufgebaut. Wer dort sitzt, wird allerdings vergleichsweise wenig von der Aufführung mitbekommen. Links und rechts der Bühne stehen Kabinen. In einer läuft eine Bilderschau. An der rechten Wand gibt es eine „Musikstation“ und eine Art Zerrspiegel. In der Mitte des Raums ist eine weitere Kabine eingerichtet. Es ist also von Anfang an klar, dass man den Raum nicht von einer Position aus überblicken kann. Der Zuschauer muss sich mit dem Geschehen mitbewegen, so er es denn mitbekommt. Eine reichlich anstrengende Angelegenheit, die durch die Nähe zu den Akteuren belohnt wird.

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„Voyeurismus, Nötigung, sexuelle Gewalt, Verleumdung, die Ausnutzung institutioneller Macht“ – das sind die Bilder, die Jimenez mit ihrem Team aus der Susanna-Geschichte in abstrahierter Form erarbeitet. Bei den Kostümen war Katya Markush behilflich. Das reicht von der Toga über die sich häutende Schlangenhaut bis zu den zeitlosen Kostümen der Männer. Sophia Otto, Felicia Nilsson und Jacob Gómez haben ein gewaltiges tänzerisches Pensum in streckenweise hoher Geschwindigkeit zu absolvieren, immer mit Rücksicht darauf, nicht mit dem Publikum zu kollidieren, das sich um sie herum drängt.

Ergänzt wird der teils exzessive Tanz durch Musik und Text. Neben Händel und Schubert ist der Abend von den Kompositionen Marei Seuthes und Klaus Mages‘ geprägt. Während Seuthe in der Mittelkabine Platz genommen hat und von dort aus Cello spielt, Geräusche erzeugt und Gesang beisteuert, lässt sich Mages über die „Außenbühne“ treiben, bedient Perkussion und Glasharfe. Konterkarierend gibt es Musik aus den 1930-er Jahren. Susanne Reuter spricht dazu Texte von Ulrike Janssen, es gibt zotige bis mordlüsterne Gedichte.

Etwas mehr als eine Dreiviertelstunde kocht der Saal. Die Intensität ist mit Händen zu greifen. Man kann davon nicht genug bekommen, vielleicht auch nicht beim ersten Besuch alles erfassen. Da ist es gut, dass es zahlreiche Folgetermine nicht nur im Museum, sondern auch beim Kooperationspartner Theater der Keller gibt. Jimenez steht damit beispielhaft für die Choreografen der so genannten Freien Szene, denen kulturelle Institutionen kaum mehr das Wasser reichen können. Wer Ballett sehen will, gehe in die Museen von Oper und Stadttheater. Wer zeitgenössischen Tanz vom Feinsten sehen will, ist in der so genannten Freien Szene besser aufgehoben. Dazu trägt sicher auch bei, dass gerade die erfolgreichen Choreografen verstärkt mit beständigen Teams – von Ensembles möchte man noch gar nicht reden – arbeiten.

Das Publikum an diesem Abend ist vollauf begeistert. Und es dauert lange, bis die Menschen trotz eigener Erschöpfung das Museum verlassen.

Michael S. Zerban