O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sandra Then

Aktuelle Aufführungen

Ballade von der Gerechtigkeit

THE STRANGERS
(Frank Pesci)

Besuch am
4. Oktober 2023
(Premiere am 30. September 2023)

 

Oper Köln, Staatenhaus Deutz

An brisanter Aktualität mangelt es der neuen Oper des amerikanischen Komponisten Frank Pesci The Strangers nicht, die jetzt im Kölner Staatenhaus aus der Taufe gehoben wurde. Es ist die erste von zwei Uraufführungen, die Kölns Musikchef François-Xavier Roth für seine vorletzte Spielzeit am Rhein in Auftrag gab.

The Strangers – die Fremden – geht auf eine wahre Begebenheit zurück. 1890 wurde der Polizeichef von New Orleans erschossen. Der Verdacht fiel sofort auf sizilianische Einwanderer, die vor Gericht gestellt, aber mangels Beweisen freigesprochen wurden. Der „unbescholtene“ Mob, darunter Honoratioren aus Stadt und Kirche, nahm die Gerechtigkeit in seine Hand und erschoss die vermeintlichen Täter in der Gefängniszelle. Belangt wurde dafür niemand.

Fremdenhass, Rassismus, sozio-kulturelle Arroganz bis zu eigenmächtiger Lynchjustiz. Vieles, was die sizilianischen Einwanderer, die am unteren Rand der Gesellschaft halbherzig als fleißige Hilfsarbeiter und Nachkommen der befreiten Sklaven geduldet wurden, in Worten und Taten zu ertragen hatten, ist nicht weit entfernt von heutigen Berichten und Debatten über Einwanderung, Flucht und Rassismus. Librettist Andrew Altenbach stellt das Schicksal des mit großen Hoffnungen angereisten Paares Iania Costa und Emmanuele Polizzi ins Zentrum der Handlung, an dem sich Polizei, Wirtschaftsbosse, Stadtobere und das „gesunde Gerechtigkeitsgefühl“ der Bürgerschaft austoben.

Foto © Sandra Then

Nicht ganz ohne plakative Schwarzweiß-Malerei, aber auch ohne aufdringlich belehrenden Zeigefinger. Eine tragfähige Vorlage für eine zweistündige Oper. Allerdings überzieht der 49-jährige Komponist das Publikum ohne Pause mit einem durchgängig hektischen, überwiegend tonalen und so dicht und komplex gestrickten Klangteppich, dass die vielen Anklänge an Folksongs, Jazz und Kirchengesänge kaum wahrgenommen werden können. Eine emsige, aber nicht unbedingt emotional ansprechende Fleißarbeit für das 16-köpfige Instrumentalensemble, das Harry Ogg sicher durch den Abend führt.

Das Publikum im Staatenhaus sitzt in der Inszenierung von Maria Lamont kreisförmig um sechs verschiebbare Bühnenelemente, die mit wenigen Requisiten effektiv für die Szenarien vom Liebesnest bis zur Trauerhalle hergerichtet werden können. Eine Laterne, ein Schreibtisch, ein Sarg oder ein Bett reichen aus, um die Lokalität erkennbar zu machen. Die vitale Personenführung und die wandernden Podien verstärken allerdings noch den aktionistischen Überdruck der Musik, überspielen aber auch manchen klingenden Leerlauf und manche trockene Gesangslinie. Der fragwürdige Umgang mit den Singstimmen ist ein Problem vieler zeitgenössischer Opern. Auch Pesci belässt es über weite Strecken bei einem rezitativischen, austauschbaren Stil, der nur gelegentlich durchbrochen wird. Etwa durch die wirklich ergreifende, von Regina Richter eindringlich gesungene Elegie der Witwe des erschossenen Polizeichefs oder den Schlusschoral, der ein zwiespältiges Licht auf den Sinn der Freiheitsstatue wirft.

Vokal kann sich die Produktion hören lassen. Eine Ensembleleistung par excellence ohne jeden Ausreißer mit ersten Kräften des Hauses. Allen voran Emily Hindrichs in der besonders differenziert gezeichneten Figur der Iania Costa. Aber auch John Heuzenroeder als getriebener Polizzi, Martin Koch als zynischer Polizeioffizier O’Connor und Regina Richter als emotional anrührende Witwe des erschossenen Polizeichefs: Sie und alle anderen Mitwirkenden sorgen für einen musikalisch hochwertigen Abend.

Bleibt abzuwarten, was Köln mit der zweiten Uraufführung, Ondřej Adámeks Oper Ines, am Ende der Spielzeit zu bieten hat.

Pedro Obiera