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Aktuelle Aufführungen
SPEED/DIE ERMITTLUNG
(Anton-Conrad Salow, Samuel Roth)
Besuch am
4. Oktober 2025
(Uraufführung)
Literaturoper Köln im Kammermusiksaal der Musikhochschule Köln
Meiningen
Die Emigration von Schriftstellern, Künstlern, Antifaschisten und Juden aus Hitler-Deutschland ist ein viel beachtetes Thema in Literatur und Kunst, man denke nur an Uwe Wittstocks Bestseller Marseille 1940 – Die große Flucht der Literatur. Auch die Literaturoper Köln wendet sich diesem Themenkomplex zu. Als Neuproduktion hat Andreas Durban die zwei Kurzgeschichten Speed und Die Ermittlung von Klaus Mann als Grundlage für zwei Kurzopern ausgewählt.
Eigentlich sollten drei Kurzopern Premiere haben. Es war noch ein Werk von Stefan Zweig geplant, aber die Aufführung muss verschoben werden, da die Komposition nicht fristgerecht fertig gestellt worden ist.
Durban bittet das Publikum, die beiden Kurzopern als ein zusammenhängendes Werk zu betrachten und auf den Applaus nach dem ersten Werk zu verzichten. Die beiden Opern sind aber nicht miteinander verwoben, sondern werden als zwei eigenständige Werke aufgeführt. Sie unterscheiden sich deutlich, was die Dauer betrifft. Während Speed etwa 75 Minuten lang ist, dauert Die Ermittlung nur etwas über eine halbe Stunde.
Foto © Literaturoper Köln
Klaus Mann hat Speed 1940 in seinem Exil in New York in englischer Sprache verfasst, da es in dieser Zeit keinen Markt für deutsche Literatur in den USA gab. In seiner Kurzgeschichte verarbeitete er eigene Erfahrungen im Exil. Ulrich Gerhardt hat 1999 für den Bayrischen Rundfunk eine Hörspielfassung von Speed geschrieben.
Der jüdische Bibliothekar Karl Kroll emigriert aus Wien nach New York und mietet ein Zimmer in der heruntergekommenen Unterkunft bei Mr. Prokoff. In Österreich führte Karl ein geachtetes und geordnetes Leben, und nun ist er ohne Arbeit und Freunde in einer fremden Großstadt gestrandet. Bei seinen Streifzügen durch die Stadt lernt er einen jungen Mann kennen, der sich Speed nennt. Der etwas verkommene Jüngling übt eine erotische Anziehung auf den gutbürgerlichen Emigranten aus. Karl wird von seiner billigen Halbwelt-Romantik angezogen und zum Drogenkonsum verführt. Speed und seine Kumpane nutzen die Gutgläubigkeit des Emigranten aus und versuchen, ihn zu erpressen.
Durban ist es gut gelungen, Klaus Manns Kurzgeschichte für die Literaturoper zu adaptieren und ein tragfähiges Libretto zu erstellen.
Anton-Conrad Salow hat mit einer Musik mit vielen schönen Melodiebögen und Harmonien eine wunderbare Oper komponiert. Das Musikensemble wird von Hanyoung Yoo feinfühlig geleitet, wobei das Violoncello von Veroniki Rezai und die Bassklarinette von Tilmann Kraft, neben dem wichtigen Schlagwerk, mit dem viele Effekte in Szene gesetzt werden, besonders bemerkenswert sind. Die Musiker befinden sich hinter einem durchsichtigen Vorhang, mit dem der Bühnenhintergrund abgetrennt ist. So sind sie noch ein wenig sichtbar, aber das Publikum wird trotzdem nicht vom Bühnengeschehen abgelenkt.
Die Gesangsleistung des ganzen Ensembles ist hervorragend. Besonders hervorzuheben sind die stimmlichen Leistungen der Hauptrollen, des Tenors Younes Müller als Karl und der Sopranistin Hannah Mytnyk als Speed. Müller, der 1995 in Aachen geboren ist, studiert seit 2023 Gesang bei Raimund Nolte, spielt hier seine erste große Opernrolle und das mit Bravour. Hanna Mytnyk, 27 Jahre, stammt aus der Ukraine und ist seit letztem Jahr im Masterstudiengang Gesang. Erwähnenswert ist auch Sopran IO Anneli Milncic in der Doppelrolle von Speeds Schwester Lucy und als Bardame.
Foto © Literaturoper Köln
Mit wenigen Requisiten wie einem Bett, einem Sessel oder einem Bügelbrett als Bühnenbild, wird die Handlung sehr effektiv unterstützt. In der Tradition von Peter Brooks Der leere Raum wird dem Publikum so viel Raum für eigene Bilder gegeben.
Die Kostüme von Angela C. Schütt bilden die Tristesse des Emigranten und das verkommene Unterweltmilieu sehr gut ab. Unterstützt wird das durch die Projektionen von Daniel Gronsfeld, in denen die Unwirtlichkeit des winterlichen New York dargestellt wird. Sehr sparsam, aber bildmächtig werden hinter dem Vorhang auch Tänzerinnen eingesetzt, die einmal als Engel und ein andermal als Stripperinnen auftreten.
In Die Ermittlung von Mann steht ein kriegsblinder deutscher Soldat im Mittelpunkt, gespielt von dem Countertenor Nima Pournaghshban. Er sucht Liebe bei der amerikanischen Prostituierten Betty, gespielt von der Sopranistin Simge Cifci, und wird von ihr betrogen und ausgeraubt. Der blinde Soldat lernt Betty in einer Kneipe kennen, und als er ihr erzählt, dass er in seinem Koffer Geld vom Verkauf seines Hauses habe, bietet sie ihm an, bei ihr zu übernachten. Sie fingiert eine Hochzeit und raubt sein Geld. Der strenggläubige Soldat bemerkt schließlich den Betrug und entwickelt einen bösen Racheplan. Er versöhnt sich scheinbar mit Betty und bittet sie, ein Messer aus seinem Koffer zu holen. Als Betty ihm das Messer bringen will, schießt er sie in scheinbarer Notwehr nieder. Er nimmt den Rat seiner Verteidigerin nicht an und sagt, dass er ein Stück Dreck beseitigt habe. So endet er auf dem
elektrischen Stuhl. Regisseur Durban hat auch hier ein klares, gut nachvollziehbares Libretto geschrieben. Samuel Roth, der ebenso wie Anton-Conrad Salow aus der Kompositionsklasse von Johannes Schild stammt, hat ebenfalls eine ausgesprochen wohlklingende Opernmusik geschrieben, bei der zwei Klaviere im Mittelpunkt stehen. Seine Musik zeichnet sich durch schöne Harmonien aus und bringt hervorragend die Handlung der Oper zur Geltung. Das Instrumentalensemble unter Leitung von Georg Razumovskij setzt die Komposition mit viel Energie und Einfühlungsvermögen um. Besonders der Gesang der beiden Hauptfiguren ist bemerkenswert. Die Oper endet mit einer längeren, sehr eindringlichen Arie von Pournaghshban, die er auf dem elektrischen Stuhl kurz vor seiner Hinrichtung singt. Damit endet die Oper auf tragische Weise. Die Ausweglosigkeit und Tragik seiner Figuren spiegelt die geistige Verfassung von Klaus Mann im Exil wider und führt dazu, dass er sich drei Jahre später das Leben nimmt.
Die beiden Kurzopern Speed und Die Ermittlung frei nach Klaus Mann sind ein gelungener Beitrag der Literaturoper zum 100-jährigen Bestehen der Hochschule für Musik und Tanz Köln, und ein Besuch ist lohnenswert.
Uwe Bräutigam