O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Der gute Wille zählt

12. SOLODUO-FESTIVAL
(Barnes Crossing)

Besuch am
31. Juli 2020
(Erster Durchgang)

 

Kunstzentrum Wachsfabrik, Köln

Klingt eigentlich erst mal nicht so wild, was Veranstalter in diesen Tagen zu beachten haben: Für ausreichend Abstand sorgen, Desinfektionsmittel bereitstellen, Maskenschutz auf dem Weg zum Sitzplatz, ausreichende Belüftung der Räume, Gästelisten führen. In der Praxis ist damit für jeden Veranstalter ein immenser Organisationsaufwand verbunden, und gerade für den Ungeübten bedeutet es puren Stress. Da ist es schon eine Erleichterung, dass das Publikum sich diszipliniert und verständnisvoll verhält.

Diese Erfahrung macht auch gerade Barnes Crossing. Der Freiraum für Tanz, Performance, Kunst, wie sich der Verein selbst nennt, der seine Spielstätte im Kunstraum Wachsfabrik in Köln unterhält, hat sich mächtig angestrengt, um sein jährliches SoloDuo Festival NRW + friends durchzuführen – wenn auch mit zweimonatiger Verspätung und ohne Duos. Bereits zum zwölften Mal wird das eigentlich dreitägige Festival veranstaltet. Auch an diesem Wochenende findet es an drei Tagen statt, allerdings zeigt der zweite Tag in diesem Jahr den Durchlauf des ersten Tages, ehe es am dritten Tag zur offiziellen Preisverleihung kommt. Unter Einbeziehung der daneben liegenden Kneipe ist ein Einbahnstraßensystem eingerichtet worden, alle geforderten Maßnahmen werden vorbildlich eingehalten. Zusätzlich konnten die Eintrittskarten nur im Vorfeld über das Internet bezogen werden. Trotzdem sind die 39 Plätze samt und sonders besetzt.

Erschwerend kommt an diesem ersten Tag die Hitze hinzu. Endlich ist das Thermometer weit über 30° Celsius gestiegen. Aber es gibt in der Spielstätte keine Klimaanlage. Wer will sich darüber beschweren? Gerade hat die Stadt Köln die Finanzierung der Spielstätte für die nächsten vier Jahre bewilligt. Da steigt trotz Schwitzens die Laune. Vier Jahre finanzielle Sicherheit – das ist im zeitgenössischen Tanz keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Und es bedeutet zudem, dass das Festival weiterhin stattfinden kann. Ob das Festival seinem Anspruch gerecht werden kann, „die ganze Bandbreite des jungen zeitgenössischen Tanzes aus Deutschland und Europa“ zu zeigen, mag gerade in diesem Jahr dahingestellt bleiben. Zu guter Letzt fällt auch noch der französische Beitrag wegen einer Erkältung aus. Bleiben also neun Solisten, die an diesem Abend das Publikum vom zeitgenössischen Tanz innerhalb von maximal je sechs Minuten überzeugen wollen.

Antonia Koluiartseva – Foto © Alessandro De Matteis

Den Anfang macht Djamila Polo, die derzeit an der Folkwang-Hochschule Essen studiert, nachdem sie eine erste Ausbildung an der Schule für Tanz, Improvisation und Performance in Freiburg absolvierte. In ihrem Stück An alles, was nie war oder sein wird will sie extreme Körperpositionen und Bilder untersuchen. Hier überzeugt vor allem ihre Armarbeit, die auch in extremer Rückenlage originell wirkt. Ein guter Auftakt, dessen Niveau Elisabeth Kindler-Abali zu halten vermag. Sie studierte an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden. Heute arbeitet sie als freie Choreografin und Tänzerin und ist die Künstlerische Leiterin von Animi motus. In ihrer Arbeit Quotenfrau überrascht sie am Ende mit einem humorvollen Strip, der lange dauert und garantiert keine moralischen Ansprüche verletzt. Dieser Gefahr begegnet auch Nitsan Margaliot nicht. Der in Israel und Berlin lebende Tänzer, Choreograf und Lehrer verzichtet auf die musikalische Auseinandersetzung in seinem Stück Returning, verlässt sich ganz auf einen stark abgehobenen Überbau, dem man nicht so ganz zu folgen vermag, und beeindruckt vor allem mit flatterhaften Bewegungen, die uns im Laufe des Abends noch einmal in einem anderen Zusammenhang begegnen werden. Julia Berger kommt aus der Sektion Physisches Theater der Folkwang-Hochschule in Essen und wirft bei aller Bedeutung der Hochschule die Frage auf, ob sie mit einem Drittel der Solisten nicht überrepräsentiert ist. In ihrem Stück Suckerpunch überrascht Berger in schwarzer Hose und neongrünem T-Shirt mit manch ungewohnter Bewegung, wenn sie beispielsweise gekonnt von einer Wand gestoppt wird. Leider ist der Text, den sie nach Klaviermusik aus dem Off sprechen lässt, unverständlich, unterstreicht aber die Wirkung ihres Auftritts. Einen ungewöhnlichen Auftritt bietet Philipp Caspari mit Flow My Tears, der eine ebenso ungewöhnliche Ausbildung hinter sich hat. Die Kirchenmalerei hat er in Bayern erlernt, den Gesang in Salzburg und beim Tanz lernt er immer noch. In seinem Stück kombiniert er den Tanz mit Gesang. Das kann natürlich nicht gut gehen, und das kostet Caspari voll aus. Zwischen den Stimmfächern Countertenor und Bariton zeigt er, was mit der Stimme unter extremer körperlicher Bewegung alles schiefgehen kann.

Azizè Flittner hat die Moderation übernommen. In erfrischend kurzen Anmoderationen, wenngleich ideologisch verbrämt mit Pseudo-Gender-Ansprache, gibt sie kurze Hinweise auf die Deutung des Geschehens und stellt den Künstler vor. Das ist informativ. Und wenn sie die zu hörenden Texte kurz erklärt, wünschte man sich, dass das bei allen Stücken so wäre. Abgesehen von den sprachlichen Entgleisungen, erledigt sie einen guten Job. Und so finden nach ihren Anweisungen auch alle Besucher geordnet in die halbstündige Pause.

Djamila Polo – Foto © Alessandro De Matteis

Alina Reißmann kommt von der Musikhochschule Köln und präsentiert ihr Stück testa|mōne zu einem Gedicht von Sekou Sundiata mit dem Titel Shout out. Da heißt es posieren – schreiten – posieren. Was vom Bewegungsmaterial eigentlich funktioniert, bleibt ein wenig im olivgrünen Sackgewand hängen. Eindrucksvoller ist da schon, was Eliane Roumie aus Griechenland abliefert. Unter dem Titel Übergang erzählt die Tänzerin, die in Athen und Brüssel ihr Handwerk gelernt hat, die Lebensgeschichte ihres syrischen Vaters, der für die Liebe seines Lebens nach Athen ging und sich am Ende seiner Geschichte nach Syrien zurücksehnt, um seiner Familie nahe zu sein. Mit kraftvollen Posen und eingespielten O-Tönen des Vaters entsteht ein glaubhaftes Werk, das nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Antonia Koluiartseva fragt sich, ob die Liebe überbewertet wird. Und das gelingt ihr mit No Love Solo ausgesprochen gut. Mit schwarzen Lederhosen, schwarzem T-Shirt und schwarzen Lackschuhen ist die russische Choreografin, die derzeit an ihrem Master an der Folkwang-Hochschule Essen arbeitet, die eindeutig erotischste Erscheinung des Abends. Wohin auch immer sie ihre Herzen mit Lippenstift malt, es stellt die Liebe in ihrer Wertigkeit in Frage. Beim letzten Beitrag des Abends stellt sich ernsthaft die Frage nach dem Überbau. „Das Stück, das sich mit den geschlechtsspezifischen Erwartungen in der normativen Gesellschaft befasst, hinterfragt das politische Bewusstsein für Vielfalt und Sexualität“. Kinders! Da macht einer ein schönes, einfallsreiches Stück über Hühner. Ist originell mit Zellophan-Folie eingekleidet, die sich federngleich vom Hals löst, seine Bewegungssprache ist originell, macht Spaß und letztlich ist das Mini-Make-up lustig.  Dazu kommt eine passende akustische Untermalung. Ist doch alles gut. Manchmal ist man die kontextuale Überzeichnung auch einfach leid. Mit Living in Capslock liefert Mikkel Alexander tøttrup einfach eine überzeugende, unterhaltsame, leichte Arbeit ab, die allemal preisverdächtig ist.

Die Jury, bestehend aus Ildikó Mándy, Künstlerin aus Ungarn, Jens Curtis, einem deutsch-amerikanischen Choreografen, und Britta Lieberknecht, Choreografin aus Deutschland, hat jetzt über die Preisträger zu entscheiden, nachdem das Publikum sein Votum abgegeben hat. Die Entscheidung wird der Jury nicht leichtfallen, egal, unter welchem Aspekt man die Leistungen beurteilt. Zwei Tage später fällt die Entscheidung: Djamila Polo gewinnt den Publikumspreis und den Preis der besten Nachwuchstänzerin, als besten Tänzer sieht die Jury Nitsan Margaliot und das beste Solo hat nach ihrer Meinung Philipp Caspari abgeliefert.

Michael S. Zerban