O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Nare Karoyan, Judith Hoffmann, Malin Nagel und Anno Schreier - Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Konzert war gestern

SCHUMANN – EINE UNGEWÖHNLICHE FAMILIE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
20. August 2021
(Uraufführung)

 

Altes Pfandhaus, Köln

Manchmal kocht auch dem inzwischen abgehärteten Kulturliebhaber die Galle hoch. Beispielsweise, wenn man in Nordrhein-Westfalen erlebt, mit welcher Beliebigkeit die Regierung mit der Kultur umgeht. Erst am vergangenen Dienstag wurden – endlich – Sitzplatzbeschränkungen aufgehoben. Zu spät für eine ganz wunderbare Aufführung, die so nicht mehr rechtzeitig beworben werden konnte. So haben keine 20 Zuschauer in das Alte Pfandhaus in Köln gefunden. Es geht ja nicht einmal um die Einnahmenausfälle, die sind schon ärgerlich genug. Da haben, wie gleich zu zeigen sein wird, Künstler richtig, richtig viel Arbeit investiert. Um das Ergebnis dann im „Familienkreis“ zu präsentieren. Das hält auf Dauer niemand durch.

Vor mehr als 200 Jahren entstand in der Kölner Südstadt das städtische Kölner Leihhaus. 2006 wurde das Alte Pfandhaus zu einem Kulturzentrum mit Schwerpunkt Jazz und Kunst umgebaut. Das Herz des Hauses ist der Konzertsaal mit bis zu 300 Plätzen, der sich in seiner „demokratischen“ Anordnung und Akustik ideal für Jazz und Kammermusik eignet. Aus den ehemaligen Pfandlagern wurden Ausstellungsflächen. Von der Anreise mit dem Auto ist allerdings abzuraten. Die Parkplätze im Innenhof sind samt und sonders an privat vermietet, in den umliegenden schmalen Seitenstraßen findet man nur mit viel Glück und Gottesgnade einen Parkplatz und ein Parkhaus sucht man im näheren Umfeld vergebens. Aber da Köln sich mit seinen Tempo-30-Zonen, zahlreichen Radarfallen, einer unglaublichen Anzahl von Straßenbaustellen, die jede Verkehrssicherheit vermissen lassen, und der ständigen Verengung des Straßenraums – übrigens ohne auch nur ein Quäntchen Lebensqualität hinzugewonnen zu haben – ohnehin inzwischen zu einer der autofeindlichsten Städte mindestens Nordrhein-Westfalens entwickelt hat, spielt das dann auch keine Rolle mehr.

Judith Hoffmann – Foto © O-Ton

Wer es also trotzdem an diesem Abend zum Alten Pfandhaus schafft, darf sich auf eine ganz außerordentlich interessante Aufführung freuen. Schumann – eine ungewöhnliche Familie haben Pianistin Nare Karoyan und Sopranistin Judith Hoffmann ihr neuestes Programm genannt. Und mit einem Konzert hat es nur noch bedingt etwas gemein. Viele Künstler träumen ja davon, gewöhnliche Konzertformate aufzubrechen und ihrem Publikum etwas ganz Neues zu präsentieren. Auf diesem Weg sind moderierte Konzerte, Gesprächskonzerte und andere Ideen entstanden. Was sich abzeichnet, ist, dass es nicht so sehr um die Form geht, sondern darum, dass die Musiker eine für sie maßgeschneiderte Folie finden. Karoyan und Hoffmann wollen hier auf Nummer sicher gehen und haben mit Malin Nagel eine Dramaturgin und Regisseurin in die Planung einbezogen, die aus ihrer ungewöhnlichen Idee den perfekten Abend zaubern soll. Und das gelingt.

Der Raum liegt im Halbdunkel. Ein Flügel ist aufgebaut, die Schutzhülle verdeckt ihn noch. Im Hintergrund steht der dazu passende Hocker. Sonst ist nicht viel zu sehen. Mit zehnminütiger Verspätung betritt Karoyan den Raum, rückt den Hocker zurecht, entblättert die Klaviatur und beginnt zu spielen, während aus dem Treppenhaus die Stimme Hoffmanns erklingt. Er ist gekommen in Sturm und Regen hat Friedrich Rückert geschrieben, und Clara Schumann hat es vertont. Damit betritt Hoffmann die Szene. Was sich jetzt entspinnt, ist so etwas Verrücktes wie ein Stummfilm mit Liedern und Texten. Die Künstlerinnen beäugen neugierig, was die jeweils andere macht, ohne miteinander zu sprechen. Hoffmann deckt den Flügel ab, faltet die Hülle sorgsam und legt sie beiseite. Aus einer Ecke holt sie einen Holzkasten mit Schiebedeckel, von weiter hinten einen Tisch und zwei Stühle. Währenddessen ziehen zwei Lieder von Robert Schumann am Publikum vorbei. Im Kasten finden sich die Text-Pretiosen, die nun vorwiegend von Hoffmann vorgetragen werden. Nur hin und wieder darf auch Karoyan das Wort ergreifen. Als allerdings die Sängerin in die Tasten greift, weist die Pianistin sie rasch in die Schranken. Und schon werden Lieder von Felix Schumann und Johannes Brahms dargeboten. Nach einem weiteren Ausflug in die Romantik mit jeweils einem Lied von Robert und Clara Schumann geht es ins Hier und Heute.

Was hat die Gegenwart mit der Familie Schumann zu tun? Karoyan und Hoffmann haben bei Anno Schreier drei Lieder nach Texten von Robert Schumann in Auftrag gegeben. Es ist nicht die erste Arbeit, früher schon hat Karoyan den Komponisten, der bislang vorwiegend mit Opern aufgefallen ist, mit Liedern nach Christian Morgenstern beauftragt, jetzt also geht es um Schumann. Und Schreier fügt sich nahtlos in die Familie ein. Zumindest sorgt Hoffmann dafür.

Mit Mein Stern von Clara Schumann geht der Abend zu Ende, der wunderbare Texte aus dem Buch Claras Kinder von Eugenie Schumann beinhaltet. Ein großartiger Einblick in die Welt der Familie Schumann, virtuos begleitet von Nare Karoyan, hervorragend gesungen von Judith Hoffmann und ganz nebenbei gibt es drei Uraufführungen von Anno Schreier, der selbstverständlich aus diesem Anlass angereist ist. Viel mehr geht wohl nicht. Findet auch das Publikum, dass alle Künstler ausführlich feiert und anschließend noch lange bleibt, um sich persönlich zu bedanken. Und wer jetzt ganz schnell ist, kann sich noch eine Karte für die Aufführung am kommenden Sonntag in Berlin-Schlachtensee sichern. Denn weitere Aufführungen sind erst mal nicht vorgesehen.

Michael S. Zerban