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Morgenroutine im Bad

TPC – THE PERFECT CLONE
(Sara Blasco)

Gesehen am
30. April 2021
(Uraufführung/Stream)

 

Tanzfaktur, Köln

Mit Grenzen hat Sara Blasco selten etwas anzufangen gewusst. In Valencia geboren, studierte sie am dortigen Konservatorium für Musik und Tanz zeitgenössischen Tanz und schloss gleichzeitig ein Bachelorstudium in audiovisueller Kommunikation an der Polytechnischen Universität ab. Nach dem Studium scherte sie sich wenig um die Unterschiede zwischen der so genannten Freien Szene und Kulturinstitutionen. Als Tänzerin, Choreografin und Produktionsassistentin arbeitete sie in der Company María Carbonell, als Tänzerin mit Eva Bertomeu. Daneben tanzte sie für Fura dels Baus an der Oper von Valencia. 2011 ging sie an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, während sie für verschiedene Companies als freie Tänzerin in Köln, Bonn, Dortmund und Köln auftrat. Kaum noch erwähnenswert, dass sie auch immer wieder mit eigenen Choreografien auffiel, unter anderem für Joan Anton Recchis Ariadne auf Naxos am Theater Aachen.

In ihrer neuesten Arbeit erweitert sie die Grenzen in den virtuellen Raum. Bereits im Januar stellte sie mit Dematerialized ein work in progress vor, in dem sie sich mit Hologrammen beschäftigte. Da ging es ihr noch recht pragmatisch darum, die Entmaterialisierung des Tanzes in Zeiten der Digitalisierung aufzuzeigen. Mit TPC – The Perfect Clone geht Blasco einen Schritt weiter, indem sie die Hologramme, das sind, stark vereinfacht ausgedrückt, 3D-Projektionen, nicht mehr um ihrer selbst willen nutzt, sondern als Bestandteil ihrer Arbeit sieht. „TPC ist eine Reise zu der Frage, was unsere Persönlichkeit und unsere Identität im analogen wie im virtuellen Leben ausmacht. Auf der Suche nach unserer wahren Identität erfahren wir die Gegensätze zwischen Wunsch und Sein, Schöpfer und Schöpfung, Kontrolle und Kontrollverlust“, beschreibt Blasco die Kernaussage ihres neuen Werks.

In der Praxis könnte das Video möglicherweise auch als Lehrfilm für Psychiater zum Thema Schizophrenie dienen. Die Bühne von Tobias Zimmermann und Jan Kutscher ist so einfach wie raffiniert. Und sie erinnert wie auch die Handlung an eines dieser vielen YouTube-Filmchen, in denen junge Frauen zeigen, wie sie ihr Zimmer aufräumen, die Küche reinigen, neueste Garderobe vorführen oder ihre Morgenroutine im Bad vollführen. Immerhin scheint damit das Publikumsinteresse garantiert, denn diese Videos generieren hunderttausende von Betrachtern. Auf einem Podest ist eine freistehende Badewanne in der linken Bildhälfte platziert, rechts ist Platz für eine Toilette. Vor drei Stufen steht links ein Regal, zwei Badteppiche vervollständigen die Ausstattung. In diesem Ambiente tummelt sich Blasco als reale Person. Räkelt sich in der Badewanne, entsteigt, geht zur Morgengymnastik über, nimmt den Betrachter mit zum Toilettengang und erfreut sich einer morgendlichen Tanzübung. Paula Noller hat sie dazu in eine hautfarbene Trikotage und einen Bademantel gesteckt, den sie zwischenzeitlich ablegt. Es ist also durchaus auch für eine erotische Komponente gesorgt.

Begleitet wird die Tänzerin von den Hologrammen von Melli Müller und Lisa Hellmich, ebenfalls in hautfarbene Unterwäsche gekleidet. Die schweben zunächst durch den Raum, tanzen später, stark verkleinert, im Regal, ehe sie sich auf Augenhöhe parallel zu Blasco bewegen. Für die Hologramme ist ebenfalls Zimmermann verantwortlich, dem sie, sagen wir, zu 90 Prozent gelingen. Da wirkt doch so manches ausgefranst und unscharf. Die Kunst in der Choreografie, erzählt Blasco, liegt darin, dass man die Hologramme trotz ihres 3D-Effektes, für den übrigens keine spezielle Brille notwendig ist, nur auf der seitlichen Linie bewegen kann. Ein vor und zurück gibt es nicht.

Sieht man von der technischen Faszination des Machbaren ab, hätte dieser Auftritt auch ein wunderbares Solo sein können. Auch wenn man – zusätzlich untermalt von den Armbewegungen der Choreografin – sehr gut die Abspaltung der Persönlichkeiten versteht, sind sie nicht halb so aufregend wie die eigentliche Tänzerin selbst. Und so nimmt man sehr bald schon die Hologramme als Nebenerscheinung wahr und konzentriert sein Augenmerk mehr auf die Morgenroutine der Hauptdarstellerin, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Untermalt wird das Geschehen von der Musik, die Alessandro De Matteis zusammengestellt hat.

Nicht umsonst hat Blasco ihr neues Werk ausdrücklich als Experiment gekennzeichnet. Und darin liegt der Wert ihrer Arbeit. Ähnlich wie Kobie van Rensburg mit The Plague hat sie hier Neuland betreten. In diesem Zusammenhang sei an die ersten laufenden Bilder der Brüder Lumière erinnert, aus denen viele Jahre später großartiges Kino entstehen sollte. Und so kann man diese Versuche von Sara Blasco und ihrem sehr engagierten Team nicht hoch genug einschätzen. Das Video sollte man übrigens unbedingt bis zum Schluss anschauen, weil nach dem Abspann noch einmal Müller und Hellmich in der Green Box, also im Original vor einem grünen Hintergrund zu sehen sind.

Michael S. Zerban