O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Mummenschanz im Irrenhaus

DER MEISTER UND MARGARITA
(York Höller)

Besuch am
6. April 2022
(Premiere am 3. April 2022)

 

Oper Köln, Staatenhaus Deutz

Vor 30 Jahren ist es der Kölner Oper nicht gelungen, mit der Deutschen Erstaufführung York Höllers Oper Der Meister und Margarita zu größerer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Ob es dem opulenten Werk in der aktuellen Neuinszenierung im Staatenhaus besser ergehen wird, ist fraglich.

Michail Bulgakows ohnehin komplexe Romanvorlage eignet sich nur bedingt als Opernstoff, und das vom Komponisten verfasste Libretto erleichtert nicht gerade die Übersicht über die Erzählstränge des Romans. Vollends Verwirrung stiftet Regisseur Valentin Schwarz mit seiner Inszenierung, der im Sommer in Bayreuth den neuen Nibelungen-Ring inszenieren wird und sich mit Höllers fast vierstündiger Oper auf Wagners noch größer dimensionierten Ring einzustimmen scheint.

Foto © Bernd Uhlig

Als der Roman, eine satirische Abrechnung mit dem Stalin-Terror, 1966 in Moskau veröffentlicht wurde, war Bulgakow schon über 20 Jahre tot, schlug aber hohe Wellen. Die Handlung lässt sich nur schemenhaft skizzieren: Der „Meister“ ist mit einem Roman über Pontius Pilatus bei den Funktionären in Ungnade gefallen, weil er damit die Existenz Gottes voraussetzt und bekräftigt. Als Staatsfeind lässt er sich in eine psychiatrische Klinik einweisen, aus der ihn seine Geliebte Margarita mit Hilfe des teuflisch „schwarzen Magiers“ Voland retten will. Verknüpft wird dieses Handlungsskelett mit Rückblicken in den Prozess Jesus‘, wobei der „Meister“ in die Rolle des Erlösers schlüpft. Ein ganzes Arsenal an Journalisten, Hexen, Katzen, Ärzten, Varietéartisten und Schriftstellern kommentieren und erweitern die Handlung. Allerdings maskiert und verzerrt der Regisseur mit den Kostümen Andy Besuchs die Figuren bis zur Unkenntlichkeit, so dass eine Identifizierung zusätzlich erschwert wird. Warum die linientreuen Schriftsteller-Funktionäre als Maler-Karikaturen von Dürer bis Beuys auftreten, bleibt das Geheimnis des Regisseurs. An farbenprächtiger und skurriler Fantasie mangelt es Schwarz und seinem Kostümbildner nicht, wobei sie offensichtlich eher schrille Originalität als satirisch pointierte Schärfe und Klarheit vermitteln wollen. Das Ganze wirkt eher wie ein Kostümfest als eine Abrechnung mit einem Terror-Regime.

An klanglich farbiger Opulenz mangelt es auch der Musik nicht. André de Ridder leitet das in monströser Besetzung aufspielende Gürzenich-Orchester mit bewundernswerter Souveränität durch den langen Abend. Das Orchester liefert eine handwerklich meisterhaft komponierte Klangkulisse, die eine hektische und bedrohliche Stimmung erzeugt, aber auf Dauer recht pauschal und austauschbar wirkt. Zumal die rezitativisch geformten Gesangspartien mit ihren unbequemen Intervallsprüngen zwar schwer auszuführen sind, aber nicht präziser die Situationen einfangen können als das Orchester. Für ihre schwierigen, aber letztlich undankbaren Aufgaben verdienen alle Sänger großen Respekt. An der Spitze Nikolay Borchev in der Doppelrolle des Meisters und Jeschuas (Jesus), Adriana Bastidas-Gamboa als Margarita und Bjarni Thor Kristinsson als „schwarzer Magier“ Voland.

In der Premiere gab es noch Proteste gegen das Regieteam. Angesichts des ernsten, derzeit ungebrochen aktuellen Stoffs reicht kreativer Mummenschanz eben nicht aus, um einem Roman aus der stalinistischen Hölle Russlands gerecht werden zu können.

Pedro Obiera