O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thilo Beu

Aktuelle Aufführungen

Befreiung bleibt die Zukunft

MARIANA PINEDA
(Bibiana Jiménez)

Besuch am
27. Oktober 2023
(Premiere am 25. Oktober 2023)

 

XXTanztheater in der Oper Köln, Staatenhaus Köln-Deutz

Seit Jahren berichtet O-Ton über Produktionen auch aus der so genannten Freien Szene, die mitunter mehr geistige und künstlerische Größe zeigen als dass, was auf den hochsubventionierten Bühnen zu erleben ist. Inzwischen werden Stimmen laut, die fragen, warum es eigentlich ein so deutliches Missverhältnis zwischen den millionenschweren Budgets der staatlichen Häuser und den Fördermitteln der freien Künstler gibt. Anlässlich des geplanten Neubaus der Düsseldorfer Oper wurde bereits mehrfach die Forderung laut, ein Kulturzentrum statt eines Opernhauses zu bauen, unter dessen Dach alle Kulturschaffenden Platz finden. Auch wenn solche Forderungen nicht ausgegoren, sondern eher wie aktivistisches Getöse wirken, werden einige Intendanten hellhörig. Es ist durchaus nicht uneigennützig, wenn sie, wie etwa die Tonhalle Düsseldorf Veranstaltungen durchführen, bei denen Künstler aus der Stadt Auftrittsgelegenheiten bekommen. Demis Volpi versuchte sich in seiner Zeit als Ballettchef in Düsseldorf an einer Kooperation mit dem Tanzhaus NRW. Ob die Intendanten das Zusammenwachsen mit anderen Produzenten tatsächlich kontrollieren können oder nicht irgendwann die Diskussion darüber beginnt, wie man die für die Kultur zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoller verteilen kann, wird die Zukunft zeigen. In Köln hat die Oper gemeinsam mit dem Kulturamt eine Produktion im Staatenhaus ausgeschrieben. Gegen neun Mitbewerber konnte sich das XXTanztheater, das Ensemble von Bibiana Jiménez, durchsetzen, was für Kenner der Szene keine Überraschung sein dürfte. Schließlich gehören die Produktionen von Jiménez seit Jahren zum Feinsten, was mindestens in Köln der zeitgenössische Tanz zu bieten hat. Man könnte es auch so formulieren: Eine solche Gelegenheit war längst überfällig.

Foto © Thilo Beu

Nichts Geringeres als ein Freiheitsdrama hat Jiménez sich auf die sprichwörtlichen Fahnen geschrieben. Ausgangspunkt war das Theaterstück Mariana Pineda von Federico García Lorca, eine „volkstümliche Romanze in drei Bildern“, die 1927 im Teatre Goya in Barcelona uraufgeführt wurde. Pineda war schon in ihrer Jugend eine Freiheitskämpferin, die sich gegen den spanischen König Fernando VII auflehnte und 1831 einen Märtyrertod durch die Würgeschraube sterben musste. Auf die rote Fahne der Revolution stickte sie die Wörter „Freiheit, Gleichheit, Gesetz“. Betrachtet man das Weltgeschehen bis zur Gegenwart, hat sich nicht viel für die Frauen verändert. Um diesen Bogen in ihre Choreografie einzuflechten, hat Jiménez den Dramaturgen Christoph Klimke beauftragt, ein Libretto zu verfassen. Der sieht insbesondere Bezüge zur Gegenwart. Er arbeitet unter der Überschrift „Ich habe Angst“ die Gemeinsamkeiten im Freiheitskampf von Frauen in Afghanistan, im Iran und so vielen anderen Ländern heraus. So entsteht ein komplexer Stoff, den Jiménez vertanzen lassen will. Lorca selbst wurde übrigens 1936 von den Schergen Francos hinterrücks erschossen. Bis zu Francos Tod 1975 blieben seine Stücke in Spanien verboten.

Bei der Umsetzung verlässt sich die Choreografin nicht allein auf ihr Umfeld, sondern veranstaltet Ende September eine offene Probe auf der Probenbühne in der Tanzfaktur. Tatsächlich, so erzählt sie, fanden Beiträge aus dem Publikum dann auch Eingang in die Choreografie. Solchermaßen gerüstet kann es dann in den Saal 3 im Staatenhaus Köln-Deutz, seit vielen Jahren die „Interimsspielstätte“ der Oper Köln, gehen. Marion Eisele hat für den Raum die Bühne entwickelt, Philipp Wiechert das stimmungsvolle Licht eingerichtet. In der Eröffnung sitzen vier Näher an ihren fußgetriebenen, historischen Maschinen – wie man aus dem Programmheft erfährt, in einem Arbeitslager – und nähen an roten Stoffbahnen, die sich bis zum Bühnenrand erstrecken. Hinter ihnen ein Portal, seitlich rollfähige Paravents. Später werden die Nähmaschinen beiseitegeschoben. Etwas unglücklich sind links und rechts Monitore aufgestellt, auf denen später Texte zu sehen sein werden. Da muss man sich schon entscheiden, ob man der Handlung oder dem Text folgen will, und es ist nicht ganz zu verstehen, warum nicht Übertitel auf dem Portal eingeblendet werden. Die Kostüme, die Eisele hat schneidern lassen, sind gleichermaßen bewegungsfreundlich wie fantasievoll. Hemden für die Strafgefangenen in grau, die glücklicherweise nicht an KZ-Drillich erinnern, ein durchbrochenes, schwarzes Flügelkostüm für den Dämon, eine Uniform mit mächtigen, gewollt wackligen Epauletten für den Richter, Kleider für die Marianas, die sie zwischenzeitlich gegen Camouflage-Jacken tauschen – es gibt allerlei zu sehen. Auch nackte Körper. Wer die Choreografien von Jiménez kennt, weiß, dass sie gern zu diesem Stilmittel greift und sehr ästhetisch damit umgehen kann. Und das Umfeld zeigt, dass Jiménez, die gewöhnt ist, mit kleinen Budgets in eher kleinen Räumen zu denken, die große Produktion elegant und gekonnt meistert. Beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Foto © Thilo Beu

Sechs Tänzer bringt die Choreografin auf die Bühne, wobei sie Mariana verdreifacht, um ihre Rolle richtig zu gewichten. In den Vordergrund rückt dabei Daniela Riebesam. Obwohl gewohnt, in den Choreografien Jiménez‘ eine prominente Rolle zu spielen, ist es das erste Mal, dass sie auf einer großen Bühne die Hauptrolle tanzt. Es ist eine Freude, ihr dabei zuzusehen. Ausdrucksstark und souverän hat sie ihren Auftritt im Griff, im Solo darf sie glänzen. Dabei stehen ihre Kolleginnen Nona Munnix und Sophia Otto ihr kaum nach. Davide Degano tanzt einen ätherischen Dämon, sein Lorca hingegen geht etwas unter, was in der dichten Abfolge der Ereignisse aber kaum auffällt. César José Gutiérrez Salas verkörpert einen Pedrosa, der vor allem in kraftvollen Tanzschritten beeindruckt. Allerdings ist Pedrosa der Richter, der Pineda nicht nur sexuell bedrängt, sondern auch zum Tode verurteilt. Da hätte man sich etwas mehr Schärfe und Bösartigkeit gewünscht, auch wenn das Kritik auf hohem Niveau ist. Als Pedro gefällt Jacob Gómez Ruiz.

Choreografisch bleibt Jiménez nichts schuldig, was einen aufregenden zeitgenössischen Tanzabend ausmacht. Angefangen vom Freiheitskampf mit neu interpretierter emporgereckter Faust über die Liebesszene, den Messerkampf bis hin zu Anleihen an das klassische Ballett, wenn die Tänzer ihre Sprungstärke beweisen dürfen.

Valerji Lisac hat eine spanische Revolutionshymne unter eine rhythmische Klangwelt gelegt. So gelingt ihm eine authentische Stimmung und die Steuerung der musikalischen Dramatik, die entscheidend zum Gelingen eines fantastischen Abends beiträgt.

Nach 90 Minuten ist klar, dass nicht Widerstand die Zukunft ist, sondern Befreiung. Und die gelingt am besten, wenn Frauen und Männer gemeinsam daran arbeiten. Das Publikum feiert die Tänzer. Und vielleicht wird der eine oder andere in Zukunft auch mal in ein Studio, eine kleine Bühne oder einen Klostergarten gehen, um mehr solcher Ereignisse zu erleben. So oder so haben Bibiana Jiménez und ihr XXTanztheater der Freien Szene einen großen Dienst erwiesen. Und die Oper Köln will künftig alle zwei Jahre eine solche Produktion ausschreiben.

Michael S. Zerban