O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Freiluftromantik mit Hintergrundmusik

KONZERT FÜR DIE UKRAINE
(Inoyson)

Besuch am
12. Juli 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Atelier Mobile – Travelin‘ Theatre, Open-Air-Spielstätte am Weidenweg, Köln

Ein missglückter Auftakt infolge Krankheit ist in diesen Zeiten eher das Übliche als das Ungewöhnliche. Und so kann Jens Kuklik, Künstlerischer Leiter von Atelier mobile – Travelin‘ Theatre, sein Sommerprogramm auf den Poller Wiesen erst verspätet beginnen. Eigentlich hatte er mit einer echten Zugnummer in Form eines kleinen Festivals gleich ordentlich durchstarten wollen. Daraus wurde nichts. So steht also nun zur Eröffnung eines umfangreichen Kalenders, der bis Ende August reicht, ein Konzert für die Ukraine auf dem Zettel. Im Grunde werden solche Konzerte immer wichtiger, je länger der Angriffskrieg der Russen in der Ukraine dauert. Und es muss auch gar nicht jedes Mal die große Geldsammlung sein. Viel wichtiger ist wohl, das Bewusstsein auch in Deutschland wachzuhalten dafür, dass in der Ukraine jeden Tag Menschen ermordet werden. Und egal, wie dieser Abend verläuft, darf Kuklik schon jetzt stolz auf sich sein, seinen Teil dazu geleistet zu haben.

Das Open-Air-Gelände in den Poller Wiesen gewinnt unmerklich immer mehr an Format. Zwar sind die Wiesen inzwischen im Wildwuchsmodus, aber das Gelände wirkt wieder ein bisschen strukturierter. Zusätzlich zur Bühne mit ihrer Technik gibt es nun einen Verpflegungsstand. Und originell ist er dazu. Denn statt des berühmten und beliebten Festival-Bratwürstchens gibt es hier frisch zubereitete Pizza aus dem fahrbaren Steinofen. Vegetarisch zwar, aber wen interessiert das bei diesem Grundnahrungsmittel? Herzhaft greifen die Besucher nach den kleinen Portionen auf Spendenbasis. Und Kukliks heißgeliebtes Lagerfeuer gibt es auch. Bei 25 Grad im Schatten und regenfreiem Himmel stehen also die Zeichen auf Erfolg für einen gelungenen Konzertabend.

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Um 20 Uhr allerdings sind Besucher weit und breit nicht in Sicht. Erst in der darauffolgenden halben Stunde sammeln sich genügend Menschen, um dem Platz einen belebten Eindruck zu verschaffen. Und somit kann Inoyson um kurz vor halb neun auftreten. In der Ukraine hat die junge Person aus Odessa vor Kriegsbeginn eine beachtliche Karriere unter ihrem Geburtsnamen hingelegt. Erfolgreich absolvierte Wettbewerbe, Kompositionen von Filmmusik und die Mitgliedschaft in einer Band gehörten dazu. Seit Kriegsbeginn tourt Inoyson allein durch Europa, um „ukrainische“ Musik, also zuvörderst die Musik von Inoyson bekannt zu machen.

Der Auftritt hat schon etwas Unheimliches. Von eher kleiner Statur schreitet Inoyson, bekleidet mit einem buntbestickten Maxi-Mantel, zahlreiche Zöpfe in das dunkle Haar geflochten, zum Klavier, das Bimo Timgreis, der für die Technik zuständig ist, noch kurz zuvor bearbeitet hat und das quer zum Publikum steht, ordnet ein paar Gegenstände und beginnt den Vortrag. Es macht Spaß, dieser Kinderstimme zuzuhören, die beachtliche Klangfarben entwickelt, etwa, wenn sie Kobolde imitiert – einer der Höhepunkte des Abends. Dass Inoyson dabei den Blick nicht vom Piano abwendet, fällt ebenso auf, wie die Augen ins Unbestimmte schauen, wenn stereotyp das „Thank you“ für den Applaus erklingt und oft der Titel des nächsten Liedes angekündigt wird. Nein, da sitzt kein Mensch, der Kontakt zu seinem Publikum aufbauen will oder kann. Nach rund einer halben Stunde ist die erste Hälfte beendet, die sich aus einem Gemisch englischer und ukrainischer Sprache zusammensetzt und mit ideenreichen Klavierklängen verziert wird.

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Nach der Pause, inzwischen haben sich zahlreiche Besucher vorzeitig verabschiedet, tritt Inoyson mit dunkler Sonnenbrille, die ein überdurchschnittlich hübsches Gesicht über Gebühr verdeckt, an das E-Piano. Das Publikum fällt sein Votum. Die französischsprachige Jugendgruppe, die sich zum Konzert gesellt hat, beschäftigt sich mit sich selbst. Am Lagerfeuer wie am Pizzastand hat man sich entschieden, die Musik als nettes Hintergrundgeräusch für lautstarke Gespräche hinzunehmen. Nur eine eiserne Fraktion bleibt dabei, der Musik und dem Gesang zuzuhören, die jetzt zunehmend klingen, als fehle hier die Begleitmusik einer Band. Wenn Inoyson in kurzen Sätzen auf die Situation in der Ukraine hinweist, klingt das so blutleer wie die Gebrauchsanweisung für ein in Asien hergestelltes Gerät. Es gehört mit Sicherheit zu den schwierigsten menschlichen Erfahrungen, die Heimat wegen eines Krieges verlassen zu müssen und in einem Land, dessen Sprache man nicht kennt, zu leben. Das hat Inoyson an diesem Abend genauso gezeigt wie das musikalische Talent, das dieser Person unbedingt zu eigen ist. Nach zwei Zugaben tritt ein zutiefst verletzter Mensch ab, der sich eigentlich vorgenommen hat, das Publikum in „luzide Träume“ zu entführen. Das ist trotz einwandfreier musikalischer Leistung nicht gelungen.

Das Publikum erfüllt mit kurzem Applaus seine Pflicht. Am 15. und 16. Juli geht es mit dem Sommerprogramm weiter. Dann tritt das Tanzkollektiv Dencuentro und Kalimarimba auf. Tanz und Musik, eine Mischung, die in der Hitze einer Sommernacht genau richtig für das Freiluftgelände in den Poller Wiesen scheint.

Michael S. Zerban