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Aktuelle Aufführungen
HÄNSEL UND GRETEL
(Engelbert Humperdinck)
Besuch am
21. Dezember 2021
(Premiere am 19. Dezember 2021)
Kölns Generalmusikdirektor François-Xavier Roth ist sich mit seinen großen Kollegen Richard Strauss und Gustav Mahler einig, wenn er Engelbert Humperdincks oft unterschätzte Märchenoper Hänsel und Gretel zur Chefsache erklärt. Die Neuproduktion an der Kölner Oper überlässt er nicht einem Kapellmeister, sondern greift selbst zum Taktstock. Sogar in den vorwiegend Schulklassen vorbehaltenen Vormittags-Vorstellungen.
In der Tat erweist sich Humperdinck mit der glänzend komponierten Oper als würdiger Assistent und Vertrauter Richard Wagners. Und Roths leuchtendes, vielschichtig angelegtes Dirigat bringt die Qualitäten der Partitur prachtvoll zum Klingen. Damit beweist er zugleich, dass die Oper keineswegs als Kinderoper gedacht war, was wiederum die Intendanten und Regisseure unter Druck setzt. Auch wenn das Stück vieldeutig als Singspiel und als Musikdrama verstanden werden kann, als soziales und psychologisches Drama, in dem sich Realität und Traum vermischen, und, was in heutigen Zeiten meist übersehen wird, auch als religiöses Erlösungsdrama: Als Zugstück zur Weihnachtszeit soll es auch als Familienoper für Jung und Alt verpackt und verstanden werden.
Foto © Paul Leclaire
Regisseurin Dominique Lachaussée hält sich mit Über- und Eigeninterpretationen weitgehend zurück und bleibt dem Textbuch soweit treu, dass die Handlung auch für jüngere Kinder nachvollziehbar und erkennbar bleibt. Kleine Umdeutungen, etwa die besondere Betonung der Mutter als Stiefmutter oder die Darstellung des Hexenhäuschens als bunte Fabrik süßer Leckereien, tragen zwar nicht viel zur Vertiefung des Stoffs bei, stören aber auch nicht. Pfiffig der Einfall, den Vater als bankrotten Schausteller darzustellen, der mit seiner hungernden Familie in einem Bauwagen am Rande eines Vergnügungsparks sein Dasein fristet. In der Traumsequenz der Kinder vermischen sich dann Erinnerungen an das einst glanzvolle „Dreamland“ mit den unheimlichen Erscheinungen und Bedrohungen des Waldes als Ausdruck einer neuen, fremden Welt, die sich die heranwachsenden Kinder erobern müssen. Dafür bedient sich die Regisseurin hinreißender Videosequenzen von Grégoire Pont mit Geister- und Tieranimationen im Stil japanischer Comics, die vor allem bei den jungen Zuschauern helle Begeisterung auslösen.
„Kinderfreundlich“ ist auch die Knusperhexe ausgestattet. In knallroter Revue-Montur mit einer großen Zuckerstange als Zauberstab dürfte sie keine Kinderseele in Angst und Schrecken versetzen. Besetzt wird sie, wie ursprünglich vorgesehen, mit einer Frauenstimme, alternativ mit Dalia Schaechter und Jasmin Etezadzadeh.
Für die zahlreichen Aufführungen stehen zwei Besetzungen zur Verfügung, die ihren Aufgaben vollauf gerecht werden. Dass das üppig besetzte Gürzenich-Orchester im Staatenhaus 2 anders als in vielen Produktionen in der ehemaligen Messehalle vor der Bühne postiert wird, erschwert allerdings die Textverständlichkeit und drängt die Spielfläche weit nach hinten. Und Roth lässt das Orchester auch so voluminös und druckvoll aufspielen, dass die überwiegend jungen Sänger bisweilen Mühe haben, sich durchzusetzen.
Dennoch eine Neuproduktion, die das Werk ernst nimmt und es dabei nicht an Unterhaltungswert vermissen lässt. Und erst recht nicht an der brillanten orchestralen Ausleuchtung der Partitur durch François-Xavier Roth. Große Begeisterung auch nach der ersten Schul-Vorstellung vor mehreren hundert Kindern im Grundschulalter.
Pedro Obiera