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Aktuelle Aufführungen
FLAMENCO TRIFFT OPER UND KLASSIK
(Katerina Giannakopolou)
Besuch am
17. Juni 2023
(Uraufführung)
Der Besucher macht keinen Hehl aus seiner Begeisterung und löchert den Pianisten nach der Aufführung lautstark mit Fragen nach seiner Musik. Dreierlei kann man daraus lernen. Die Musik hinterlässt einen starken Eindruck. Die Akustik nur teilweise. Und es fehlt das Programmheft.
Dafür ist der Aufführungsort mit seiner Geschichte gut gewählt. Erst 1906 war die Martin-Luther-Kirche in der Kölner Südstadt eingeweiht worden. Gerade mal 38 Jahre diente der Bau der evangelischen Gemeinde, ehe er am 15. Oktober 1944 von mehreren Bomben in Schutt und Asche gelegt wurde. Und 20 Jahre sollte es dauern, bis ein Neubau in einfacherer, aber funktionaler Gestaltung wieder in Betrieb genommen werden konnte. Nun umschließt ein Gemeindezentrum den Vorplatz der Kirche zu einem schönen Innenhof, der den brausenden Lärm der Großstadt vom Kirchenhaus abhält. Im Inneren der Kirche geht es eher spartanisch zu. Die Innenarchitektur erinnert an den beim Wiederaufbau gerade aufkommenden Brutalismus. Eindrucksvoll zieht sich hinter dem schmucklosen Altarraum ein Segel in Batikfarben vom Boden bis zur Decke. Rechts vom Altar deutet ein Betonklotz die Kanzlei für die Predigt an. Kirchenbänke sucht man vergebens, dafür sind die Stuhlreihen flexibler zu nutzen und vor allem bequemer. Nur wenige der Stühle bleiben an diesem Abend frei. Unmittelbar vor dem verhängten Altar sind zwei niedrige Podien aufgebaut, die später Platz für Tänzerin und Sängerin bieten werden. Wenige Meter davor ist ein Klavier quer zum Raum aufgestellt, um eine weitere Anlaufstelle für die Akteure zu bilden. Obwohl eine Klimaanlage leise eiskalte Luft an den Wänden hochbläst, ist es schon zu Beginn der Veranstaltung reichlich warm im Kirchenschiff.
Foto © O-Ton
Da ist auch keine Hilfe, dass das Ensemble Los Amores del Brujo – aus dem Spanischen übertragen heißt das die Lieben des Zauberers, ein wunderbarer Titel – in der kommenden Stunde mit seinem Programm Flamenco trifft Oper und Klassik dem Publikum richtig einheizen will. Denn das wird ihm gelingen. Den Anfang macht Kirill Kosunenko, der eine eigene Interpretation des ukrainischen Widerstandsliedes Oy u luzi chervona kalyna präsentiert. Auf der Wiese lässt eine rote Kalyna den Kopf hängen, so die deutsche Übersetzung des Liedes, das Eliza Ismalkova vor etwas mehr als einem Jahr in einem Video veröffentlicht hat, das mittlerweile mehr als fünf Millionen Menschen gesehen haben. Höchst bedauerlich, dass sich der Zusammenhang bei der Aufführung nicht erschließt, denn das hätte mit Sicherheit noch einmal eine andere Wirkung des Vortrags erzielt.
Tatsächlich stellt sich im Nachhinein heraus, dass den einzelnen Szenen, die nun folgen, Begriffe wie Widerstand, Hoffnung, Requiem, Erinnerung, Trauer und so weiter zugeordnet sind, die den Spannungsbogen „zwischen Krieg und Frieden“, so ist das Motiv in der Vorankündigung beschrieben, mit wesentlich höherer Intensität ausleuchten. Hoffnung beispielsweise gibt es, als Mezzosopranistin Mine Yücel den Raum betritt und zur Bühne schreitet. Vom Klavier begleitet trägt sie Richard Strauss‘ Lied Morgen vor. Und endlich schließt die Flamenco-Tänzerin Katerina Giannakopoulou den Reigen der Mitwirkenden mit ihrem Auftritt, als sie mit über den Steinfußboden schleifenden Schritten zur Bühne kommt, während ein mittelalterlicher Hymnus mit dem Titel Dies irae erklingt. Der Tag des Zorns, das jüngste Gericht also bricht in die Kirche ein. Mit Erinnerung ist der folgende Vortrag von Kosunenko überschrieben, der das Gedicht In Guernica von Joan Baez in der Originalsprache vorträgt. Auch hier trägt die künstlerische Seite Früchte, ohne echtes Verständnis zu erlangen.
Foto © O-Ton
Die drei haben sich vorgenommen, „ihre gegensätzlichen künstlerischen Disziplinen zu nutzen, um künstlerische Grenzen zu durchbrechen und zu vereinen“. Dass ihnen das ohne größere Schwierigkeiten gelingt, zeigen sie mit Bravour. Zum Thema Trauer zitieren sie den spanischen Komponisten Manuel de Falla. Asturiana stammt aus den Siete canciones populares españolas, also den sieben Volksliedern, die 1914 in seiner Bearbeitung entstanden sind. Liegen hier noch Yücel und Kosunenko vorne, holt Giannakopoulou beim Rituellen Feuertanz auf, einem Ausschnitt aus dem Ballett El Amor Brujo, das de Falla ein Jahr später komponierte. Neben ihrem klangstarken Flamenco-Auftritt, der die Bühnenbretter immer wieder erbeben lässt, gelingen Yücel und Giannakopoulou auch immer wieder poetische wie komische Momente, wenn die beiden Damen etwa ihre Schuhe wechseln. Mit Carceleras des Komponisten Ruperto Chapí aus dem Jahr 1889 gibt es einen Einblick in die Welt der Zarzuelas, der passenderweise mit dem Begriff der Liebe und Zeichen des Zweifels belegt ist.
Triana heißt das Stück aus dem Klavierzyklus Iberia von Isaak Albéniz, das der 1906 komponiert und Kosunenko in einer weiteren eigenen Bearbeitung darbietet. Die Faszination über die Lautstärke des Klaviers hält weiter an, während Yücel bei der Textverständlichkeit weiterhin mit den Tücken der Akustik zu kämpfen hat, wenn sie das Gretchen am Spinnrade von Franz Schubert interpretiert. Das ändert sich auch bei ihrem Auszug aus Carmen von Georges Bizet nicht. Die Begeisterung des Publikums kann das nicht schmälern. Und so ist der letzte Ton kaum verklungen, als die Zuschauer sich gemeinschaftlich erheben, um dem Trio zu seiner gelungenen Uraufführung zu gratulieren. Kosunenko interpretiert das Lied Orobroy von David Peña Dorantes, um sich damit aus der Lutherkirche zu verabschieden.
Im Herbst sind weitere Aufführungen an anderen Orten geplant. Da dürfen sich die Zuschauer schon auf die künstlerische Ausführung freuen. Und sicher wird es dann ein Programmheft geben, um das Publikum auch an den Inhalten teilhaben zu lassen. Schön wäre das jedenfalls.
Michael S. Zerban