O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Humor überdauert die Zeiten

DIE FEUERZANGENBOWLE
(Heinrich Spoerl)

Besuch am
5. Juli 2023
(Premiere am 21. Oktober 2020)

 

Wildwechsel, Köln

Als Die Feuerzangenbowle 1944 in die Kinos kam, wurde sie ein Erfolg. Als sie 1964 in der DDR und 1969 erstmalig im Zweiten Deutschen Fernsehen gezeigt wurde, brannte sie sich in das kollektive deutsche Gedächtnis ein. Immerhin sahen allein in Westdeutschland bei der Erstausstrahlung 20 Millionen Zuschauer zu, was damals der Hälfte der westdeutschen Bevölkerung entsprach. Es ist ein hervorragend gemachter Film, nach dem sich heutige Produktionen lange recken müssen, ohne herankommen zu können. Regisseur Helmut Weiss schafft eine Idylle, in der jeder einzelne Schauspieler wunderbar eingesetzt ist. Es gibt nur wenige Änderungen zur Vorlage des Romans von Heinrich Spoerl, der auch das Drehbuch schrieb. Schelmisch, mit Charakteren gespickt, gibt sich der Film einen philosophischen-heiteren Anstrich. Und genau in diesen Umständen liegt die Tücke des Films. Georg Seeßlen hat 1994 die Problematik recht gut auf den Punkt gebracht. „Die Feuerzangenbowle gehört zu jenen schizophrenen Filmen aus der Spätzeit des Nationalsozialismus, die zugleich dem Regime dienen und über sein Ende hinausblicken wollen, die voller offener oder unterschwelliger Nazi-Ideologeme sind, und zugleich von einer Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung zeugen, die sozusagen schon mit der Verdrängung der Schuld beginnt, während sie noch geschieht“, wird der Kritiker zitiert. Darf, kann man einen solchen Stoff heute – noch – als unbeschwerte Komödie zur Aufführung bringen? Ohne jede Erläuterung oder Einordnung ein schwieriges Unterfangen.

Jörg Kernbach und Katha Liebing – Foto © O-Ton

Jörg Kernbach hat aus dem Roman von Heinrich Spoerl, dem man dem Film wohl im Wesentlichen gleichsetzen darf, ein eigenes Buch für ein Live-Hörspiel verfasst. Das wird heute Abend erneut im Restaurant Wildwechsel im Kölner Stadtteil Dünnwald, an der Grenze zu Leverkusen gelegen, zur Aufführung gebracht. Der Ansturm ist riesig, was nicht weiter verwundert. Dicht gedrängt sitzen die Besucher im großen Saal des Restaurants, an dessen Breitseite ein Tisch mit viel Technik und etlichen Requisiten aufgebaut ist, hinter dem sich die Sprecher versammeln. Rechts von ihnen sitzt etwas abseits Rosa Bretter mit einem Akkordeon. Der gastronomische Betrieb läuft weiter, was weitaus weniger stört als die permanente Geräuschkulisse im Barbereich. Die war ursprünglich auch nicht vorgesehen, weil das Hörspiel unter freiem Himmel stattfinden sollte. Allerdings sieht es so aus, als spiele das Wetter nicht mit, also geht es vorsorglich in das Innere des im Wald gelegenen Restaurants.

Hier versieht Kernbach die Geschichte mit eigenen Akzenten, ohne Inhalte grundsätzlich zu verändern. Dr. Johannes Pfeiffer – Sie wissen schon, der mit den drei f – beschließt im Rahmen einer Feuerzangenbowle, als Schüler an ein Gymnasium zu gehen, weil er den regulären Schulbetrieb nie kennengelernt hat. In Köln wird aus dem Schriftsteller ohne Not ein Komponist. Am kleinstädtischen Gymnasium begegnet Hans nun all den skurrilen Lehrern, den Mitschülern, aber auch den Schülerinnen des nahegelegenen Lyzeums sowie dem Leben in der Kleinstadt, um all die herrlichen Szenen zu entfachen, die die Geschichte der Feuerzangenbowle ausmachen. Angefangen mit der Dampfmaschine, die man fast wörtlich mitsprechen kann, über den „winzigen Schlock“ Heidelbeerwein, der die Stunde über die alkoholische Gärung zum Fiasko werden lässt bis hin zum Vortrag für Schüler und – zum Schrecken der Schulleitung – Schülerinnen, den der Oberschulrat zunächst so zukunftsorientiert findet. Kernbach verstärkt den Unterhaltungscharakter, indem er musikalische Einlagen einbindet, bei denen das Mitsingen des Publikums ausdrücklich erlaubt ist. Das geht bei Liedern wie Das Wandern ist des Müllers Lust noch ganz gut, beim Verbindungslied Gaudeamus igitur wird es merklich ruhiger im Saal. Macht aber nix. Die Stimmung hebt es in jedem Fall.

Rosa Bretter – Foto © O-Ton

Das Prinzip der Live-Hörspiele ist bekannt. Die Sprecher haben – Ausnahme ist in diesem Fall der Pfeiffer – keine festgelegten Rollen, entzücken immer wieder durch Accessoires wie ausgefallene Kopfbedeckungen oder vor den Mund gehaltene Bärte und konzentrieren sich ansonsten auf ihren Text. Bei der Feuerzangenbowle verteilt Kernbach noch ein paar Nebenrollen ins Publikum, das im Einsatzfall von Pappkartons abliest, die von den Sprechern hochgehalten werden. Auch das ein Riesenspaß für das übrige Publikum. Neben Kernbach, der über eine unglaubliche Souveränität verfügt, treten Uschi Hansmann, Katha Liebing und Sebastian Schlemmer an. Sie haben leichtes Spiel, weil man bei praktisch jedem Satz die Kino- oder Fernsehbilder im Kopf hat. Und dann macht es auch überhaupt nichts, dass die Dialekte teils abstrus vorgetragen werden. Ein abgelesener statt gesprochener Kölscher Dialekt klingt mindestens so merkwürdig wie ein Möchtegern-Dialekt aus Sachsen. Nur selten gelingen den Sprechern wirklich überzeugend vorgetragene Textstellen, die nicht aus der Erinnerung, sondern aus der Gegenwart heraus wirken. Aber dann gibt es eben auch die Stellen, die Kernbach ins Stück reinschreibt. „Im Film wird die Annäherung von Hans und Eva sehr gewagt dargestellt. Da sind zwei Fahrräder zu sehen, die an einen Baum gelehnt werden. So weit wollen wir natürlich nicht gehen“, erzählt er unter großem Gelächter. „Bei uns küssen sich die beiden jetzt einfach.“ Herrlich.

Da fehlen jetzt nur noch die beiden großen Auftritte von Heinz Rühmann. Der eine im Hörsaal, wenn er die Verwicklungen aufdeckt, und der abschließende, wenn er in die Feuerzangenbowlenrunde zurückkehrt. Hier überzeugt Schlemmer nicht, gibt sich keine Mühe, den Schlüsselstellen die nötige Tiefe zu verleihen. Das Publikum sieht es ihm nach und applaudiert lang und ausgiebig. Ein insgesamt unterhaltsamer Abend, der viel von den Bildern in den Köpfen der Hörer lebt, aber das ist ja legitim. Am Ende des Abends steht einmal mehr fest: Die Live-Hörspiele im Wildwechsel sind jederzeit einen Besuch wert.

Michael S. Zerban