O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bildschirmfoto

Aktuelle Aufführungen

Weniger ist manchmal mehr

DU MUSST GLAUBEN, DU MUSST HOFFEN
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
7. Februar 2021
(Video on Demand)

 

Santa-Clara-Keller, Köln

Im vergangenen Jahr brach für viele Musiker die Welt zusammen. Auftrittsverbote – das kannten nicht einmal die Älteren unter ihnen. Und selbst die nachfolgende „Lockerung“ half den wenigsten. Für große Ensembles reichten die Spielräume der so genannten Hygieneregeln nicht. Viele mehrköpfige Ensembles traten also nicht auf. Und so wäre es vermutlich auch Ulrike Neukamm und Rhoda Patrick gegangen. Als Mitglieder des sechs- und mehrköpfigen Ensemble Music for a French Mistress nahmen sie zähneknirschend die Auftrittsabsagen ab. Bis ihnen ein Veranstalter einen zweiköpfigen Auftritt anbot. Das Unbehagen war groß, aber die Not größer. Also entwickelten sie ein barockmusikalisches Programm für Oboe und Blockflöte und Fagott. Und reisen seither mit Du musst glauben, Du musst hoffen durch die Bundesrepublik.

Ebenfalls im ersten Jahr der Pandemie gab es einen Umbruch bei Christina und Gerhard von Richthofen. Bislang hatte sie sich darum gekümmert, die Entwicklungen von Künstlern kommunikativ zu begleiten, er kommt aus der Medienproduktion. Wie sie sich aus der beruflichen Krise befreiten, ist bekannt. Sie initiierten den Kulturkanal 20-20.live im Internet und dort Auftritte in der Reihe 2 FOR YOU für Künstlerduos. So konnte das Ehepaar etlichen Künstlern wenigstens mit vereinzelten Auftritten helfen. Mit der Einladung an Neukamm und Patrick geht die Auftrittsreihe vorläufig zu Ende. Aber mit dem Kulturkanal geht es weiter. Und so arbeitet Gerhard von Richthofen vor allem an der technischen Weiterentwicklung des Internetauftritts und der Übertragungstechnik. Was im Hinterhofsalon in Köln begann, soll also nun im Santa-Clara-Keller zu Ende gehen. Der mittelalterliche Gewölbekeller war einst Bestandteil eines Klosters und bietet nicht nur eine wunderbare Kulisse, sondern auch eine schöne Akustik für die Internetübertragung. Wenn man den technischen Aufwand sieht, der für diese Produktionen inzwischen betrieben wird, muss man fast froh sein, dass Publikum nicht zugelassen werden darf. Längst sind die Kinderkrankheiten überwunden, die Kameraführung wirkt absolut professionell und damit abwechslungsreich in einer gestochen scharfen Qualität. Trotzdem erschrickt man im ersten Moment. Denn die Bildregie beginnt mit einem Screensplit, also mit einem geteilten Bild. Aber schnell wird klar, dass es sich hier um ein filmisches Mittel und nicht den Beginn einer Zoom-Konferenz handelt.

Bildschirmfoto

Das Programm, dass Oboistin und Blockflötistin Neukamm mit Fagottistin Patrick ausgetüftelt hat, richtet sich wohl in erster Linie an Liebhaber alter Musik. Und wenn dir nichts Gescheites einfällt, nimm doch irgendwas von Johann Sebastian Bach. Nach diesem Prinzip verfahren die Klassik-Wellen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dann kann es an einem solchen Abend auch nicht schaden. „Bach geht immer“, eröffnet auch Christina von Richthofen ihre Moderation, in der sie nicht nur auf die Besonderheiten der einzelnen Programmpunkte eingeht, sondern in den Spielpausen auch das Gespräch mit den Künstlern sucht. Wer die Reihe von Anfang an verfolgt hat, wird sich an diesem Abend besonders auch darüber freuen, wie sehr sich die Moderatorin entwickelt hat. Kenntnisreich führt sie durch das Programm, bietet den Musikern unauffällig die Sprungbretter für ihre Ausführungen und bleibt in der gebotenen Kürze.

Düster geht es los mit Ich steh mit einem Fuß im Grab, ehe die beiden Musikerinnen zum titelgebenden Du musst glauben, Du musst hoffen wechseln. Für zufällige Zuschauer ist es wohl kaum mehr als eben alte Musik. Liebhaber erkennen, dass die instrumentelle Besetzung eindrucksvoll ist, vor allem, weil Patrick hier die Rolle von Streichern, Gesang und Basso continuo übernimmt. Werden die Musikerinnen am Anfang in der typischen Konzertsituation gezeigt, nehmen sie zur „Tafelmusik“ an einem hübsch dekorierten Tisch Platz. Ja. Hier hat sich wirklich vieles verbessert.

Im Programm geht es mit Georg Philipp Telemann weiter. Patrick weist darauf hin, dass Telemann die Canonische Sonate Nr. 1 mit ihren drei Sätzen in der Partitur bewusst für zwei gleiche Instrumente angeboten hat. In der Übertragung aus Köln dürfen die Zuschauer nun die Aufführung mit zwei verschiedenen Instrumenten erleben – und die erheblich gewonnene Farbvielfalt genießen. Auch die Follia von Arcangelo Corelli ist ursprünglich für Geige und Cello vorgesehen. Diesem uralten Volkslied setzen Neumann und Patrick ein weiteres Volkslied voran, das verdeutlicht, dass hier Tradition fortgeschrieben wurde. Wer ein Konzert der alten Musik veranstaltet, darf eigentlich auf Georg Friedrich Händel nicht verzichten. Und so gibt es auch hier noch eine Sonate von ihm. Immerhin trägt die Zugabe – endlich wieder Bach – den schönen Titel Und wenn die Welt zum Teufel geht. Bei allem meist gelungenem Vortrag darf es auch in Krisenzeiten ein bisschen mehr als Standard sein.

Für den 16. Februar verspricht Christina von Richthofen ein ausgefallenes Karnevalsprogramm. Vielleicht eine gute Gelegenheit auch für Nicht-Rheinländer, sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Denn auf die Straße darf ohnehin keiner.

Den Zugang zu den Aufführungen macht 20-20.live inzwischen sehr einfach. Und wenn die Betreiber in Zukunft ihre albernen Gendersprech-Versuche weglassen, die in der eigenen Diktion auch noch falsch sind, dürfen wir uns mit einem herzlichen „Kölle, alaaf!“ auf die nächste Übertragung des Kulturkanals freuen.

Michael S. Zerban