O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

David Smyers und Beate Zelinsky - Bildschirmfoto

Aktuelle Aufführungen

Vielversprechender Anfang

DIALOGHI D’AMORE
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
16. April 2020
(Livestream)

 

Hinterhofsalon, Köln

Krisenzeiten sind immer auch Zeiten der Veränderung. Haben sich auch Christina und Gerhard von Richthofen gedacht und kurzerhand einen neuen Kulturkanal, 20-20.live, gegründet. Hier werden am Donnerstagabend Konzerte als Livestream gezeigt. Ob der Zeitpunkt wirklich so günstig ist, kann man diskutieren. Aus irgendeinem Grund scheint er von sehr vielen Anbietern von Internetaufführungen präferiert zu werden. Unter dem Motto 2 For You werden in den kommenden Wochen verheiratete Duos auftreten. Als Auftrittsort haben die beiden Veranstalter den Hinterhofsalon an der Aachener Straße in Köln ausfindig gemacht. Hier veranstaltet Anja Reuther in „normalen“ Zeiten am Wochenende ein ausgesprochen vielseitiges Programm. Das ist derzeit genauso Makulatur wie die Kurse, die sie unter der Woche anbietet. Prinzipiell also ideal für die Pläne von 20-20.live. Der neue Kanal ist weder Selbstzweck noch Beschäftigungstherapie, sondern soll durchaus Geld für die Künstler, die derzeit allesamt ohne Engagement sind, einspielen.

Um das zu erreichen, soll der Abend so professionell wie möglich erscheinen. Und das verspricht auch gleich die erste Kameraeinstellung, die den Gesamtraum zeigt, in dem ein Haufen Technik inklusive Regiepult vor leeren Stühlen aufgebaut ist. Zunächst begrüßen Christina und Gerhard von Richthofen das Publikum. Warum sie sich dazu setzen müssen, weiß man nicht. Da erliegt die Dynamik im Anschlag. Auch Anja Reuther richtet Grußworte an die Zuschauer. Als erstes Duo sind an diesem Abend Beate Zelinsky und David Smyers eingeladen. Seit 40 Jahren tritt das Ehepaar gemeinsam auf, um das Publikum für die Klarinettenmusik aller Epochen zu begeistern. Auch an diesem Abend reicht die Zeitspanne des Programms mit dem Namen Dialoghi d’Amore – Liebesdialoge – von etwa 1770 bis 2011.

Gerhard und Christina von Richthofen – Bildschirmfoto

Den Anfang macht Carl Philipp Emanuel Bach mit einem Duett für zwei Klarinetten. Eines der ersten, erzählt Zelinsky im Gespräch, das Christina von Richthofen zwischen den Stücken immer wieder sucht. Irritierend bei der Übertragung ist, dass die Tonqualität auf dem Niveau eines Wohnzimmerkonzerts ist. Hier wird deutlich nachzubessern sein, wobei nicht ganz klar ist, ob es am Raum oder an der Mikrofonierung liegt. Danach geht es an das andere Ende des Zeitstrahls zu Nikolaus Braas, der für das Duo Dialoghi d’Amore geschrieben hat. Dank der Kooperation des Duos mit Komponisten unterschiedlicher Stilrichtungen sind mittlerweile an die 50 Klarinettenduos entstanden. Dialoghi d’Amore VI, das an diesem Abend aufgeführt wird, besteht aus drei Sätzen. Während der erste Satz von langen Linien getragen wird, die von dissonanten Einwürfen unterbrochen werden, gerät der zweite Satz zu meditativer Ruhe und Gleichform, in der die Instrumente einander ergänzen. Erst im dritten, kurzen Satz wird der Dialog deutlich. Die ebenfalls dreisätzige Sonate von Francis Poulenc aus dem Jahr 1945 wirkt im ersten Satz sehr viel lebhafter, besteht aus dissonanten Rufen, in denen die Instrumente sich ergänzen und oft gleichspielen. Im zweiten Satz unterstützt die zweite Klarinette die Variationen der ersten mit einer gleichförmigen Melodie. Im dritten Satz wird es regelrecht pfiffig.

Das Duo nimmt sich schweigend Zeit für eine Umbaupause. Und 20-20.live bleibt in der Wohnzimmersituation, was Kameraführung, Tonqualität und Ablauf angeht. Es entsteht so ein bisschen der Eindruck, dass hier für einen glatten Durchlauf die Kreativität noch hintanstehen muss. Aus dem Jahr 1996 stammt das Stück Ta-Ryong V von Younghi Pagh-Paan, einer gebürtigen Koreanerin, die seit langem in Deutschland lebt. Im Stück, so erzählt Zelinsky, rekurriert Pagh-Paan bewusst auf ihre Herkunft und verspricht eine Reise nach Korea. Dazu werden zwei zusätzliche Windspiele und ein paar Rhythmusinstrumente aufgebaut. Deren Einsatz überzeugt nicht und wirkt eher beliebig. Da war die Idee wohl größer als die Umsetzung. Nach einer knappen Viertelstunde endet ein Stück, das mit alarmierenden Weckrufen im Wechsel mit langgezogenen Linien im dissonanten Bereich die Spannung kaum bis zum Schluss halten kann. Nach einer weiteren Umbaupause schließen Zelinsky und Smyers noch Idylle von Charles Koechlin von 1936 an. Eher melodiös, scheint die Idylle aus einem Schlaflied zu bestehen. Eine schöne Vorstellung. Und ein gelungener Abschluss eines interessanten, wenn auch nicht immer durchgängig begeisternden Programms.

Nach einer Stunde ist das Programm beendet. Und damit der allererste Durchlauf bei 20-20.live. Das Bemühen aller Beteiligten ist deutlich zu erkennen. Christina von Richthofen als Moderatorin hat für ihren ersten Auftritt einen guten Job gemacht. Hier wird sich nötige Routine alsbald einstellen, und dann gibt es nicht nur Grund zur Freude, sondern auch einen lebhaften Abend. Bei der Kameraführung gibt es noch Modifikationsbedarf, um aus der statischen Situation herauszukommen und einen „lebendigen“ Abend zu kreieren. Wenn erst mal die richtigen Kamerapositionen und -wechsel herausgefunden sind, wird es da noch echte Sprünge nach vorn geben. Bei der Tonqualität bleibt der „Wohnzimmerklang“ über den Abend vorherrschend. Hier ist zu hoffen, dass die Mikrofonierung noch optimiert werden kann und es nicht an der Akustik des Raums liegt.

Ein ambitionierter Abend, der viel für die Zukunft verspricht. Am nächsten Donnerstag geht es weiter. Dann steht die Barockgeige auf dem Programm. Und dann wird hoffentlich auch der Live-Chat auf YouTube ein Eigenleben entwickeln.

Michael S. Zerban