O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Automaten an die Macht

DER AUTOMAT
(Henrik Albrecht)

Besuch am
18. Oktober 2020
(Premiere am 17. Oktober 2020)

 

Literaturoper Köln, Urania-Theater, Köln

Das Urania-Theater in Köln-Ehrenfeld zeichnet sich dadurch aus, dass man garantiert keinen Parkplatz im näheren Umkreis findet. Es ist ein Stadtteil-Theater, das darauf angewiesen ist, dass die Besucher zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen. Trotzdem hat Andreas Durban das Angebot dankbar angenommen, die neueste Produktion der Literaturoper Köln wieder einmal dort aufzuführen. Und wer das urige Theater kennt, weiß auch, warum. Gute und flexible Arbeitsbedingungen paaren sich mit einem gemütlichen Ambiente. In Corona-Zeiten bleiben zwar nur noch 36 von 200 Plätzen übrig, aber die werden vom Theater systematisch und mit großem Aufwand gesichert. Zuvor können die Besucher das vorgelagerte Café mit Außenbereich nutzen.

Auch bei der Literaturoper werden die Kräfte aller Beteiligten bis an die äußersten Grenzen getrieben. Aber fast alle halten trotz sich ständig verschärfender Auflagen durch. Bis auf Georg Leisse, der musikalische Leiter, der nach einem Fahrradunfall vorzeitig aus der Produktion aussteigen muss. Das hat Konsequenzen, über die später noch zu reden sein wird.

Für das Urania-Theater hat sich das Ordnungsamt eine Besonderheit ausgedacht. Weil Durban ehrlicherweise angegeben hat, dass die Spieldauer seiner neuen Oper fast anderthalb Stunden statt 70 Minuten dauern wird, wird eine Pause angeordnet, während der die Lüftungsanlage die Luft austauschen muss. Die sei, so teilt Bettina Montazem, Theaterleiterin, mit, für 200 Personen im laufenden Betrieb ausgelegt, muss aber jetzt dafür sorgen, dass 36 Personen infektionsfrei aus dem Theater kommen. Die Gäste indes fühlen sich wohl und nehmen klaglos hin, dass sie während der Aufführung die Masken aufbehalten müssen.

Am Klavier sitzt Hanyoung Yoo, die dankenswerterweise für Leisse eingesprungen ist. Damit haben sich letzte Träume des Komponisten Henrik Albrecht erledigt, der sich den Einsatz verschiedener Instrumente für den Opernabend vorgestellt hatte. Harmonium, Cembalo, elektronische Einspielungen – alles futsch. Es bleibt beim Klavierspiel an diesem Abend. Das allerdings gibt es vom Allerfeinsten. Denn Albrecht hat die Oper nahezu durchkomponiert. Und Yoo spielt vom ersten Anschlag bis zum letzten Akkord genau das, was er sich ausgedacht hat. Ein einziger großer Fluss setzt sich in Bewegung, der sich emotional aufwiegeln lässt, den Strom der Handlung begleitet, schäumt und all die Konflikte und Harmonie aufgreift, die zur Oper gehören. Eine großartige Leistung, die die Nachwuchssänger der Kölner Musikhochschule und die Stimmungsbilder bis in den letzten Takt unterstützt. Ein Chapeau schon an dieser Stelle für den Komponisten und die Pianistin.

Andrea Graff – Foto © O-Ton

Der Automat heißt die neueste Produktion der Literaturoper Köln und adaptiert die Kurzgeschichte Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann, in der es um die vermeintliche Weiterentwicklung des Menschen, verletzte Eitelkeiten und selbstverständlich die Liebe geht, die, wie es sich für eine gute Oper gehört, wahnhaft verläuft. Wie üblich hat sich Andreas Durban um die Adaption, Regie und Bühne gekümmert. Und das bedeutet: Eine gute Geschichte, lebhaft erzählt in einem äußerst skurrilen Umfeld, das von Anfang bis Ende auch durch seine Requisiten Spaß macht. In der Mitte der Bühne ist ein Vorhang röhrenförmig angebracht, in dem sich allerlei verstecken lässt. Ansonsten ist die Bühne zunächst leer. Aber es ist herrlich, was die Protagonisten so alles zwischenzeitlich auf die Fläche tragen. Durban muss mindestens ein Museum der Anatomie und den Puppen-Fundus eines längst verlassenen Kaufhauses geplündert haben, um an all die herrlichen Gegenstände zu kommen, die hier aufgestellt werden. Dabei arbeitet der Regisseur mit kräftigen Bildern, die aber trotzdem die Fantasie der Zuschauer fordern wie etwa die Hollywood-Schaukel, die einen Landsitz markiert. Angela C. Schuett und Noemi Pohl haben dazu wunderbare Kostüme entwickelt, die einerseits schön verrückt sind, andererseits mit wenigen Mitteln die Charaktere der handelnden Personen vermitteln. Unterlegt wird das gesamte Spiel mit den Projektionen von Julia Suermont, die sich hier regelrecht austobt, indem sie mal die Rückwand, mal den Vorhang, mal die ganze Fläche „bespielt“. Etwas weniger hätte hier durchaus mehr sein können, eindrucksvoll ist es allemal. Thomas Vervoorts und Wolfgang Plappert spielen die ganze Palette der Lichtmöglichkeiten von diabolischer Dunkelheit bis zum erschöpften Putzlicht. Und nicht zuletzt toben sich Doris Königstein, Verena Schirme und Haddis Brückmann in der Maske aus, was nicht zuletzt den Automaten zugutekommt, aber auch für manch scharfe Frisur bei den Herren sorgt. Insgesamt entsteht ein herrliches Umfeld, das den Abend schon lohnt, ehe auch nur ein Wort gesungen ist.

Christopher Auer – Foto © O-Ton

Trotzdem nur fünf Personen auf der Bühne sein dürfen, gelingt es Durban, sein komplettes Ensemble unterzubringen. An erster Stelle ist Andrea Graff zu nennen, die die Hosenrolle des Nathanael glanzvoll übernimmt. Gesanglich sicher unterfordert, kann sie die Regie-Einfälle in herausragender Natürlichkeit ausspielen. Und eine genussvoll rauchende Opernsängerin sieht man auch nicht alle Tage. Bettina Schaeffer hat sichtlich Spaß an der Rolle der präsenilen Mutter, deren Adoptivkinder Clara und Lothar überzeugend von Katharina Fuchs und Vincent Debus gezeigt werden. Als Vater und vor allem als Siegmund macht Bastian Röstel eine gute Figur. Christine Hesseler, Sooin Park und Alina Göke sind als weiblicher Automat Olympia eine helle Freude. Thomas Huy, der diesmal als Professor Spalanzani auftritt, beeindruckt einmal mehr mit seiner stimmlichen Entwicklung. Rund, sauber und verständlich klingt sein Bass. Christoper Auer als Giuseppe Coppola steht ihm da in nichts nach. Insgesamt ein sehr ausgewogenes Ensemble, in dem jeder auf dem richtigen Platz steht. Wenn denn mal Zeit ist zu stehen, denn Durban sorgt für ordentlich Bewegung auf der Bühne. Ob der Anspruch des Regisseurs, die Geschichte in die heutige Zeit zu verlegen, ganz erfüllt ist, kann man diskutieren. Vielmehr wirkt sie ein bisschen aus der Zeit gefallen, und das ist eigentlich viel schöner.

Das Publikum hat trotz einer technischen Panne vor der zweiten Hälfte viel Spaß und bedankt sich nach fast zwei Stunden enthusiastisch. Vier Vorstellungen sind in Köln vorgesehen, die aber bereits restlos ausverkauft sind. Anschließend wird die Oper noch in Wuppertal zu sehen sein.

Michael S. Zerban