O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Baus

Aktuelle Aufführungen

Amouröse Abenteuer

MADAME POMPADOUR
(Leo Fall)

Besuch am
25. November 2021
(Premiere am 6. November 2021)

 

Theater Koblenz

Es ist Karneval in Paris: Begehrenswert schön und abenteuerlustig stürzt sich die Marquise von Pompadour, Mätresse von König Ludwig XV., inkognito in das aufregende Nachtleben des „Musenstalls“. Auf der Suche nach einem prickelnden Liebesabenteuer trifft sie dort nicht nur den aufsässigen Dichter Calicot, der frivole Spottlieder auf sie singt, sondern auch den Grafen René d‘Estrade, der ebenfalls unerkannt eine Auszeit vom faden Land- und Eheleben nimmt. Mitten in den amourösen Verwicklungen versucht der tölpische Polizeiminister Maurepas, die Pompadour in flagranti zu erwischen und sie damit beim König bloßzustellen. Doch die Marquise ist nicht nur attraktiv, sondern auch gewitzt. Die Pompadour wäre nicht die mächtigste Frau Frankreichs, wäre sie nicht allen immer einen Schachzug voraus. Einfallsreich gelingt es ihr, Calicot zum Hofdichter zu ernennen und René als Rekrut zu ihrem Leibregiment abzukommandieren – mit persönlichem Zugang zu ihrem Schlafzimmer. Einem erotischen Abenteuer stünde nun nichts mehr im Wege, wären da nicht der eifersüchtige König und Renés besorgte Gattin Madeleine, die sich als Halbschwester der Pompadour entpuppt. Am Ende wird „natürlich“ alles gut. Madeleine bekommt ihren René zurück, Calicot erhält statt der Guillotine eine lebenslängliche Pension und die Kammerzofe Belotte, und die Marquise als frisch ernannte Herzogin sucht ein neues Abenteuer mit einem feschen Leutnant namens Praliné, da ist der Name schon Programm. Mit Madame Pompadour betritt eine der größten Verführerinnen die Bühne des Theaters Koblenz. Begehrenswert schön, überlegen intelligent und bemerkenswert machtbewusst – die echte Madame de Pompadour war eine der faszinierendsten Frauen ihrer Zeit. Als offizielle Mätresse von König Ludwig XV.  stieg sie als erste Bürgerliche in die adeligen Zirkel von Versailles auf und bestimmte über zwei Jahrzehnte lang mehr oder weniger im Verborgenen die Geschicke Frankreichs. Leo Fall setzt ihr 1922 in seiner drittletzten und zugleich erfolgreichsten Operette ein musikalisches Denkmal.

Vor dem Hintergrund des umtriebigen Pariser Rokokos, den Regisseurin Sandra Wissmann mit Bühnenbildner Dirk Becker und Kostümbildnerin Uta Meenen auf eine fahrende Schauspieltruppe    adaptiert, lässt der Komponist die freizügigen Zwanziger Jahre aufleuchten. Mit der subtil aufsässigen Musik und ihren schwungvoll-eingängigen Melodien wie Heut‘ könnt einer sein Glück bei mir machen oder Joseph, ach Joseph, was bist du so keusch und den anzüglich-witzigen Dialogen von Rudolph Schanzer und Ernst Welisch war die Madame Pompadour schon bei der Uraufführung ein Sensationserfolg. Das Theater der Stadt Koblenz mit seinem besonderen Charme bietet die besten Voraussetzungen, um das Stück auf die Bühne zu bringen. Und man muss an diesem Stück nichts politisieren oder neu umdeuten, es ist einfach ein frivol-heiteres Amüsierstück mit ohrwurmtauglichen Melodien.

Es ist das klassische „Theater im Theater“. Eine fahrende Schauspielgruppe führt das Stück Madame Pompadour auf, und die Grenzen zwischen der Realität der Schauspieltruppe und der handelnden Personen verschwimmt einfach. Im Hintergrund der Bühne ist ein großer Schaustellerwagen, die Vorderbühne wird durch einen Vorhang komplett vom hinteren Teil abgetrennt, so dass nur wenige Requisiten nötig sind, um die Geschichte zu erzählen. Im Vordergrund ein großer Galgen als warnendes Symbol, auf welch gefährliches Terrain die Besucher und Lästermäuler des Musenstalls sich begeben. Für das Schloss Versailles im zweiten und dritten Aufzug reichen zwei große Kronleuchter. Überhaupt spielen die ständigen Wechsel vor und hinter den Vorhang eine zentrale Rolle in dieser Inszenierung. Wer darf wann zu wem? Wer versteckt sich wo vor wem? Und das alles mit einem zwinkernden Auge. Die Kostüme im Rokoko-Stil mit weiß gepuderten Perücken assoziieren das Leben auf Schloss Versailles, frivol und erotisch dagegen die Auftritte im Musenstall. Da wird nicht mit kurzen Röcken, Netzstrümpfen und Strapsen gegeizt, auch die Dekolletés lassen tief blicken. Hier standen die wilden Zwanziger Jahre Pate. Eins ist von Anfang an klar. Hier haben die Frauen das Kommando, und das nicht nur, wenn die Pompadour ihren René als Rekrut kommandiert und er treuherzig antwortet: Ich bin dein Untertan, dein treuer. Auch den ach so schlauen Polizeipräsidenten Maurepas lässt sie verdammt alt aussehen, denn sie ist schläuer. Aber auch Belotte weiß die Waffen der Frau zu nutzen, während das der langweiligen und völlig  naiven Madeleine erst noch beigebracht werden muss. Regisseurin Wissmann kokettiert mit den erotischen Anspielungen und lässt ihre Frauenfiguren mit Charme und Humor der Männerwelt ihre Doppelmoral vorführen. Und so entwickelt sich in den gut zweieinhalb Stunden ein kurzweiliges Amüsement.

Für Sarah Tuleweit ist die Aufführung  in der Rolle der Pompadour die Premiere. Sie kokettiert mit ihren Reizen, spielt mit den Figuren und verleiht der Figur neben der erotischen Ausstrahlung auch die musikalische Finesse, insbesondere mit den beiden Ohrwürmern Heut‘ könnt einer sein Glück bei mir machen und Joseph, ach Joseph, was bist du so keusch.  Lediglich die Schärfe in den Höhenlagen der Stimme stört manchmal, dafür beweist sie als Kommandeur der Leibgarde militärisches Talent. Maximilian Mayer, festes Ensemblemitglied des Münchner Gärtnerplatztheaters, ist in der Rolle des Grafen René ideal besetzt. Seinem Charme und seinem wunderschönen Tenorschmelz, der aber in den Höhen richtig kraftvoll ertönt, kann auch eine Madame Pompadour nicht widerstehen. Theresa Dittmar als Belotte muss sich mit ihrem leichten und klaren Sopran und ihrem neckischen Spiel nicht verstecken. Christof Maria Kaiser gibt den Dichter Calicot mit viel Witz, wunderbar komödiantisch sein Potiphar-Duett mit Sarah Tuleweit, wobei man an den rein gesanglichen Passagen doch Abstriche machen muss, denn er ist kein klassischer Operetten-Buffo. Isabel Mascarenhas spielt die Madeleine als naives Dummchen mit kokettem Einschlag. Reinhard Riecke gibt den dämlichen Polizeipräsidenten Maurepas mit großer Komik, und Thomas Schweiberer ist als König Ludwig XV. voll in seinem Element, köstlich und delikat. Sean Stephens hat das Ballett passend zu den Rhythmen in Szene gesetzt, der Chor ist von Aki Schmitt gut eingestimmt und von Sean Stephens auch entsprechend choreografiert. Das ist vielleicht das einzige Manko, es wird einfach alles choreografiert, und manchmal ist weniger mehr.

Mit scheinbarer Leichtigkeit führt Karsten Huschke das Staatsorchester Rheinische Philharmonie durch die rhythmische Partitur, in der große Orchestrierung sich mit Swing und Marschrhythmen abwechseln. Durch das straffe Tempo ist steter Zug im Orchester, und der Spannungsbogen fällt zu keinem Zeitpunkt ab. Das Publikum ist am Schluss begeistert und spendet großen Applaus für das gesamte Ensemble. Wer die erotischen Abenteuer der Madame Pompadour miterleben will, hat noch bis Februar 2022 dazu Gelegenheit. Es lohnt sich in jedem Fall.

Andreas H. Hölscher