O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Rathmann

Aktuelle Aufführungen

Wenn der Wahn Lieder in Klang umsetzt

MAD SONGS
(Diverse Komponisten)

Besuch am
20. September 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Festival Alte Musik, Kloster Knechtsteden, Theaterscheune

Die Besucher betreten durch ein großes Tor einen abgedunkelten Raum, dessen Fenster schwarz verhängt sind und in dem zahlreihe Stuhlgruppen halbkreisförmig verteilt stehen. Mitten in dieser ausgeräumten Scheune ist ein Podium mit Einzelstühlen und kleinen Sitzgruppen aufgebaut, einige vor einem Pult.

Die Theaterscheune ist eines der vielen Wirtschaftsgebäude auf dem weitläufigen Gelände des Klosters Knechtsteden, dessen Mitte die wuchtige romanische Stiftskirche bildet. Das Programm des Festivals Alte Musik kündigt für heute die Landpartie Mad Songs – verrückte Lieder – an, die an die Tradition der in England des 17. Jahrhunderts entstandenen und beliebten Pausenfüller anschließen, mit denen bei der Aufführung von Theaterstücken oft Pausen überbrückt wurden und die Platz für zeitgemäße, oft witzige, aktuelle Zwischenkommentare boten. Sie entwickelten sich allmählich zu einem eigenen, beliebten Genre, in dem Boulevardthemen Platz fanden: Liebe, Eifersucht, verlorener Verstand, überschäumender Frohsinn und ähnliches. Bei Purcell gewinnen sie die Qualität von „musikalischen Miniaturen“ und werden häufig politisch.

Das kammermusikalische Ensemble Schirokko mit Streichern, einem Cembalo und einer selten zu hörenden Thorbe, einer Langhals-Laute, begleiten die vier Solisten,  die Songs vortragen, von denen viele in Altenglisch gesungen werden. Sie sprechen von den „Göttern  der Liebe und der tönenden Kunst“,  träumen davon, wenn des „Aprils Veilchen den Hain mit Farben füllen“ oder Nicholas Laniers seine heiße Liebe zu Celia besingt oder aus Purcells Oper Dido und Aeneas vom einsamen Wanderer die Rede ist. In diesen Fantasiebildern dürfen Hexen und eine Zauberin nicht fehlen, der Chor lacht hämisch, „das Böse ist unser Entzücken“. Ob als Solo, im Duett oder Quartett, die Solisten besingen eine Zauberwelt, die sich dem „hellen Licht des Tages“ entzieht und in der ein „furchtbarer Vollstrecker“ sein Unwesen treibt. In Morpheus sieht der Verliebte seine Seele brennen, so weit treibt ihn seine Verzweiflung.

Mit den Stimmen und der völlig anderen Akustik der Scheune hat sich auch die Stimmung der Musik verändert. Die Sänger, als Einzelfiguren auf dem Podium platziert, agieren mal als Solisten, aber auch im Duett oder Quartett. Susanne Ellen Kirchesch, Sopran, bringt einen klaren, fast sphärischen Klang ,  Friederike Schorling, Alt,  bleibt recht zurückhaltend, Dávid Csizmárs Bass beherrscht die Szene,  Lothar Blum mit feinsinnigem Tenor entrückt dieser Welt immer mehr.

Die Besucher, die auch andere Konzerte gehört haben, sind von der Veränderung der Atmosphäre in der Scheune beeindruckt. Doch betrachtet man die Eindrücke der verschiedenen Aufführungsorte und der vielfältigen Konzerte zusammen, wird der Besucher von der Vielfalt der musikalischen Eindrücke verwundert und angenehm überrascht sein. Das Versprechen des Festivals, dass hier in Knechtsteden Nacht und Stürme Licht werden, sieht der Zuhörer eingelöst, ihn überzeugt die musikalische Fülle und Vielfalt dieses Barockabends. Das zeigt auch der langanhaltende Schlussbeifall mehr als deutlich.

Horst Dichanz