O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Der Veranstalter stellt keine Aufführungsbilder zur Verfügung. - Foto © Hannah Becker

Aktuelle Aufführungen

Frauentragödien

LIEDNACHMITTAG
(Diverse Komponisten)

Besuch am
18. Juni 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Kissinger Sommer, Bad Kissingen, Kurtheater

Zwei Frauengestalten inspirierten Komponisten und Textdichter in der frühen Barockzeit nachhaltig: Dido und Kleopatra. Die erste gehört als Königin von Karthago ins Reich der Mythen, die zweite lebte wirklich, war Herrscherin von Ägypten und Geliebte der römischen Machthaber Caesar und Antonius. Beide Frauen starben selbstbestimmt durch Suizid, um sich der Liebe und der Macht der Männer zu entziehen.

Anna Prohaska widmet nun ihren Liednachmittag im Jugendstiljuwel des Kissinger Kurtheaters, ausgeleuchtet in Rot und verdunkelt, den beiden starken Frauen, Heldinnen diverser barocker Opern des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts, wobei Liebesgefühle und Lebenswege dabei oft Erfindung sind. Authentische Atmosphäre verleiht der Darbietung das ausgezeichnete, auch in instrumentalen Soli packende, siebenköpfige Kammerensemble des renommierten, auf historische Aufführungspraxis spezialisierten Barockorchesters Il Giardino Armonico. Die sympathische, attraktive Sängerin, international sehr gefragt als vielseitige Interpretin von Opernrollen und von Solo-Projekten, Mitglied der Berliner Staatsoper, tritt passend königlich-erhaben in goldglitzernder Robe auf und unterstreicht mit lebendiger Gestik die Aussagen einer von Liebe und Verzweiflung gequälten Frau, stets unterstützt vom vielseitigen Instrumental-Ensemble.

Anna Prohaska – Foto © Marco Borggreve

Es beginnt fein klagend mit der Arie der karthagischen Herrscherin an ihre Getreue Belinda aus Henry Purcells Oper Dido and Aeneas. Die beiden Arien von Antonio Sartorio aus seiner Oper Giulio Cesare in Egitto zeigen zuerst eine liebende Cleopatra, die aber ihre Emotionen auch skeptisch beurteilt, dann aber in Quando voglio mit Höhen voll innerem Glanz und wunderbaren Verzierungen die „Waffen einer Frau“ selbstbewusst besingt, und der wunderbar klare, äußerst flexibel gestaltende Sopran kann das zur rhythmisch bewegten Musikbegleitung überzeugend darstellen. Das lange Lamento der Cleopatra von Daniele da Castrovillari zeigt dagegen viel schmerzliche Trauer der sterbenden Königin, als sie Abschied nimmt von Antonius, von ihrem Reich und vom Leben, da die Schlange sie schon gebissen hat; in wunderschön glänzenden Melodiebögen stirbt sie in einem sanft tröstlichen Schluss. Stark aufgewühlt aber ist Dido bei Christoph Graupner in seiner Oper Dido, Königin von Carthago, zuerst im deutsch gesungenen Rezitativ, später in den italienischen Arien Infido Cupido und Agitato da tempeste; hier ist die Sängerin eine echte Tragödin, in heftig bewegten Verzierungen und im schnellen Wechsel von Höhen und Tiefen, gibt bisher unterdrückten, nun freigesetzten Gefühlen Raum, formuliert alles mit dramatischer Intensität. Nie wird dabei die Stimme hart; sie zeigt immer abgerundete Tonschönheit, selbst bei leiser Zurückhaltung, und das Orchester stützt sie dabei kongenial. Zur Entstehungszeit der Opern passen die Auszüge aus der Schauspielmusik zu The Tempest von Matthew Locke und natürlich Henry Purcells Chaconne aus The Fairy Queen durch freudige Flächen und rhythmisch-tänzerisch strukturierte Partien.

Mit Georg Friedrich Händels Ouvertüre zu Giulio Cesare in Egitto, klangschön, konturiert, auch festlich beschwingt, leiten die Instrumentalsolisten von Il Giardino Armonico den zweiten Teil des wegen der Hitze wohl nicht ausverkauften Nachmittags ein. Bei Johann Adolph Hasses Arie des Araspe aus Didone abbandonata lässt die Sängerin mitreißend das aufziehende Unwetter in schnellen Linien und locker bewegten Verzierungen spüren, angetrieben von innerem Impetus. Cleopatras schmerzlich-dramatischer Monolog im Rezitativ Che sento? aus Händels Giulio Cesare in Egitto steigert sich immer mehr zu großen, in sich anschwellenden Bögen, zu irgendwie doch hoffnungsvollen Bitten an die Götter, den Liebsten zu schützen. Das Adagio von Dario Castello leitet mit seinen starken Spannungen und Kontrasten zwischen langsam und schnell gut über zu Re de‘ Getuli aus der Oper La Didone von Francesco Cavalli, und nach der beeindruckenden Schilderung der misslichen Situation der Dido angesichts des aufdringlichen Bewerbers bekräftigt Prohaska mit viel Nachdruck die Treue zu ihrem verstorbenen Mann. Hasses Ausschnitt aus Marc‘Antonio e Cleopatra zeigt ihre Sehnsucht nach dem Tod und endet in einem befreiten Aufschrei. Nach einer sehr intim klingenden, meditativen Passacaglia von Luigi Rossi zeigen Rezitativ und Arie der Dido aus dem Schluss von Purcells Oper ganz verinnerlicht, differenziert ihren Abschied von der Welt, in Ruhe begrüßt sie den Tod, und die Sängerin gestaltet das Remember me berührend mit sanftem Nachdruck, ganz leise klingt dann das Leben aus.

Langer, jubelnder Beifall und eine Dido-Zugabe für das begeisterte Publikum.

Renate Freyeisen