Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
ERÖFFNUNG KISSINGER SOMMER
(Diverse Komponisten)
Besuch am
21. und 22. Juni 2024
(Einmalige Aufführungen)
Zur Eröffnung eines Festivals wünscht man sich eigentlich Festliches. So ganz aber wird der erste Abend des Kissinger Sommers im schönen Max-Littmann-Saal in Bad Kissingen mit dem BBC Symphony Orchestra dem nur bedingt gerecht. Das liegt zum einen am Programm, zum anderen an der Darbietung und entspricht auch wenig dem Motto des diesjährigen Festivals „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“. Daran soll wohl der Auftritt von schrill aufgemachten DragQueens im Saal und der für den nächsten Abend angekündigte Rave mit Berliner DJs im Kurtheater erinnern – Exporte von der Spree also. Ob das allerdings junge Leute zum Besuch klassischer Konzerte animieren kann, erscheint fraglich. Solche Intentionen werden in den – überflüssigen – Festreden zu Anfang thematisiert. Wichtig aber ist den meisten im Publikum die Musik, die einige Zuhörer auch lautstark während der bemühten Einführung von Kulturministerin Claudia Roth fordern.
Anu Komsi – Foto © Ville Paasimaa
Endlich beginnt das Orchester unter der inspirierenden Leitung seines Chefdirigenten Sakari Oramo mit der Ouvertüre zur Oper Oberon von Carl Maria von Weber mit der Introduktion des Hornrufs und den folgenden sanften, lieblichen Streicherklängen, der freundlich lichten, beseelten Melodie und dem zweiten, kraftvolleren Teil mit großem Aufschwung, schwirrend schnellen, etwas verwaschenen Figuren bis zum kraftvollen Schluss. Das ist ein würdiger Auftakt des Eröffnungskonzerts mit dem routiniert aufspielenden Orchester. Das Thema des Shakespeareschen Sommernachtstraums umrahmt aber ein Werk, das sich nicht mit der Verzauberung der Welt durch Elfen und Naturwunder befasst, sondern auf die Vernichtung der menschlichen Kultur und des demokratischen Miteinanders hinweist, nämlich Kurt Weills Kantate Der neue Orpheus op. 16. 1925 hat er das Werk nach dem Text von Yvan Goll, einem surrealistischen Dichter, komponiert, hatte damit aber keinen Erfolg. Das liegt einerseits daran, dass die expressionistische, freitonale Schöpfung nur selten mit dem Gedicht übereinstimmt, dessen Inhalt kaum unterstützt, aber sicher auch an der deprimierenden Schilderung des Musikers Orpheus bei seinem Gang durch die Großstadt Berlin, der an seinen Zielen, der Erlösung der Menschheit, scheitert. Nun ist das sicher auch als mahnender Kontrast zu den romantisch verklärenden Werken davor und danach, der Oberon-Ouvertüre und Felix Mendelsson Bartholdys opus 61 Ein Sommernachtstraum gut gemeint, doch die Ausführung kann nicht befriedigen. Das liegt nicht am Orchester, das engagiert aufspielt mit starken, bewusst störenden Akzenten, Zerrissenem, Heftigem, Wilden, aber auch Ruhiges, fast Sakrales, dann wieder Kämpferisches formuliert, auch überhaupt nicht am beeindruckenden Violin-Solo von Dirigent Oramo, einem versierten Geiger, sondern an der Sängerin Anu Komsi. Ihr heller, großer, manchmal sogar schriller Sopran gestaltet betont ausdrucksstark bis übersteigert; man versteht aber kein Wort. In der Dunkelheit des Saals kann man den Text kaum mitlesen. Die Sängerin begleitet die Aussagen mit großen Gesten, ihr Äußeres aber wirkt, vielleicht bewusst mit Absicht, seltsam. Die Kantate geht schlecht aus: Orpheus erschießt sich angesichts der Zustände in der Großstadt, gegen die er nichts ausrichten kann. Da gefällt dem Publikum im voll besetzten Saal die Musik von Mendelssohn Bartholdy schon eher, zuerst die Ouvertüre zum Sommernachtstraum, fließend, schwirrend, mit schönen Bläserrufen, schwärmerisch, der dann die eigentliche Bühnenmusik zu opus 61 folgt. Die aber lebt von der poetisch gestaltenden, klar verständlichen Ansage der Szenen durch die Schauspielerin Martina Gedeck; sie vermittelt auf bezaubernde und lebendige Weise die etwas konfuse Handlung im nächtlichen Wald mit viel Geschick; die Verwicklungen und Stimmungen im Elfenreich werden vom Orchester mal neckisch, mal dramatisch, mal festlich auftrumpfend wie im berühmten Hochzeitsmarsch unterstrichen und vom klangschön singenden Elfenchor, den Damen der BBC Singers mit der Ersten Elfe, der Mezzosopranistin Susan Zarrabi, bestens hörbar gemacht als schwärmerischer Naturzauber.
Großer Beifall und als Zugabe ein Ave Maria des Chors – eigentlich nicht ganz passend.
Martina Gedeck – Foto © Karel Kühne
Der zweite Abend mit dem BBC Symphony Orchestra und seinem mit geschmeidigen Handbewegungen leitenden Dirigenten Sakari Oramo ist dann wirklich festivalgerecht, vom Programm wie von den ausführenden Musikern her. Den Anfang bildet Edward Elgars ungemein schwieriges, 50 Minuten lang dauerndes, solistisch in jeder Beziehung forderndes Violinkonzert h-Moll opus 61, bei dessen Uraufführung der berühmte Fritz Kreisler der Solist war. Nun aber, im nicht nur akustisch wunderbaren Max-Littmann-Saal, spielt die weltweit gerühmte, aber völlig unprätentiös auftretende Vilde Frang aus Norwegen auf einer Guarnieri-Geige del Gesù von 1734 den Solopart, und das Publikum spürt: Die Geigerin geht völlig in der Musik auf. Das Orchester beginnt die ausführliche Exposition mit starkem Ausdruck, fügt tragische Momente hinzu, auch weichere Klänge, wird heftiger mit innerer Bewegung, bis dann die Solovioline wie beschwichtigend einfällt mit vollem, tiefem, sattem Ton, aber auch seelenvoll, elegisch singend, geführt von innerem Elan; nach flüssigen Figuren entfaltet sich ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten zwischen sanfter Poesie und Spannung, in variablen Tonfärbungen, oft ungeheuer schnell, mit wechselnden Empfindungen, reichen Ausdrucks-Schattierungen. Orchester und Solistin sind stets Partner im Dialog, und im lebendigen Ineinander endet der Satz in Harmonie. Das Andante beginnt schnell, virtuos, mit schwirrend leichten Bewegungen, auf Heftiges im mächtig auftrumpfenden Orchester folgt die Violine mit geradezu elegant verspielter Virtuosität, alles bleibt in Spannung zwischen dem stark akzentuierenden Orchester und den dahinwirbelnden Geigenfiguren. Der Schlusssatz hält alles in flüssigem Rhythmus; Rasanz und Virtuosität imponieren beim brillanten Spiel der Violine, die trotz aller sich steigernden Anforderungen mit vollem Ton in der Tiefe, wunderbar singender Mitte und silbrig fein klingender, glänzender Höhe mit seidigen Flageoletts begeistert und unglaublich schnelle Doppelgriffe und Arpeggien scheinbar mühelos beisteuert zum Zusammenspiel mit dem starken Orchester bis zum eindrucksvollen Schluss. Riesenbeifall und nach dieser auch die Zuhörer fordernden Leistung gottseidank keine Zugabe. Nach der Pause dann sozusagen die harmonische Versöhnung von Mensch und Natur in Beethovens 6. Sinfonie F-Dur, der beliebten Pastorale, die laut Komponist „Mehr Empfindung als Malerei“ sein sollte. Da Beethoven den fünf Sätzen auch Überschriften gab, soll das Gemeinte auch hörbar werden. Nach etwas zu lautem, kraftvollen Beginn des ersten Satzes aber entspricht das Orchester mit seinen hervorragenden Bläsern, den leuchtend lieblich klingenden Geigen – seltsamerweise sind die Celli vorne rechts auf dem Podium platziert – ganz der Vorgabe, dem Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande. Die Szene am Bach mit den lautmalenden Trillern, den Vogelstimmen, dem Kuckucks-Ruf, ist ganz Naturidylle, während dann der Tanz der Landleute viel Freudiges, Lustiges, ausstrahlt, aber schon mit unterschwelligem Grollen des Orchesters die Stimmung umschlägt und dann ein Unwetter losbricht mit schrillen, heftigen Einschlägen. Bei solchen starken Effekten scheint sich das Orchester sehr wohl zu fühlen. Doch der Sturm beruhigt sich, alles gewinnt Harmonie, intensiv ausgekostet. Der Nachklang des Schönen erinnert an den ersten Satz, und zuerst strahlend, dann fein endet alles als Hymne an die Kraft der Natur, die Beethoven immer sehr genoss.
Für den langen Beifall bedanken sich Oramo und sein Orchester mit der Ouvertüre zur Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus von Beethoven.
Renate Freyeisen