O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Frauen auf dem Vormarsch

KISSINGER SOMMER
(Diverse Komponisten)

Besuch am
25. Juni, 9. Juli und 16. Juli 2022
(Einmalige Aufführungen)

 

Kissinger Sommer, Regentenbau, Max-Littmann-Saal, Bad Kissingen

Im wohl schönsten Konzertsaal in Nordbayern, im akustisch hervorragenden Max-Littmann-Saal im Regentenbau mit dem Flair der letzten bayerischen Wittelsbacher-Herrschaft, finden die großen Konzerte des Kissinger Sommers statt; leider sind nicht immer alle der etwa 1.100 Plätze gefüllt. Aber auch bei der 36. Ausgabe des Festivals kann sich das Publikum über außergewöhnlich Hochkarätiges freuen.

Exzellente Klangkörper und Weltklasse-Solisten begeistern an drei Abenden das Publikum, nämlich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit der Geigen-Virtuosin Janine Jansen, die Wiener Symphoniker mit der hochgerühmten Sopranistin Lise Davidsen und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der jungen Dirigentin Ruth Reinhardt mit dem Pianisten Daniil Trifonov.

Joana Mallwitz am Pult des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks prägt schon äußerlich ein neues Bild der weiblichen Dirigenten-Elite, in weißer Bluse, enger schwarzer Hose und hohen Schuhen, mit beschwörenden weichen Handbewegungen, aufmunterndem  Lächeln kitzelt sie alle möglichen humorvoll-witzigen Facetten aus dem völlig auf sie konzentrierten großen Klangkörper heraus bei Till Eugenspiegels lustige Streiche , der Sinfonischen Dichtung op. 28 von Richard Strauss heraus; schon beim ersten Eulenspiegel-Thema des Horns überraschen Übermut, Spannung, Kraft, lustige Tupfer, breites Dahinschwelgen im Melodischen, zarte Farben, Tanzhaftes, Heftiges bis zu Brutalem bis zu einem geradezu süßen Schwelgen am Schluss. Alles scheint der Dirigentin richtig Spaß zu machen, und sie überträgt das intuitiv auch aufs Orchester. Ganz anders die Stimmung in Peter Tschaikowskys D-Dur-Violinkonzert. Dass es einst als unspielbar galt und von der Kritik als „gezaust, gerissen, gebeult“ abqualifiziert wurde – bei Janine Jansen spürt man nichts davon. Ihre eher dunkel-samtige Stradivari-Violine, in nahezu blindem Einklang mit dem Orchester, betört mit poetischem Gesang, alle technischen Schwierigkeiten sind mühelos eingebunden in einen stetigen Fluss, in Weitungen, Steigerungen, variable Farben, und die Kadenz bebt geradezu vor schwindelerregenden Finessen im Impetus des Ganzen; auch die folgenden Sätze sind stets klangschön, manchmal durchweht von Schwermut, entwickeln sich immer freier zu atmenden Bögen und vibrierender Spannung; alles endet mitreißend. Das Publikum im ausverkauften Saal ist ganz aus dem Häuschen. Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie A-Dur zeigt neben triumphalen Aufschwüngen, großem Zug und irritierenden Schwankungen zwischen heftig dramatischen Einwürfen und feinen, verhaltenen Gedanken im Grund positive Gefühle, betont Tröstendes im zweiten Satz, und der sonnige, idyllische Beginn des Presto täuscht etwas über mächtige innere Spannungen hinweg, bis sich im Finalsatz tänzerische Anwandlungen immer drängender, schneller steigern zu einem fulminanten , rhythmisch akzentuierten, kraftvoll kühn strahlenden Schluss. Diesem Sog der Musik kann sich das jubelnde Publikum nicht entziehen.

Auch die Wiener Symphoniker, einst das Kurorchester des Staatsbads, gestalten einen weiteren Höhepunkt des Kissinger Sommers unter dem jungen, vielversprechenden Dirigenten Patrick Hahn, jüngster Generalmusikdirektor im deutschsprachigen Raum beim Wuppertaler Sinfonieorchester, eingesprungen für eigentlich vorgesehene Kollegen. Kein Verlust, auch wenn der Beginn der Freischütz-Ouvertüre von Carl Maria von Weber noch etwas unter der kurzfristigen, krankheitsbedingten Umbesetzung bei den Bläsern leidet. Bald aber hat man sich gefunden, und die Vier letzten Lieder von Richard Strauss lassen das sofort vergessen. Denn die herrlich tragende, große, nirgends angestrengte Stimme der norwegischen Sopranistin Lise Davidsen macht daraus reinen Genuss. Schon bei Frühling betören die dunkle Tiefe, die fein glänzende Höhe, der innere Elan, die wunderbar abgestuften, zum Text Hermann Hesses passend gestalteten Melodie-Linien und die „zwitschernden“ Koloraturen; zusammen mit dem Orchester schafft sie daraus ein feines Naturbild, führt in September alles zu poetischer Verklärung; die Sängerin modelliert jedes Wort, formt es inhaltlich zu einem Stimmzauber. Auch Beim Schlafengehen setzt sie ihren modulationsfähigen Sopran flexibel zwischen weich und kraftvoll ein zu einer Imagination des Träumens; selbst bei Abendrot mit der Todesahnung betont sie tief empfundenen Frieden, unterstützt vom Orchester mit der ruhigen Suggestion eines Hoffnungsschimmers. Riesenbeifall! Dass danach mit der Symphonie Nr. 1 c-Moll von Johannes Brahms noch ein weiterer musikalischer Gipfel folgen soll, hat niemand erwartet. Aber Hahn, mit großer Durchsicht, beschwörenden Gesten und energisch leitend, gibt eine sehr introvertierte Interpretation des ersten Satzes, lässt das Andante sehnsuchtsvoll, schwärmerisch klingen, entwickelt den dritten Satz genussvoll, transparent und relativ schnell, und das Finale ist zwischen starken Spannungen, weihevollen Momenten, triumphalem Aufschwung, immer größer werdendem, starkem Auftrumpfen gehalten. Das fordert natürlich lange Begeisterung des leider nicht so zahlreich erschienenen Publikums heraus.

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Voller ist der Saal schon beim Konzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem Ausnahme-Pianisten Daniil Trifonov. Auch hier herrscht eine Frau vom Pult aus, die junge Ruth Reinhardt, schmal, energisch, mit irgendwie sportlichem Elan gibt sie mit deutlichen Bewegungen dem aufmerksam mitgehenden Orchester kraftvolle Impulse zuerst bei Igor Strawinskys Konzert in D-Dur für Streichorchester; das relativ kurze Werk, neoklassizistisch, ist 1946 in Hollywood entstanden. Es beginnt sehr griffig, sehr rhythmisch; das Orchester verrät sein gegenseitiges Einverständnis auch mit Blicken und Lächeln; der Finalsatz, zwischen straffen Gegensätzen angesiedelt, endet schnell. Das leitet bestens über zum 1. Klavierkonzert d-Moll von Johannes Brahms. Nach einem weiten, mächtigen, geradezu gewaltsamen Orchester-Beginn setzt Trifonov am Klavier ein, wie in sich gekehrt, mit subtilem, variabel gefärbtem Anschlag, steigert zu starker Spannung, und das Orchester befindet sich in geradezu träumerischem Einverständnis mit dem Tastenkünstler, der jeder inneren Regung nachzuspüren scheint. Alles gerät zu einem großartigen Fluss musikalischer Bravour leidenschaftlichen Musizierens, die Haare des Pianisten fliegen; erst in der Kadenz mit fast minimalen Verzögerungen zeigt er mit gelegentlichem Blick nach oben wieder sein eher introvertiertes Spiel, seine Kunst der allerfeinsten Phrasierung. Im zweiten Satz mit wie ziselierten Läufen, dahinperlenden Kaskaden, sehnsuchtsvollen Anwandlungen des Orchesters finden alle zusammen zu einem ruhigen, harmonischen Schluss, sodass der furiose Beginn des mitreißenden Finales zwischen ruhigeren Momenten auch dramatische Spannung zeigt und fast wie eine Befreiung in fein gebundenen Läufen, mit starken Akzenten weit ausgreifend und strahlend enden kann. Der Jubel des Publikums will danach gar nicht aufhören, kann erst mit einer ruhigen Zugabe besänftigt werden. Danach bedeutet die Symphonie Nr. 3 Es-Dur von Robert Schumann, die Rheinische, eher etwas wie eine Abkühlung, denn sie wird sehr straff, mit viel Schwung gegeben, überlagert die lieblichen, idyllischen Momente mit viel Kraft und endet sieghaft. Auch das gefällt dem Publikum.

Renate Freyeisen