O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Oscar Romero

Aktuelle Aufführungen

Spanien am Niederrhein

REDISCOVERING SPAIN
(Accademia del Piacere)

Besuch am
4. März 2018
(Einmaliges Gastspiel)

 

Kulturforum Franziskanerkloster, Kempen

Kempen ist eine hübsche, kleine Stadt im Kreis Viersen am Niederrhein, die rund 35.000 Einwohner beherbergt. Und wie jede kleinere Stadt hat auch Kempen finanziell damit zu kämpfen, eine vernünftige Kulturszene aufrechtzuerhalten, um die Abwanderung der Bevölkerung zu verhindern. Allerdings scheint Kempen da erfolgreicher zu sein als andere Kommunen. Am Ortseingang begrüßen den Besucher adrette Einfamilienhäuser in attraktiver Architektur, im Stadtkern wartet eine pittoreske Altstadt. Hier wurde 1987 nach umfangreichen Restaurierungs- und Modernisierungsarbeiten das Kulturforum Franziskanerkloster eröffnet. In einer gesunden Mischung aus städtischer Verantwortung und bürgerschaftlichem Engagement wurde die Kulturszene Kempen als Marke etabliert. Dahinter verbergen sich unterschiedlichste Veranstaltungsangebote, die für viele Geschmäcker etwas bieten. Der Verein Kempen Klassik bietet zusätzliche Veranstaltungsreihen wie die Kempener Klosterkonzerte. Und die stellen ganz schön was auf die Beine. Da tauchen auf den Plakaten für März Namen wie der der Pianistin Danae Dörken oder der Sängerin Anna Prohaska auf.

Heute Abend ist in der Reihe Musica antica e viva die Accademia del Piacere mit Stammsitz in Sevilla zu Gast. 2002 gründete Gambist Fahmi Alqhai das Ensemble und baute es zu einem der führenden Alte-Musik-Ensembles in Europa auf. Mit der Erarbeitung des Gamben-Repertoires zunächst Deutschlands im 18. Jahrhundert, später auch Italiens im seicento, es folgten Frankreich und Spanien, überraschten die Musiker immer wieder mit ihren Programmen und einer Improvisationsfähigkeit, die ihresgleichen sucht. In der Paterskirche des Franziskanerklosters stellen die Musiker ihr Programm Rediscovering Spain vor. Dabei geht es nicht so sehr darum, ein repräsentatives spanisches Gamben-Repertoire vorzustellen, sondern statt der „herkömmlichen“ historisch-informierten Aufführungspraxis die tatsächliche Arbeitsweise der Musiker des 16. und 17. Jahrhunderts zu zeigen. Zu dieser Zeit war es vollkommen unüblich, vorhandenes Material zu reproduzieren. Vielmehr war es Gang und Gäbe, Variationen aller nur erdenklichen Formen zu entwickeln. Was heute umgehend als Plagiat angeprangert und urheberrechtlich angegangen werden würde, gehörte seinerzeit dazu, die Musik täglich neu zu erfinden.

Fahmi Alqhai – Foto © Javier Diaz de Luna

Was als Idee überzeugend klingt, ist in einem Konzert schwer umzusetzen. Mit spanischer Musik vergangener Jahrhunderte allemal. Schließlich setzt das Erkennen von Variationen die Kenntnis des Originals voraus. Und wer kennt schon La dama le demanda von Antonio de Cabezón, der von 1510 bis 1566 gelebt hat? Oder O felici occhi miei von Jacobus Arcadelt aus dem nämlichen Zeitraum? Der Abendzettel verrät, dass es sich in beiden Fällen um Arrangements von Fahmi Alqhai handelt. Und Arrangements sind nichts anderes als die Anpassung einer bestehenden Musik an die real existierenden Verhältnisse. Die sehen so aus, dass die Gamben-Spieler Fahmi Alqhai, Johanna Rose und Rami Alqhai von Miguel Rincón an der Barockgitarre und Agustin Diassera an den Trommeln unterstützt werden.

Deutlicher oder sagen wir vorstellbarer werden die Veränderungen, wenn im zweiten Teil des Konzerts Improvisationen vorgestellt werden. Hier wechseln die Musiker innerhalb eines Werks Stil, Tempo oder Rhythmus. Toccata, Marsch oder Flamenco erklingen beispielsweise bei der Improvisation Alqhais über Mille regretz von Josquin Desprez. Da klingt die Musik sehr viel ursprünglicher. Hinzu kamen ab dem 17. Jahrhundert Einflüsse der afrikanischen und amerikanischen Musik als weitere Variationsmöglichkeit, die vor allem bei den Tänzen der Straße Einfluss fanden. Das erläutert Alqhai mit Übersetzungshilfe von Johanna Rose. Und das Publikum nimmt es gern zur Kenntnis. Im dritten Teil des Abends werden eben diese Tänze thematisiert. Der Dramaturgie hilft es insbesondere bei den Marionas y Canarios kaum. Vor allem in den hinteren Reihen, in denen eigentlich nur noch die Musik zu hören ist, die Musiker aus der Ferne kaum noch zu erkennen sind, macht sich Erschöpfung breit. Etliche Besucher verabschieden sich vorzeitig aus dem Kirchensaal, der bis nahezu auf den letzten Platz besetzt ist.

Zwar bleibt die Grundidee des Abends nur schwer erkennbar, was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass hier in Kempen ein Konzert der internationalen Extra-Klasse zu hören ist. Nach mehr als anderthalb Stunden mit drei Zugaben – 70 Minuten waren für das Konzert angesetzt – bedankt sich das überwiegend alte Publikum vielmals. Kempen Klassik hat sich hier von seiner feinsten Seite präsentiert.

Michael S. Zerban