O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nils Klinger

Aktuelle Aufführungen

Bunte Menschen und graue Mäuse

LA CENERENTOLA
(Gioachino Rossini)

Besuch am
10. Oktober 2020
(Premiere)

 

Staatstheater Kassel

Zögerlich laufen in der Bundesrepublik die Opernproduktionen an, gefangen in der Zwickmühle, Musiker und Publikum zu schützen und gleichzeitig so gut es geht, Musiktheater zu zeigen. Dazu kommt noch der Nachteil, dass man das Erprobte nicht mal vor ausverkauftem Haus zeigen kann, denn auch am Staatstheater Kassel findet die Premiere von La Cenerentola vor etwa einem Viertel des eigentlich möglichen Publikums statt. Für die Inszenierung hat man Adriana Altaras und die Bühnenbildern Yashi nach Kassel geholt, die ihre Linzer Inszenierung von 2011 leicht modifizieren und mit Corona-Regeln auffrischen. Eigentlich darf man das ja im Programmheft erwähnen, denn das Recycling von Inszenierungen ist ja keine Schande.

Ein Unterschied ist, dass sich der Männerchor nicht mit auf der Bühne bewegen darf, sondern quer über die Ränge verteilt mitsingen darf. Ein einzelner Chorist – der großartige Bernhard Modes – darf stellvertretend als Bote des Prinzen Ramiros mit einigen gelungen Pointen zum Thema Desinfektion auf der Bühne mitwirbeln. Altaras und Yashi haben aus der Cenerentola ein modernes Märchen zum Thema Emanzipation gemacht. Im Laufe des Abends distanziert sich die junge Angelina sehr deutlich von ihrer Opferrolle – sowohl gegenüber ihren tyrannischen Schwestern als auch dem typischen Mansplaining-Verhalten von ihrem Stiefvater und auch ihres zukünftigen Prinzen, der es mit der Beschützerrolle arg übertreibt.

Damit die Aussage nie den erhobenen Zeigefinger zeigt, werden liebevolle Überzeichnungen genutzt. Don Magnifico bekommt über seinen dicken Bauch kaum noch das Jackett geschlossen, die beiden Schwestern ergehen sich in unmodischen Grausamkeiten. Die Kostüme sind bunt, die Requisiten und Türen teilweise übergroß. Und zwei tanzende graue Mäuse, die nur Angelina wirklich wahrzunehmen scheint, sorgen für allerlei Niedlichkeiten. Die Mund- und Nasenbedeckung kann übrigens hervorragend in ein Maus-Kostüm eingebunden werden.

Foto © Nils Klinger

Szenisch passiert auch dank schöner Choreografien eine ganze Menge und das, obwohl man irgendwie auch noch Abstandsregeln umsetzt. Genau diese sorgen allerdings dafür, dass der Produktion die musikalische Kraft fehlt. Im nicht einsehbaren Orchestergraben hat sich hörbar ein Kammerorchester eingefunden, weshalb schon die Ouvertüre ohne Puste daherkommt. Wer die nötigen Modifikationen an der Partitur vorgenommen hat, bleibt unerwähnt. Auf jeden Fall werden die Holzbläser sehr vielfältig eingesetzt. Der Nachteil dieser Adaption ist, dass sich einige Momente so anhören, als wären sie von einer Laien-Bigband gecovert worden. Der Vorteil ist dagegen, dass man ansonsten die Oper einmal mit anderen Ohren hört. Die Mitglieder des Staatsorchesters Kassel spielen filigran, und Dirigent Alexander Hannemann hat gar keine große Wahl, als Brillanz vor Rasanz zu setzen.

Dadurch können die Sänger jedes Parlando und jede Koloratur viel sauberer intonieren, als man es sonst im Hochgeschwindigkeitsrausch hört. Vero Miller beginnt in der Titelrolle eine Spur zu direkt und im Italienisch eine Spur zur hölzern. Kaum begegnet sie ihrem Prinzen, den sie ja noch für den Kammerdiener hält, blüht ihre Stimme auf, die Koloraturen und Verzierungen laufen wie geschmiert und letztendlich liefert sie ihre große Finalszene inklusive glutvoller Spitzentöne bravourös ab. Cozmin Sime ist als Dandini ein feiner Erzkomödiant, der seine Gesten ebenso sauber beherrscht wie seinen agilen Bariton, der selbst in langsamen Momenten ruhig auf seinem Atem liegt. Younggi Moses Do hat als Ramiro hörbar Freude an den Höhen des Prinzen, die er autoritär, aber manchmal auch etwas druckvoll aussingt. In der Interpretation des Magnifico vom spielfreudigen Marc-Olivier Oetterli steht passenderweise das cholerische Temperament im Mittelpunkt. Elizabeth Bailey und Daniela Vega bestreiten die gar nicht so einfachen Rollen der Clorinda und Tisbe sehr sauber und sind sichere Ober- und Mittelstimme in den Ensembles. Hee Saup Yoon ist ein sympathischer Berater Alidoro, der auch darstellerisch viel zu erzählen hat.

Das Publikum braucht das erste Viertel der Oper, um aus der situationsbedingten Unsicherheit auszubrechen und lässt sich von der Aufführung anstecken. Fortan traut man sich zu lachen, zu klatschen und dann auch Bravo zu rufen. Ein kluges Hygienekonzept und eine unterhaltsame Aufführung sorgen dafür, dass man für knapp zweieinhalb Stunden einmal relativ sorgenfrei genießen kann.

Rebecca Broermann