Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
L’UOMO
(Andrea Bernasconi)
Besuch am
12. November 2022
(Einmalige Aufführung)
Tragisch – komisch“. Wie schwer die beiden Gegensätze mitunter voneinander zu trennen sind, zeigten die 46. Tage Alter Musik in Herne in zehn Konzerten unterschiedlicher Formate. Tragikomische Grenzverwischungen spielen in der Oper eine besondere Rolle, so dass Richard Lorber, der Künstlerische Leiter des vom Westdeutschen Rundfunk und der Stadt Herne veranstalteten Festivals, gleich drei musiktheatralische Projekte auffuhr. Neben einem barocken Jesuitendrama und einer Oper von Joseph Haydn stach ein Werk mit dem unscheinbaren Titel L’Uomo – der Mensch – des kaum bekannten Komponisten Andrea Bernasconi heraus. Dorothee Oberlinger lässt die 1754 in Bayreuth entstandene Oper glanzvoll auferstehen. Das Libretto und sogar zwei Canzonen gehen auf niemand Geringeren als Wilhelmine von Bayreuth zurück, die kunstsinnige Schwester Friedrichs des Großen und Gattin des Markgrafen Friedrich, der Bayreuth das edle Markgräfliche Opernhaus zu verdanken hat.
Philipp Mathmann und Anna Herbst – Foto © Thomas Kost
Es geht um Treue, Standhaftigkeit und Verführbarkeit in der Liebe. Ein alles andere als rutschfestes Parkett der Gefühle und Beziehungen, auf dem sich Wihelmine mit ihrem sinnesfrohen Gatten auskannte. Alle Figuren tragen zwar bürgerliche Namen, sind aber als Allegorien zu verstehen. Selbst die verliebten Protagonisten Anemone und Animia werden als männliche und weibliche Seele bezeichnet. Eine Reihe von guten und bösen Geistern ringt darum, die Liebenden vom Pfad der Tugend abzubringen oder ihre Standfestigkeit zu stärken. Der Kampf zwischen Vernunft und Wollust bringt die Liebenden, vor allem den jungen Mann, in arge Bedrängnis. Am Ende jedoch siegen die himmlischen über die höllischen Geister und alles wird gut.
Das Libretto spielt mit viel Esprit auf der Klaviatur menschlicher Gefühle und Schwächen, spart auch nicht an Bühnenzauber, wenn Amor und der Höllenfürst auftreten. Nils Niemann versteht es geschickt, der konzertanten Aufführung im gut besuchten Kulturforum mit wenigen Gesten und Accessoires szenisches Leben einzuhauchen. Wobei die stärksten Impulse von der Musik ausgehen. Und da führt Dorothee Oberlinger ihr phänomenales Ensemble 1700 und die nicht minder zu Hochform auflaufende Solistencrew mit sprudelnder Vitalität durch den zweieinhalbstündigen Abend.
Wilhelmine beauftragte den Italiener Andrea Bernasconi eigens für den Besuch ihres Bruders Friedrichs des Großen in Bayreuth mit der Komposition der Oper. Und der fährt alles auf, was das italienische Barock musikalisch zu bieten hat. Bravourarien, schlichte Canzonen, magische Stimmungsbilder und Tänze aller Art. Oberlinger beweist wieder einmal, wie sehr historische Aufführungspraktiken selbst formelhafte Da-Capo-Arien mit Spannung beleben können. Erst recht, wenn ein ebenso stilsicheres Gesangsensemble zur Verfügung steht, in dem nicht nur Maria Ladurner als Animia und Francesca Benitez als „Guter Geist“ Maßstäbe setzen. Der weite Tonumfang der Anemone bringt den Sopranisten Philipp Mathmann ein wenig in Bedrängnis. Makellos agiert der Rest des Ensembles.
Viel Beifall für einen hörenswerten Höhepunkt der diesjährigen Tage alter Musik in Herne.
Pedro Obiera