O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas Kost

Aktuelle Aufführungen

Frühe Influencerin

MODE UND STIL
(Diverse Komponisten)

Besuch am
9. November 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Kreuzkirche, Herne

Lifestyle und Mainstream sind keine Erfindungen unserer Tage. Daran erinnern die 47. Tage Alter Musik in Herne, die unter dem Motto Mode und Stil an vier Tagen in elf Konzerten die Musikgeschichte um bis zu 600 Jahre zurückdrehen. Ein Motto, das erlesenem Geschmack und exzellenter Kunstfertigkeit nicht widersprechen muss. Richard Lorber, der künstlerische Leiter des vom Westdeutschen Rundfunk und der Stadt Herne getragenen Festivals, sucht besonders schmackhafte und künstlerisch wertvolle Rosinen der vergangenen Jahrhunderte für die traditionsreichen Tage aus.

Gleich zum Auftakt stellte er in der nahezu voll besetzten Kreuzkirche mit der Markgräfin von Mantua, Isabella d’Este, eine der emsigsten Mäzeninen ihrer Zeit um 1500 vor, die Lorber augenzwinkernd als eine der ersten Influencerinnen der Geschichte preist. Es ist in der Tat erstaunlich, mit welcher Intensität die Italienerin Komponisten und Interpreten um sich sammelte oder mit Aufträgen bedachte. Davon zeugen mehr als 15.000 erhaltene Briefe.

Foto © Thomas Kost

Das zehnköpfige Ensemble Anonima Frottolisti aus Assisi präsentiert bei seinem Deutschland-Debüt knapp 20 Madrigale, Tänze und Lieder, die am Hof oder als Auftragsarbeit entstanden sind. Von Komponisten, deren Namen zum größten Teil vergessen sind, die aber einen lebendigen Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt der Zeit erlauben. Mit viel Lebensfreude, aber auch manch philosophischem Tiefgang. Die zehn Musiker treten mit einem bunten Instrumentarium an, das neben historischen Zupf-, Streich- und Blasinstrumenten auch exotische Raritäten wie Drehleier, Sackpfeife und Clavicytherium aufbieten. Zudem erweisen sich die meisten auch noch als hervorragende Sänger, so dass es dem Konzert nicht an Abwechslung fehlt. Auch wenn bedauerlicherweise die italienischen Gesangstexte dem ansonsten ausführlichen Programmbuch nicht beigefügt wurden.

Die Vielfalt an Stilen und Moden spiegeln sich in vielfältiger Weise in den weiteren Veranstaltungen. Sei es mit burgundischen Gesängen aus dem 14. Jahrhundert im Umfeld Guillaume de Machauts, mit von der Aufbruchstimmung des „Sturm und Drang“ beflügelten Werken Mozarts und Haydns, ausgeführt von der Geigerin Alina Ibragimova und dem Basler Kammerorchester, oder mit einer Oper der selbstbewussten Venezianerin Antonia Bembo, die 1707 am Hof Ludwig IV. in Versailles aufgeführt wurde. Bembos Oper L’ercole amante –Herkules, der Liebhaber – dürfte den Höhepunkt der Festtage bieten.

Auch diesmal stellt Lorber in einem Konzert alte und zeitgenössische Musik gegenüber. Unter dem schlichten Titel Tanz wird das Freiburger Barockconsort mit barocken Werken auf das auf Neue Musik spezialisierte Ensemble Recherche treffen.

Nach Herne kommen in diesem Jahr wieder Ensembles aus ganz Europa, die dort fast alle ihr Debüt geben. Im WDR können sie in vier Live-Übertragungen und den sich bis in den Dezember anschließenden Konzertsendungen ein überregionales, später in den Übernahmen durch die European Broadcasting Union ein internationales Publikum finden.

Pedro Obiera