O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Verdichtete Essenz

WOYZECK
(Marijn Simons)

Besuch am
14. Juli 2023
(Premiere am 26. Mai 2023)

 

Opernfestspiele Heidenheim im Schloss Wasseralfingen

Eine Pop-up-Oper im Rahmen eines Opernfestivals: Die Opernfestspiele Heidenheim gehen neue Wege, um auch jüngeres Publikum anzulocken. Das zeitlose Stück Woyzeck nach Georg Büchners unglaublich packendem, revolutionärem Drama, als Fragment bei seinem Tod 1837 unvollendet geblieben, hat schon Alban Berg und Tom Waits zu Kompositionen bewegt. In Heidenheim nahm sich der vor Ort durch die Zusammenarbeit mit Markus Bosch bestens bekannte Geiger und Komponist Marijn Simons den Stoff vor. Er erschuf gemeinsam mit Tonio Kleinknecht, dem Intendanten des Stadttheaters Aalen, der für das Libretto verantwortlich zeichnet, ein Werk, das zwischen Oper und Schauspiel changiert. Regie führt Kleinknecht gemeinsam mit Lisa-Marie Krauß.

Der Aufführungsort im Schloss Wasseralfingen ist gut gewählt: Der kleine Schlosshof schafft eine dichte, konzentrierte Atmosphäre. Eine schwarze, stufige Bühne an der einen Seite, zwei Kleiderständer, ein Klavier, ein Schlagzeug, die Zuschauer auf Bänken um einen alten Brunnen geschart, bilden das Ambiente.

Kleinknecht hat sich auf das Wesentliche in Büchners Drama konzentriert und eine Fassung geschaffen, die nur 40 Minuten dauert, perfekt für Schulklassen, die den Woyzeck im Zuge der Abiturvorbereitung durchnehmen. Die Pop-up-Oper ist überall leicht zu spielen, braucht jedoch eine gewisse Konzentration, die hier in Wasseralfingen gegeben ist. So sitzen denn auch munter schnatternde Oberstufenlehrerinnen in der Zuhörerschaft, eine Einführungsveranstaltung durch die Intendanz hat sie hergeführt. Doch plötzlich kehrt Ruhe ein, Spannung baut sich auf: Mayra Bosshard, Tanz- und Performance-Künstlerin, räkelt sich im Bühnenvordergrund, dazu bekommt das Publikum per Lautsprecher Informationen über die überaus schlechte Bezahlung von Füsilieren zur Zeit Büchners. Pianistin Neus Estrellas setzt ein, Bernd Brunk am Schlagzeug gesellt sich dazu, und beide schaffen mit der atonalen Musik von Simons die verschiedensten Stimmungen. Da werden die kostbaren Sekunden gezählt, die Hauptfigur unerbittlich vom Dienst zum Hauptmann, zum Arzt oder zu Marie gehetzt. Woyzecks Seelenleben geht in die Musik ein, die Unsicherheit, das ewige Suchen, die Zerrissenheit, die Abgründe und die Liebe zu Marie. Da scheint schon mal ein Ragtime auf, ein Fetzen Walzer schwebt durch den Hof, ein Geflecht aus zum Teil wilden Akkorden und Impulsen treibt die Akteure weiter. Die lyrischen Momente hat Simons eher dem Saxofon gegeben, hier gespielt von Aubrey Snell, die aber auch mit vollem Einsatz mit ihrem Instrument gegen Woyzeck vorgeht, sie mimt auch den Tambourmajor. Es sind die kleinen Einfälle, die die Inszenierung besonders interessant machen: ein Fenster, schnell mit Hilfe eines Maßstabs vorgehalten, zwei Kleiderständer, die Larissa Wagenhals zwei verschiedene Mäntel für die Rolle als Hauptmann und als Doktor bereithalten, Babygeschrei mit einem Kazoo täuschend echt imitiert, und immer wieder die akrobatischen Einlagen von Bosshard.

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Kleinknecht hat aus dem Dramenfragment die wichtigsten Stationen übernommen, alles wird sehr reduziert, knackig-kurz übermittelt, wirkt wie eine Essenz aus Büchners sowieso schon kurzem Werk. Fängt an, verdichtet sich, packt einen, lässt nicht los, wenn Marie nach einer knappen Dreiviertelstunde tot am Boden liegt und Woyzeck mit geschultertem Gewehr zu fast unerträglichen Schlägen vom Schlagzeug weiterhetzt.

Die Schauspieler und Sänger haben an einer solch reduzierten Fassung naturgemäß den wichtigsten Teil zu tragen, und da kann Kleinknecht auf ein intensiv spielendes Ensemble vertrauen. Die Akteure aus fünf Ländern schaffen mit ihrem Spiel in der kurzen Zeit eine eigene, eine verdichtete Realität auf der Bühne. Allen voran gibt Tenor Musa Nkuna einen überzeugenden Woyzeck, der mit jeder Faser seines Körpers den geschundenen Probanden spielt. Mit heller, obertonreicher und weicher Tenorstimme meistert er die schwierige Melodieführung und schafft ausdrucksstarke Momente. Als der Hauptmann ihn auf den Tambourmajor und Marie aufmerksam macht, summt er voller Traurigkeit – die Sprache ist verstummt – ein sehr berührender Moment des Abends. Ihm zur Seite steht Schauspielerin Larissa Wagenhals als Doktor und Hauptmann. Als Arzt spricht sie mit heller, angespannter und manchmal auch kieksiger Stimme, bringt das Unangenehme, das Neurotische im Charakter des Mediziners sehr gut rüber. Als Hauptmann geht sie ins tiefere Register, schafft Autorität. Mayra Bosshard wirbelt nicht nur akrobatisch über die Bühne, sondern spielt die Marie mit großer Intensität, manchmal singt sie auch ein paar Takte. Aubrey Snell spielt nicht nur die Klarinette mit Verve, sie zeigt auch im Zweikampf mit Woyzeck vollen Körpereinsatz. Neus Estrella hat die musikalische Leitung und schafft ausdrucksstarke Momente am Klavier, Bernd Brunk am Schlagzeug unterstützt mit rhythmischer Präzision zum Teil lautstark, schneidend, das Geschehen.

Am Ende ein Moment der Stille, gefolgt von langem, herzlichem Applaus für eine wirklich gut gelungene Aufführung.

Jutta Schwegler