O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Kontrollzwang und Überwachungsstaat

DON CARLO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
20. Juli 2023
(Premiere am 7. Juli 2023)

 

Opernfestspiele Heidenheim, Festspielhaus

Die Opernfestspiele Heidenheim punkten mit der nach oben offenen Rittersaalruine und setzen außer auf Qualität auch auf das Mitwirken von Mond und Sternen. Leider aber machen nicht nur Regengüsse, sondern auch plötzlich fallende Temperaturen eine Aufführung unter freiem Himmel manchmal unmöglich, verstimmen sich doch die Instrumente zu schnell. In Heidenheim ist das aber genial gelöst, für das benachbarte Festspielhaus steht ein zweites, auf die etwas kleinere Bühne angepasstes Bühnenbild zur Verfügung, so dass man zwar auf den Mond, aber keineswegs auf einen adäquaten Eindruck von der Inszenierung oder gar auf einen guten Klang verzichten muss, nein, hier hört man noch differenzierter. Und an diesem Abend hat man noch die Gelegenheit, zwei Herren im „Nahkampf“ mit der Sopranistin zu sehen, aber davon später.

Foto © Oliver Vogel

Regisseur Georg Schmiedleitner fokussiert sich in der Deutung des Don Carlo auf den Kontrollzwang des Herrschers, König Philipp II. von Spanien. Die Bühne von Stefan Brandtmayr wird dominiert von einem großen Gerüst, an dem ein überdimensioniertes, zerbrochenes Peace-Zeichen in leuchtendem Rot hängt – der Frieden im Reich, speziell in den Provinzen der spanischen Niederlande, ist nicht mehr gewährleistet, das Volk leidet unter der Herrschaft des Staatsoberhauptes. Rechts und links des Gerüsts hängen sechs Videobildschirme, auf denen Live-Aufnahmen gezeigt werden, die während der Aufführung bei Auf- und Abtritten und hinter der Bühne in einem Raum gefilmt werden. Diese Schwarz-Weiß-Aufnahmen, rechts und links die drei selben, zeigen natürlich den Willen der Machthaber, die Kontrolle zu behalten, lenken aber ansonsten eher vom Geschehen ab. Davor, in der Mitte der Bühne, befindet sich eine rote Treppe, die eifrig bespielt wird und auch teilbar mittig einen Raum frei gibt, der anfangs Platz für den Tanz der Hofdamen bietet und am Ende das Gefängnis von Don Carlo darstellt. Das Lichtdesign von Hartmut Litzinger hebt scharfe Gegensätze hervor und malt am Ende ein Lichtkreuz hinter das Peace-Zeichen.

Die Bühnenkonstruktion schafft Räume, die gemeinsam mit den Gängen des Zuschauerraumes auf verschiedenen Ebenen Platz für große Auftritte ermöglichen. Mit seiner Personenregie schafft Schmiedleitner so ein packendes Geschehen, in das sich die Darsteller gerne hineinbegeben, auch wenn sie von Cornelia Kraske zum Teil in etwas unvorteilhafte Kostüme gesteckt werden. So tragen Don Carlo und Posa Jogginghosen-ähnliche Beinkleider und Jacketts in schwarz und silberfarben. Elisabeth darf sich mit voluminösen schwarzen Roben abmühen, König Philipp II. erscheint im Staatsornat. Farbige Akzente setzen die Hofdamen in Rot und Prinzessin Eboli in weiß-grün. Die Farbe Rot spielt später in der Revolutionsszene, als das Volk die Freiheit einfordert, nochmal eine gewichtige Rolle und findet sich auf den „Libertà“- Transparenten. Slapstickmäßig und völlig aus dem hier gesetzten Rahmen fallend, aber dennoch sehr ansprechend ist das Transvestiten-Kostüm des Großinquisitors: schwarze Leggins, ebensolche Handschuhe und glitzernde Schuhe bilden die Grundlage für ein weißes, ballkleidähnliches, schulterfreies Korsagenkostüm, das aus dem recht kompakten, glatzköpfigen Darsteller eine Figur wie aus dem Vorhof der Hölle macht.

Im Terzett zwischen der blondbezopften Prinzessin Eboli, Don Carlo und Posa im zweiten Akt kommt es zu einem kleinen Zwischenfall: Posas Kostüm verhakt sich in Ebolis Perücke, und der Sänger versucht verzweifelt, sich unauffällig von ihr zu befreien, schafft es aber lange nicht, bis auch Posa ihm zu Hilfe kommt und sie beide die Prinzessin nach langem Herumnesteln an ihrem Nacken befreien können. Dabei singen alle drei weiter, und Ebolis Trema per te, falso figliuolo voller Wut danach ist erstklassig.

Foto © Oliver Vogel

Sung Kyu Park als Don Carlo hat eine gute Präsenz auf der Bühne und singt die Titelfigur mit prächtiger, höhensicherer Stimme und großem Einsatz. Ein gutes Legato und Belcanto-Qualitäten nehmen das Publikum für ihn ein. Lada Kyssy als Elisabeth verfügt über einen gehaltvollen Sopran, der sich in klare, helle Höhen steigert, manchmal etwas sehr vom Vibrato bestimmt. Sie zeigt schöne Farben und weiche Piani besonders in den Duetten mit Don Carlo. Ivan Thirion als Marquis von Posa singt den Freund des Infanten mit weicher, geschmeidiger Baritonstimme und überzeugt in seinen jugendlichen Ausbrüchen für die unterworfenen Flamen mit hoher Emotionalität. Die sensible Bassstimme von Pavel Kudinov als König Philipp II. passt zu der die Machtgier in den Vordergrund stellenden Inszenierung. Viril und mit viel Körperlichkeit, mit schönem Timbre und langem Atem liegen ihm besonders die repräsentativen Stellen der Rolle. In der berühmten Arie Ella giammai m’amo zeigt er Wärme, könnte aber noch mehr in die Innerlichkeit gehen. Zlata Khershberg ist ein Erlebnis auf der Bühne, ein Mezzo, wie man sich ihn für die Rolle wünscht: knackig, mit Kraft, aber auch innig singend. Mit großen, wunderbar aufgespannten Bögen, immer beweglich, wirft sie sich in die Rolle der Kontrahentin. Sie geht nie aus dem direkten Kontakt zu ihrer Stimme heraus, lässt sie sehr schön auf dem Atem mit ganz natürlichem Vibrato fluten, funkelt und lodert in der Höhe. Der schwarze, sehr direkte Bass von Randall Jakobsh als Großinquisitor steht in tollem Kontrast zu seinem schrillen Kostüm und macht durch sein Spiel die Doppeldeutigkeit der kirchlichen Moral fassbar. Sophie Bareis singt die Stimme vom Himmel weißgewandet mit Glitzerschrein und ebenso funkelndem, höhensicherem Sopran, zeigt ein süßes, sehr schönes Timbre. Die Nebenrollen sind mit Martin Piskorksi, Christoph Wittmann und der Vokalwerkstatt der Opernfestspiele gut besetzt.

Unglaubliches leistet der Tschechische Philharmonische Chor Brünn als Festspielchor, der durch wunderbare Piani und einem sehr direkten Forte die Energie auf der Bühne steigert. Ein Chor, der in jedem Staatstheater bestehen kann, fähig zu großen Steigerungen mit intensiver Spannung, sauber, rhythmisch sicher und absolut homogen im Chorklang, sehr gut geleitet von Petr Fiala, einstudiert von Michael Dvořák.

Marcus Bosch liefert mit den Stuttgarter Philharmonikern einen transparenten Verdi ab, der auch richtig auftrumpft, teils sehr süffig und reich im Klang daherkommt. Bosch ist dabei immer bei den Sängern, die sich dank seines Dirigats nicht verausgaben müssen. Das ist ein Vorteil der Akustik im Festspielhaus gegenüber der Ruine des Rittersaales auf Schloss Hellenstein – nur der Mond und die Sterne, die fehlen etwas. Das Publikum ist dennoch begeistert.

Jutta Schwegler