O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Frauenliebe und Frauenleid

Frauenliebe und Leben
(Robert Schumann)

Besuch am
16. Juni 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Heidelberger Frühling, Liedfestival 2023, Alte Aula Uni Heidelberg

Heidelberg ist nicht nur das erklärte Ziel amerikanischer und japanischer Touristen, sondern seit 1997 vermehrt ein Hotspot für klassische Musik. Neben dem Musikfestival im April und dem Streichquartettfest im Januar stellen die Veranstalter im Juni das Lied in den Mittelpunkt der Konzerte. Angereichert mit Konferenzen zum Thema und Förderprogrammen für junge Künstler ergründen die Veranstalter mit ihren Künstlern und dem zahlreich erscheinenden Publikum das Wesen des Liedes. Öffentliche Meisterklassen und eine Vortragsreihe mit Thomas Hampson, Konzerte zu Jörg Widmanns rundem Geburtstag, Singer-Songwriter-Konzerte und ein mehrtägiges Lied.LAB stehen auf dem Programm. Dazwischen sind Liederabende mit bekannten und noch nicht so bekannten Künstlern eingestreut.

Von den Lokalitäten her sind die Heidelberger gesegnet, ein absoluter Höhepunkt ist die Alte Aula, ein barocker Saal mit dunklem Holz verkleidet, prunkvolle Täfelung, pompöse Gemälde, glanzvolle Messingleuchter und das hereinfallende Abendlicht schaffen einen Rahmen, der seinesgleichen sucht.

Foto © Studio visuell

Julia Kleiter und Gerold Huber stellen sich der Herausforderung, ein Programm mit dem Titel Frauenliebe und Leben nach dem ebenfalls vorgetragenen, gleichnamigen Zyklus von Robert Schumann mit recht antiquierten Texten dem Publikum schmackhaft zu machen. Die Liedgruppe wird umrahmt von thematisch verwandten Liedern Schumanns, Fünf Lieder für Singstimme und Klavier aus opus 40 und einer Auswahl aus opus 98a, der Lieder und Gesänge aus dem Wilhelm Meister.

Damit das nicht in falsche Hälse gelangt, hält Dieter Borchmeyer, einer der gefragtesten Literaturwissenschaftler des Landes, eine kurze Einführung zum Thema. Er gibt einen Einblick in die Zusammenhänge von Adelbert von Chamissos Gedichten sowie Schumanns Vertonungen mit der Kunstreligion und Ikonografie der deutschen Romantik als auch mit der Mater gloriosa, auf Maria als Projektionsfigur, der Einheit von Jungfrau, Braut und Mutter. Nach Borchmeyer reiht sich der Zyklus Frauenliebe und Leben ein in die große kunstreligiöse Tradition von Dantes Divina Commedia bis hin zu Goethes Faust.

So stürzen sich also Kleiter und Huber in die Wirren des weiblichen Daseins. Die Sopranistin trägt einen weißen Jumpsuit mit seitlichen Schößen, was hinsichtlich des Zusammenhangs von Weiblichkeit und Reinheit nicht unerwähnt bleiben soll, ebenso wenig wie das passende Dekor der Alten Aula, zur Bauzeit eine Domäne der hochehrwürdigen Männer der Universität.

Die Sopranistin, die an den großen Häusern singt, nicht zuletzt an der Mailänder Scala, verfügt über eine runde, warme und gut geführte Stimme, die gleich zu Beginn eine Tiefe erahnen lässt, wie sie eine Agathe im Freischütz braucht. Zuweilen knackig, besonders in der Höhe, die kräftig und durchdringend ist, geschaffen für die großen Räume. Kleiter gestaltet gemeinsam mit ihrem Begleiter intensiv und sehr gut verständlich, so dass die Texte im Programmheft allenfalls der Vertiefung dienen. In der Mezzo-Lage zeigt ihr Sopran besonders warme Qualitäten, dazu ist er sehr gut ausgeglichen in allen Lagen, wenngleich man das Gefühl hat, sie könne noch mehr loslassen. Gut gelingt ihr der Ansatz leiser Töne, im Mezzoforte scheint manchmal ein loderndes Feuer auf.

Foto © Studio visuell

Kleiter gestaltet sehr gut, ist absolut drin in ihren Liedern, was sich ganz besonders im Muttertraum intensiv auf die Zuhörer überträgt bei der Phrase „Dein Engel, dein Engel wird unser sein! Der Räuber dient uns zur Speise!“ Überhaupt erscheint Kleiter nach einer winzigen Pause nach Frauenliebe und Leben gelöster, freier. Alles wirkt nicht mehr so viel gemacht. Ihre prächtige Stimme versenkt sich im Laufe des Abends auf eine immer gelöstere Weise hinein in die Lieder, gerade bei den Liedern und Gesänge aus dem Wilhelm Meister schafft sie eine große Intensität.

Ein kongenialer Begleiter am Klavier ist Huber, darüber kann man kaum noch etwas Neues sagen, er lotet die Partitur in allen Facetten aus, unterstützt und trägt seine Sängerin, gibt ihr Raum, schafft Tiefe. Dazu singt er innerlich mit, was man an den Mundbewegungen sieht. Einer der Größten derzeit.

Kleiter wird gegen Ende immer freier, im Staccato bei Singt nicht nur in Trauertönen lässt sie ihren Charme und Witz spielen. Als sich die beiden verbeugen dürfen, bekommt sie auch von ihrem Begleiter ein Bravo zugeraunt.

In der Zugabe, dem Ständchen von Richard Strauss, zeigt die Sopranistin wieder eine raumnehmende Tiefe. Und dann, im zweiten Zugabestück, Schumanns Du, meine Seele, geschieht das Überraschende: Kleiter lässt die Töne völlig frei durch den Raum schweben, ein feines, silbernes Legato verbindet die Phrasen, einfach wunderschön, wie es strömt! Man weiß ja nie, warum es nicht den ganzen Abend so war und nur aufblitzte. War es zu heiß, war etwas am Tage zu anstrengend, auf jeden Fall weiß man eines: Julia Kleiter kann es. Die Zuschauer danken es ihr mit begeistertem Applaus und Bravorufen.

Jutta Schwegler