O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Im Elfenbeinturm

BENJAMIN
(Peter Ruzicka)

Besuch am
3. Juni 2018
(Uraufführung)

 

Staatsoper Hamburg

Der Komponist des Auftragswerkes der Hamburgischen Staatsoper ist in der Stadt kein Unbekannter. Peter Ruzicka leitete die Hamburger Oper als Intendant von 1988 bis 1997, danach war er Leiter der Münchener Biennale bis 2014 und ist seit 2015 nunmehr Leiter die Osterfestspiele Salzburg.

An allen diesen Orten hat er sich unermüdlich für das zeitgenössische Musikschaffen eingesetzt und selbst viele Auftragswerke initiieren und vergeben können.

Ruzicka ist außerdem seit Jahren selbst anerkannter Komponist in verschiedenen Formaten. Dazu gehören auch Opern: nach Celan, die 2001 in Dresden uraufgeführt wurde und Hölderlin, 2008 an der Staatsoper Berlin aus der Taufe gehoben, hat er nunmehr in Hamburg seine dritte Oper vorgestellt und zugleich selbst dirigiert. Die Hamburgische Staatsoper zählt damit seit Beginn der Intendanz von George Delnon im Jahre 2015 die achte Uraufführung.
Das Werk kreist um Biografie, Werk und Weggefährten des Philosophen und Kulturwissenschaftlers Walter Benjamin. Dabei gibt es keinen klassischen Handlungsverlauf oder eine wie auch immer geartete, konsistente Darstellung der Hauptthemen seines Werkes. Vielmehr werden im Einheitsbühnenbild von Heike Scheele, das womöglich einen halb zerstörten Ball- oder Wartesaal zeigt, Rückblicke auf Stationen des Lebens von Benjamin gezeigt.

Das sind vor allem Episoden auf der Flucht, in denen ihm seine Frau Asja Lacis, Hannah Arendt, Bertolt Brecht und Gershom Sholem begegnen. Die Benjamin nahestehenden Personen wollen ihm entweder Rat und Hilfe bei der Flucht aus Deutschland in ein anderes Land geben oder es entwickelt sich in kondensierten Ansätzen eine wenig erhellende, kaum diskursive Auseinandersetzung zu politischen oder philosophischen Themen der Zeit. Große, einzelne Theorie-Begriffe wie Marxismus, Materialismus, Weltrevolution und mehr prägen das Libretto an diesen Stellen.

Die Thematiken werden allenfalls als fokussierte Versatzstücke von Gedankengebäuden oder Philosophien angeboten und mögen vielleicht dem Kenner der vielfältigen Schriften und Gedanken von Benjamin etwas bedeuten, dessen Werk ja bis in die 60-er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts Teil einer gesellschaftlich-intellektuellen Debatte war. Selbsterklärend für den unbedarften Betrachter eines modernen Musiktheaters sind sie nicht.

Die Musik von Peter Ruzicka ist im Vergleich zu den stark kopfgesteuerten Partituren und Klangschriften seiner vorangegangenen Opern wesentlich klang- und farbenreicher und kann den Hörer mit seinen suggestiven Eindrücken für sich einnehmen.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Das Libretto des Auftragswerks hat Yona Kim geschrieben, die auch die Regie dieser Uraufführung verantwortet.  Auf der Bühne erlebt man vor dem Hintergrund der fragmentarischen Text- und Handlungseinheiten eine auch in der Lichtgestaltung von Reinhard Traub begleitete Endzeitstimmung von Flüchtlingen aus dem so genannten Dritten Reich, wie es viele gab. In einer plakativen und illustrativen Form tragen die Bezugspersonen von Benjamin, die im Textbuch mit einer Ausnahme mit Vornamen und nur dem ersten Buchstaben des Nachnamens bezeichneten, aber eindeutigen Charakteren wie zum Beispiel Bertolt B., zeitweise ihre zeitgenössischen, vergrößerten Fotografien mit sich herum. Vielleicht damit sie vom Zuschauer nicht verwechselt werden.

Die Kostüme von Falk Bauer sind überwiegend auf Alltagskleidung der Zeit oder archetypische Anspielungen bei diversen Charakteren festgelegt, außer bei Asja L., die bei den Textstellen mit marxistischem oder kommunistischem Bezug glanzvolle Roben tragen darf, die einerseits wie buntglitzernde Persiflagen auf Militäruniformen wirken, andererseits in ihrer hübschen Gefälligkeit auch bei den Musicaltheatern südlich der Elbe in Hamburg noch einmal zum Einsatz gelangen könnten.

Foto © Bernd Uhlig

Daneben die üblichen Utensilien zur Darstellung der Weimarer Republik und von Flucht und Elend des Dritten Reiches, wie es sich für ein deutsches Staatstheater gehört: die unvermeidbaren Koffer, die der Chor brav am Vordergrund der Bühne aufstellt und natürlich restefrei wieder fortbewegt, die Federboa aus dem Kabarett Berlins und so weiter … Natürlich fehlt auch nicht ein veritabler Kinderchor. Heute anscheinend mehr denn je ein politisch korrekter Auftritt.

Dietrich Henschel in der Rolle des Benjamin vermag die in sich gekehrte Persönlichkeit des Philosophen in der verstörenden und aussichtslos empfundenen Fluchtsituation erschütternd darzustellen. Der Sänger wird auch den stimmlich-gestischen Herausforderungen der Partie glänzend gerecht. Er wird begleitet von einem auf dem Besetzungszettel so genannten „Darsteller“, dem Schauspieler Günter Schaupp, der sein Alter Ego vertritt.

Eindrucksvoll Lini Gong als Asja L., die inhaltlich die meisten politisch-philosophischen Textkomponenten auf der Bühne vertritt. Sie meistert die in der Partitur geforderten hohen Anforderungen an die Stimmführung und -gestaltung, insbesondere auch in den Höhen, brillant.  Eindringlich auch Dorottya Lang, die die Partie der Hannah A. mit intensivem Stimmausdruck gestaltet. Das Ensemble wird mehr als gut abgerundet mit Andreas Conrad als Bertolt B., Tigran Martirossian als Gershom Sholem und Marta Swiderska als Dora S.

Der Chor der Hamburgischen Staatsoper unter der Leitung von Eberhard Friedrich, sowie die Hamburger Alsterspatzen unter der Führung von Jürgen Luhn bewähren sich glänzend in den gar nicht kleinen Partien.

Das Fachpublikum feiert das Ensemble herzlich, insbesondere bravi für den in Hamburg nicht unbekannten Peter Ruzicka und Lini Gong.

Achim Dombrowski