Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
RE-CREATIONS
(Mauro Bigonzetti, Merce Cunningham, Francesco Nappa)
Besuch am
28. Oktober 2023
(Premiere)
Mit dem dreiteiligen Ballettabend Re-Creations schenkt Francesco Nappa in seiner neuen Eigenschaft als Chefchoreograf dem jungen Ballett-Ensemble des Hagener Theaters nichts: Mit drei denkbar unterschiedlichen, gleichwohl ähnlich anspruchsvollen und komplexen Choreografien stellt er hohe Anforderungen, die die zwölf Tänzer der Hagener Compagnie mit spürbarer Hingabe auf erfreulich hohem Niveau annehmen und meistern. Der begeisterte Beifall des Premierenpublikums dürfte Nappa und seine Mitstreiter bestärken, diesen zukunftsweisenden Weg weiter zu beschreiten.
Ein solches zweistündiges Programm mit einem recht kleinen Ensemble realisieren zu können, bereits das beeindruckt. Erst recht, wenn man sich einer so spektakulären Aufgabe stellt wie Merce Cunninghams Klassiker Rune. Und das zum ersten Mal nach der Wiederaufführung des Stücks vor über 20 Jahren. Dass sich der qualitätsbewusste Merce Cunningham Trust, der für die Einstudierung eigens Daniel Squire nach Hagen schickte, für das westfälische Theater entschied, kann bereits als Ritterschlag gesehen werden. Und enttäuscht wird man nicht.
Foto © Andreas Etter
Dass Rune bereits mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat, merkt man dem Stück nicht an. Zu erleben ist eine Apotheose der Abstraktion mit einem zeitlos gültigen Bewegungsreservoir, changierend zwischen geometrischer Strenge und individuellen Freiräumen. Nicht nur eine tänzerisch extrem anspruchsvolle Aufgabe, sondern auch eine Messlatte für die Interaktionsfähigkeit der Gruppe. Das alles ist ideal abgestimmt mit den in dezente Brauntöne gefärbten Kostümen von Robert Rauschenberg, dem irisierend schillernden Hintergrundbild von Mark Lancaster und den frei tonal hingetupften Klavierklängen von Christan Wolff, vorzüglich ausgeführt von dem Klavier-Duo Itxaso Etxeberria und Alberto Carnevale Ricci. Die Konzentration, mit der die jungen Tänzer diese Herausforderung stemmen, verdient höchste Anerkennung. An welchen Stellschrauben sich die Präzision noch verbessern lässt, dürften Daniel Squire und Francesco Nappa wissen.
Diesem abstrakten Kraftakt geht mit Mauro Bigonzettis Rossini Cards ein Feuerwerk an mediterraner Lebensfreude und Sinnlichkeit voraus. In sechs Episoden zu kontrastreichen Ohrwürmern Rossinis überschlagt sich der Choreograf geradezu vor kreativer Fantasie, subtilem Humor, überschäumendem Temperament und knisternder Erotik. Gipfelnd in einem berückend schönen Pas de deux von Hannah Law und Matteo Castelletta zu einer elegischen Ballade des Komponisten. Quasi ein Liebesakt von frappierend zärtlicher Ästhetik und ein Kontrapunkt zum turbulenten Finale, bei dem das Ensemble beherzt in den Orchestergraben hüpft.
Erdenschwerer und härter ist Francesco Nappas eigenes Stück Insideout angelegt. Die Bühne rahmt eine reflektierende und differenziert angeleuchtete Silberfolie ein. Die Tänzer agieren zu schroffen Beat- und Metal-Klängen wie Wesen aus einer anderen Welt. Sie raufen sich zu Gruppen zusammen und flüchten in die Individualität, kehren ihr Inneres nach außen und umgekehrt. Ein teilweise behändigendes Szenario, gipfelnd in Yu-Hsuan (Mia) Hsus finalem Auftritt, in dem ihr, Strawinskys Opfer im Sacre du Printemps nicht unähnlich, ihr rauschendes Folienkleid abgerissen wird und sie in angedeuteter Nacktheit zurückbleibt.
Ein Abend, der eine hoffnungsvolle Zukunft des Hagener Tanztheaters erwarten lässt. Entsprechend begeistert fällt der Beifall aus.
Pedro Obiera