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Der Gral als zartes, bedrohtes Pflänzchen: So eindeutig wie jetzt in der Neuinszenierung des Theaters Hagen wurde Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal wohl noch nie aus einer ökologischen Perspektive auf die Bühne gestellt. Ein interessanter Ansatz der Regisseurin Nilufar K. Münzing. Doch die Palme gebührt dem ausgesprochen hohen musikalischen Niveau der Produktion, die, von ganz wenigen Gästen abgesehen, als lupenreine Ensembleleistung gewertet kann. Da darf Hagen schon stolz sein, die anspruchsvolle Rolle der Kundry mit einer so überragenden Sopranistin wie Angela Davis aus den eigenen Reihen besetzen zu können. Die Sängerin besticht durch eine kerngesunde Mittellage und bewältigt selbst extreme Höhen mühelos, wobei sie zusätzlich durch eine starke darstellerische Präsenz punkten kann. Auf gleichem Niveau überzeugt der nobel phrasierende Bassist Dong-Won Seo in der monolog-gesättigten Partie des Gurnemanz. Der international renommierte Gast Corby Welch in der Titelrolle garantiert eine mehr als solide Leistung mit ausreichender tenoraler Strahlkraft. Die Schlüsselszene mit Parsifal und Kundry im zweiten Akt markiert einen besonders herausragenden Höhepunkt des langen Abends.
Insu Hwang als Amfortas und Jaco Venter als Klingsor vervollständigen mit profilierten Rollenstudien den Solistenreigen. Joseph Trafton am Pult des Philharmonischen Orchesters Hagen kann natürlich nicht den verschleierten Klang des verdeckten Bayreuther Festspielorchesters erzielen. Es gibt viele schöne Details zu hören, auch wenn es mitunter sehr direkt aus dem Graben tönt. Gleichwohl findet Trafton stets einen stilsicheren Zugang zu den unterschiedlichen Fassetten des Werks. Sowohl zu den spirituell verhaltenen Klängen im Umfeld des Grals wie auch zu den dramatischen Entwicklungen im zweiten Akt und dem recht fein abgestimmten Umgang mit den diffizil gestaffelten Chorpassagen. Musikalisch ist an dem Hagener Parsifal kaum etwas auszusetzen.
Der ökologische Ansatz der Inszenierung mag verwundern, obwohl sich Wagner selbst stets heftig gegen den Raubbau an der Natur gewendet und mit dem Ring des Nibelungen ein klares Plädoyer für den Schutz der Natur hinterlassen hat. Es ist zumindest diskutabel, wenn Münzing die lebenserhaltende Kraft des Grals nicht aus dem Heiligen Geist bezieht, sondern aus einem kleinen Pflänzchen, das am Ende, nach der „Erlösung“ aus seinem lebensfeindlichen Plastik-Schrein, zu einem mächtigen, den Bühnenraum beherrschenden Baum heranwächst und der bedrohten Menschheit eine Überlebenschance signalisiert.
Allerdings passt Münzings religionsferne Deutung nicht immer zur sakral gefärbten Musik Wagners. Wenn etwa Kundry zu Wagners salbungsvollen Klängen im dritten Akt wie eine gereifte Greta Thunberg mit Plakaten für den Naturschutz demonstriert und von Gegnern niedergeknüppelt wird. Und einen banalen Beigeschmack erhält die Inszenierung, wenn der Gegensatz zwischen der Gralsgesellschaft und der diabolischen Welt Klingsors auf fromme Askese und kommerziell orientierten Konsumrausch reduziert wird.
Foto © Björn Hickmann
Dafür wird die Handlung von Bühnenbildnerin Britta Lammers in ein ehemaliges, mittlerweile abgetakeltes, abbruchreifes Kaufhaus verlagert, in dem die Gralsritter ihr recht tristes Dasein fristen. Gurnemanz hat sich eine bescheidene Wohnlandschaft unter einer Treppe eingerichtet. Eine Welt, der sich Kundry in schlichtem Alltags-Outfit anpasst. Anders als in der verführerischen Welt Klingsors, der noch über einen Vorrat an funkelndem Geschmeide und eleganten Gewändern verfügt und damit Kundry immer wieder gefügig machen kann.
Dass Kundry einem Fluch ausgesetzt ist, weil sie einst Jesus am Kreuz auslachte und durch das Schäferstündchen mit dem Gralskönig Amfortas dazu beitrug, dass Klingsor den Heiligen Speer an sich reißen konnte, lässt sich nur recht verkrampft in Münzings Konzept einfügen. Da hilft es auch nicht, dass sie die Ur-Szene mit Kundry und Jesus nachspielen lässt, wobei nicht nur Amfortas seine endlos schmerzende Wunde erleidet, sondern, abweichend vom Libretto, auch Kundry. Es wirkt leicht grotesk, wenn sich die beiden vor Schmerzen krümmend die Bäuche halten, als hätten sie etwas zu üppig gegessen.
Immerhin lässt sich damit ein zentraler Aspekt von Wagners Werk anpeilen, das Mitleid. Der rücksichtslose Egoismus der Gralsritter, die, ohne Mitgefühl für die Leiden Amfortas‘ auf die Enthüllung des Grals bestehen, wird deutlich, mitunter drastisch herausgestellt. Aber Wagners universaler Appell an die Christen der Welt, das Mitleid in den Mittelpunkt ihrer Lehre zu stellen und nicht den Menschen als Sünder, verliert an Schärfe und Breitenwirkung, wenn man, wie in Hagen, die religiöse Dimension des Stücks weitgehend ausblendet. Damit bleibt auch der Erlösungsakt am Ende, wenn Parsifal mit dem wiedergewonnenen Heiligen Speer die Wunde Amfortas‘ schließen kann, problematisch. Wie lässt sich das mit der ökologischen Deutung des Grals in Einklang bringen?
Insgesamt eine interessante, wenn auch nicht rundum stimmige Werkdeutung auf hohem musikalischem Niveau, die vom Premierenpublikum mit langanhaltendem Beifall überschüttet wird.
Pedro Obiera