Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Fährmann nennt sich das neue Tanzstück von Gundula Peuthert, das jetzt im Hagener Theater mit überwältigendem Erfolg aus der Taufe gehoben wurde. Einen besonderen Reiz bezieht das 70-minütige Stück aus der engen Zusammenarbeit der erfahrenen Choreografin und Regisseurin mit den zwölf Tänzern der Hagener Compagnie, denen sie große Freiräume beim Entstehungsprozess inklusive individueller Improvisationen überlässt. Nach der lähmenden Pandemie eine geschickte Entscheidung, die auf das Ensemble wie eine Befreiung zu wirken scheint.
Und die schlägt sich trotz des todesumrankten Themas in einer von Fantasie, Vitalität und berstender Energie erfüllten Produktion voller Lebensfreude nieder. Auch wenn der „Fährmann“ in allen Zeiten und Kulturen als Mahner an die Endlichkeit des Lebens erinnert, versprühen hier die Todgeweihten im Übergang vom Dies- und Jenseits eine Lebendigkeit und Hoffnung, als wirkten die Toten lebendiger als die Lebenden.
Trotz der meist dunkel und dezent ausgeleuchteten Bühne strahlt die Produktion nichts Bedrohliches aus. Auch Andrea Schuler als Fährmann tritt charismatisch in Erscheinung, aber nicht einschüchternd. Auf alte und kulturell weitverzweigte Mythen und Sagen anspielend, verlangt er einen Obolus für seine Dienste wie von einem normalen Fahrgast. Und die Gäste benehmen sich auf der Überfahrt nicht immer so, wie man es von braven Toten erwartet, rotten sich sogar zum Protest zusammen, so dass der Fährmann als ebenso verletzlich und besiegbar erscheint wie jeder Mensch.
Foto © Kerstin Mauersberger
Nicht jede der Szenen, in denen unter anderem an Totenrituale verschiedener Kulturen erinnert wird, lässt sich so leicht entschlüsseln wie etwa ein virtuos rotierender Derwischtanz oder die andächtige Verehrung einer christlichen Grabessäule. Manches bleibt rätselhaft, was kein Nachteil sein muss.
Auf keinen Fall ein Nachteil ist jedenfalls der glänzende Einfall von Ausstatterin Heike Mirbach, zwölf einfache schwarze, flexibel verschiebbare Quader auf die Bühne zu stellen, mit denen sich problemlos Bühnenräume schaffen oder verändern lassen und die zugleich vielfach als Stelen, Totenbahren oder Fährschiff genutzt werden können. Skurril, wenn die „leblosen“ Tänzer auf der Überfahrt reglos auf den sargähnlichen Quadern liegen und nur eine „Leiche“ zum Unmut des Fährmanns keine Ruhe geben will. Eine gelungene Gratwanderung zwischen Trauer und dezenter Komik.
Unterstrichen wird das Ganze durch eine sorgfältig zusammengestellte Musikkulisse, die die kulturelle und atomsphärische Vielfalt des Stücks pointiert trifft. Psychedelisch irisierende Töne klingen ebenso an wie vitalere Rock-Sounds oder christliche Klänge aus Bachs Matthäus-Passion oder Gabriel Faurés sanftem Requiem. Nur auf eins verzichten Gundula Peuthert und das hoch motivierte Ensemble völlig: auf eine depressive Grabesstimmung.
Insgesamt kann sich das Publikum damit an einer kurzweiligen Tanzkreation erfreuen, die das Verhältnis von Leben und Tod respektvoll und gleichzeitig lebensbejahend mit viel Fantasie auf hohem tänzerischem Niveau reflektiert. Und dafür bedankt sich das Premieren-Publikum mit langanhaltendem, begeistertem Beifall.
Pedro Obiera