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Aktuelle Aufführungen

Was Musik mit Kulturen macht

SCHEHERAZADE
(Alireza Mashayekhi)

Besuch am
12. November 2019
(Einmalige Aufführung)

 

La Batterie, Guyancourt, Auditorium

Guyancourt ist eine kleine Gemeinde mit rund 28.000 Einwohnern, die, etwa 30 Kilometer von Paris entfernt, gleich neben Versailles liegt. Im Musikzentrum des Städtchens, der Batterie, gibt es nicht nur eine Musikschule, sondern auch einen Konzertsaal, das Auditorium. Die Bühne ist gerade groß genug, um kammermusikalische oder solistische Auftritte zu ermöglichen.

Hier sind heute Abend zwei ungewöhnliche Musiker eingeladen. Layla Ramezan ist in Teheran geboren, genoss dort eine erste musikalische Ausbildung, ehe sie im Jahr 2000 nach Paris ging, um dort das Klavierstudium aufzunehmen. Ihren Master erlangte sie im schweizerischen Lausanne, wo sie heute auch lebt und arbeitet, wenn sie nicht gerade zu weltweiten Auftritten unterwegs ist. Eine ihrer Spezialitäten ist die Musik persischen Ursprungs, zeitgenössische Musik und am liebsten die Kombination beider Richtungen. Keyvan Cheminari ist in Paris geboren, aufgewachsen und hat dort auch studiert. Der Perkussionist hat sich auf die orientalische und mediterrane Musik und deren Instrumente spezialisiert.

Layla Ramezan – Foto © O-Ton

Ein größeres Werk, das die Pianistin über viele Jahre beschäftigt, ist eine mehr oder minder repräsentative Sammlung von hundert Jahren iranischer Klaviermusik. Im Frühling dieses Jahr hat sie ein Album veröffentlicht – das zweite in der Reihe, zwei weitere sollen folgen – auf dem sie das Stück Scheherazade von Alireza Mashayekhi eingespielt hat. Der 1940 in Teheran geborene Mashayekhi gilt als einer der führenden iranischen Komponisten, der Pionierarbeit für die iranische zeitgenössische Musik leistete. Die Komposition seiner Fassung der Scheherazade entstand 1992 und ist eine Mischung aus Lesung, Klavierspiel und Percussions. Für das Album übernahm Ramezan das Klavierspiel, Keyvan Chemirani steuerte die Improvisationen auf Tombak und Santur bei und Djamchid Chemirani verlieh der Erzählung seine samtene Stimme. Die Tombak ist das in der klassischen persischen Musik am häufigsten gespielte Perkussionsinstrument, eine mit den Händen geschlagene, hölzerne Bechertrommel. Die Santur kennen wir in ähnlicher Form als Hackbrett. Auch sie ist im Iran ein wichtiges Instrument der klassischen Kunstmusik. Wer allerdings jetzt iranische Volksmusik erwartet, wird enttäuscht. Denn Mashayekhi kombiniert diese klassischen Klänge von Tombak und Santur mit komplexer, polyphoner Musik, die von einer simplen persischen Melodie ausgeht und impressionistische wie serielle Musik zu einem großen Ganzen vereint. Dabei schreckt der Komponist auch vor Jazz-Einflüssen nicht zurück. Das Album fand auch bei der deutschen Kritik viel Lob und Aufmerksamkeit.

In Guyancourt ist die Bühne gerichtet. Der Flügel steht ein wenig unglücklich, so dass die meisten Besucher sich überwiegend am Rücken der Pianistin entzücken dürfen. Daneben ist ein Podest aufgebaut, auf dem Chemirani seine Instrumente aufgebaut hat. Nach einer kurzen Einführung von Ramezan begeben sich die beiden an ihre Plätze, um ihr brandneues Programm zu präsentieren. Zwar finden sich einzelne Stücke des Albums wieder, darunter besonders erwähnenswert der Papillon oder die Berceuse, aber eigentlich sind das lediglich Reflexionsstücke, die den großen Rahmen für die eigenen Improvisationen vorgeben, mit denen Ramezan ihre ganze Virtuosität darstellen kann.

Keyvan Chemirani – Foto © O-Ton

Chemirani ist an diesem Abend doppelt gefordert, indem er neben seinen Instrumenten auch die verschiedenen Erzählstücke übernommen hat, die er auf Französisch statt auf Persisch vorträgt. Souverän meistert er die Rollenwechsel, um sich dann mit ganzer Intensität Tombak und Santur zu widmen. Aber auch die Udu kommt zum Einsatz, eine tönerne Vase mit zusätzlichen Resonanzlöchern, die den beiden anderen Instrumenten noch einmal einen ganz anderen, warmen Klang hinzufügen kann. Ramezan steht der Improvisationsfreude und Fantasie des Perkussionisten in nichts nach, erweitert nach Belieben und gekonnt den Klangumfang des Flügels, wenn sie zusätzlich in die Saiten greift. Die schönsten Momente entstehen immer dann, wenn Klavierstimme und Perkussionsinstrumente ineinanderlaufen und eine wunderbare Klangvielfalt aus zwei Kulturen entsteht. Besonders gefühlvoll wird es, als die Pianistin ein persisches Gedicht vorträgt. Damit fügt sie der exotischen, mitunter schon geheimnisvollen Atmosphäre noch einen poetischen Klang hinzu, dessen Worte man nicht verstehen muss, um die Schönheit des Gedichtes zu empfinden. Nahtlos fügen sich die Programmpunkte ineinander, so dass der Eindruck eines musikalischen Gesamtwerkes entstanden ist, als die beiden Musiker sich nach mehr als einer Stunde von ihren Instrumenten erheben.

Das Publikum ist überwältigt von dieser ganz anderen Musik, als man sie üblicherweise an einem Konzertabend erlebt, und bedankt sich mit nicht enden wollendem Applaus, bis das Saallicht anzeigt, dass die Künstler nun nicht mehr auf der Bühne erscheinen werden. An diesem Abend hat es trotz vorgerückter Stunde an einem Wochentag niemand eilig, nach Hause zu kommen. Viel lieber stehen nach dem Konzert noch viele zusammen, um ihre Eindrücke über das ungewöhnliche, ja, bezaubernde Ereignis auszutauschen.

Michael S. Zerban

Layla Ramezan im Porträt: Klicken Sie hier, um zur Bildergalerie zu kommen.