O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Peter C. Theis

Aktuelle Aufführungen

Pittoresk und liebevoll

DER GEFANGENE AMOR
(Giuseppe Scarlatti)

Besuch am
16. Mai 2021
(Premiere am 8. Mai 2021)

 

Liebhabertheater Schloss Kochberg, Großkochberg

Fernab jeglicher Autobahn und ohne Bahnanbindung hat das idyllisch gelegene Dorf Großkochberg doch einen bedeutenden Platz in der Kulturgeschichte: Hier findet sich das einzige, noch im Betrieb befindliche, freistehende Privattheater der Welt. Erbaut im späten 18. Jahrhundert auf dem Landsitz von Charlotte von Stein, der langjährigen Freundin von Johann Wolfgang von Goethe, ist es jetzt Teil der Klassik-Stiftung Weimar und Mitglied im Verbund der European Route of Historic Theatres. Von Anfang an wurde es als Liebhabertheater bezeichnet und genoss große Anerkennung des Publikums im Umfeld des Weimarer Hofes in und nach der Goethe-Zeit. Wie ein echtes, großes Puppentheater wirkt es, mit handbemalten Tapeten und Soffitten in Marmortechnik, liebevoll eingerichtet mit nur 75 Stühlen und einer Empore, auf der die Musiker Platz haben. Charmanter kann es kaum sein.

Ebensolche Musiker für alte Musik, das Ensemble I Porporini unter der Leitung von Gerd Amelung, haben hier das gerade mal einstündige Werk Der gefangene Amor oder Die Liebe in Fesseln, eine arkadische Oper von Giuseppe Scarlatti mit einem Libretto von Pietro Metastasio, aufgeführt. Die Premiere hat ohne Publikum Mitte Mai stattgefunden. Es ist zu hoffen, dass der bislang vorgesehene Spielplan – mit zusätzlichen Werken – dann ab Juni dieses Jahres dem Publikum wieder zugänglich gemacht werden kann, heuer vermutlich unter freiem Himmel auf dem Vorplatz des Theaters.

Als mythologische Cantate a due von Scarlatti – übrigens ein Freund von Christoph Willibald Gluck und vermutlich ein Neffe von Domenico Scarlatti – komponiert, befasst sich die Geschichte mit einer kleinen Szene aus dem Leben der Götter. Amor ist beständig in seiner Werbung um die keusche Diana. Als Amor einschläft, wird er von zwei ihrer Nymphen eingefangen und an einen Felsen gefesselt. Nun kann sich Diana entspannt der Jagd widmen. Amor erwacht und verhandelt seine Freiheit, indem er den Nymphen und Diana ewiges Liebesglück ohne Eifersucht verspricht.

Foto © Peter C. Theis

Der Kantate ist das Vivace-Andante der Sinfonia in D-Dur von Georg Christoph Wagenseil vorangestellt, das stilistisch sehr gut dazu passt und der Kantate mehr Körper gibt. Das fünfköpfige Ensemble unter der Leitung von Gerd Amelung am Cembalo ist in der offenen und schmalen Empore des Theaters platziert – außer Sichtweite des Publikums. Es spricht für die hervorragende Akustik des Raumes, dass der Klang sich homogen und rund entfaltet und sich dem Gesang unterordnet, obwohl die Musiker doch – Corona-gerecht – entlang der Breite der Bühne platziert sind. Amelung gibt subtile Impulse und suggeriert den Puls der Musik, die sein Ensemble und die beiden Sängerinnen in ein musikalisches Zusammenspiel umwandeln.

Regisseur Nils Niemann ist als Spezialist für die szenische Aufführungspraxis des barocken und klassischen Theaters bekannt. Dementsprechend ist auch die Gestik und Körpersprache der Darstellerinnen von der Ästhetik der Zeit geprägt und entspricht einer höfischen und doch pantomimischen Eleganz und Ausdruck.

Anna Martha Schuitemaker ist eine Diana voller Anmut und Grazie, die ihre Empörung mit schlankem Sopran vorbringt. Dagegen ist der blonde Amor von Sopran Frieda Jolande Back schelmisch verspielt. Gerne würde man Ziel einer der Pfeile dieses Amors werden. Die beiden stummen Rolen der Nymphen, hier von Gerrit Berenike Heiter und Danila Linzke interpretiert, haben die Aufgabe, in historischen Tanzschritten und Gestik die Geschichte stumm voranzutreiben – etwas, was sie bis in die Fingerspitzen vermitteln.

Wie in der Zeit üblich, dienen bemalte Versatzstücke als Bühnenbild. Hier sind von Rica Mende zwei Felsformationen pittoresk und realistisch bemalt. Tamiko Yamashita-Gegusch hat griechisch inspirierte, fließende, bunte Gewänder für die Darstellerinnen entworfen, inklusive historisch gerechter Sandalen.

Nach – oder vor – der nachmittäglichen Vorstellung bleibt Zeit, den als Klein-Arkadien angelegten Park zu erkunden und am Memento Mori oder der Turmruine zu verweilen. In diesem Jahr ist der Schlosspark Großkochberg Teil der Bundesgartenschau, als Außenstandort von Erfurt angelegt und mit einigen kunstvoll gestalteten Blumenbeeten geschmückt.

Die Vorstandsvorsitzende und künstlerische Leiterin des Liebhabertheaters, Silke Gablenz-Kolakovic, ist seit 16 Jahren für den Spielplan und das Theater verantwortlich. Sie ist übrigens auch eine direkte Nachfahrin von Charlotte von Stein. Die ehrenamtliche Position führt sie mit einem leidenschaftlich engagierten lokalen Team durch. Die Künstler können großenteils in einem nahegelegenen historischen Bau unterkommen, wo jeder Raum liebevoll und individuell restauriert wurde, jetzt mit modernen Annehmlichkeiten und antiquarischen Büchern ausgestattet. In der Steinschen Ritterburg auf dem gleichen Areal befindet sich ein Museum und Restaurant. Somit bildet das Schlossensemble mit seinem einzigartigen theatralischen Kleinod einen perfekten Ausflugsort, der etwa 30 Kilometer südlich von Weimar gelegen ist.

Zenaida des Aubris