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Schön erzählt

KONZERTE IM KLOSTER: ANNA KHOMICHKO
(Wolfgang Amadeus Mozart et al.)

Besuch am
19. März 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Kloster Langwaden, Stefanssaal, Grevenbroich

Auf ihrem Lieblingsfoto steht sie mit verschränkten Armen und abweisendem Blick vor einem Konzertflügel. Immerhin scheint die Andeutung eines Lächelns auf ihren Lippen zu liegen. Es ist eine Pose, die so gar nicht zu ihr passt. Um das festzustellen, muss man sie gar nicht persönlich kennenlernen oder erleben. Aber der Reihe nach. Anna Khomichko ist in Weißrussland geboren, im Norden Russlands aufgewachsen. Sie begann mit vier Jahren das Klavierspiel. Nach dem Abschluss ihres Studiums an der Gnessin-Musikakademie in Moskau und dem Bachelor in Weimar erwarb sie ihren Master in Köln. Seit acht Jahren lebt sie in Deutschland, seit fünf Jahren in Mannheim. Ihr Berufswunsch ist Konzertpianistin. Und das bedeutet heutzutage, dass du in einem Duo und einem Trio Kammermusik machst und dich ansonsten auf jedes Konzert freust, dass du irgendwo als Solist angeboten bekommst, möglichst nebenbei noch ein paar Schüler hast. Und nein, das ist durchaus keine despektierliche Bemerkung. Denn solche Karrieren sind oftmals befriedigender als sich in eine Marketing-Mühle zu begeben, die eventuell mehr Geld verspricht, aber kaum mehr Zufriedenheit.

Damit landen wir in der tiefsten rheinischen Provinz. Um zum Kloster Langwaden zu kommen, fährt man lange über schnurgerade Landstraßen, die Äcker zerteilen und von Alleen gesäumt sind. So geht es nach Grevenbroich. Dass sich Grevenbroich Stadt nennen darf, liegt daran, dass das ländliche Gebiet knapp 68.000 Einwohner umfasst. Jetzt wird es schon ein wenig abenteuerlich. Im Besitz der Stadt befand sich ein Haus, in dem ein Stutzflügel stand. Was soll man mit diesem Flügel anfangen? Kurzerhand wurde er in das Kloster verfrachtet, weil es dort den Stefanssaal gibt, und das war der Beginn der Konzertreihe Konzerte im Kloster – vor 20 Jahren. Heute erfreut sie sich bei älteren Menschen größter Beliebtheit, rund 100 Abonnements verkaufen sich im gepflegten Ambiente wie von selbst. Da lohnt sich die Reise von Mannheim in den Kreis Neuss, dem Grevenbroich angehört, für ein zweistündiges Konzert.

Khomichko ist nicht nur auf Bühnen in aller Welt unterwegs, sondern auch in den so genannten sozialen Medien. Vor vier Jahren hat sie den Reiz des Videoblogs entdeckt – und die Chance, ein junges Publikum für klassische Musik zu begeistern. „Dabei möchte ich ein Vorbild für eine junge weibliche Musikergeneration sein, zugleich aber nicht nur Teenager, sondern Menschen jeden Alters und jeder Herkunft inspirieren“, sagt sie. Am Sonntagnachmittag in Grevenbroich aber geht es um ihr Debüt-Album, das Anfang Juli bei Genius erscheinen wird. Das Programm des Albums wird jetzt präsentiert. Und dabei zeigt sich Khomichko von ihrer besten Seite. Herzlich wird das Publikum begrüßt, die Stücke werden vorgestellt. Ja, so geht das auch. Mal eben „Tach“ sagen und ein paar Worte zum vorzutragenden Stück anzuführen, ist kein Zeichen von fehlender Konzentration, sondern der Höflichkeit.

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Mozart und seine Zeitgenossen nennt die Pianistin ihr Programm und zeigt damit neue Aspekte alter Musik auf. Den Anfang macht Carl Philipp Emanuel Bach mit Zwölf Variationen über die Follie d’Espagne vor einem Rondo in C-Dur. Die Maßstäbe werden gesetzt. Und zwar auf höchstem Niveau. Wer Gäste dieser Couleur einlädt, sollte sich ernsthaft überlegen, ob man ihnen ein Instrument anbietet, das zu ächzen beginnt, wenn es virtuos behandelt wird. Khomichko lässt sich nichts anmerken. Fröhlich erzählt sie die nächste Anekdote, diesmal über den „Londoner Bach“, Johann Christian Bach, von dem sie die Sonate in A-Dur opus 17, Nr. 5, mitgebracht hat. Die beiden Söhne des berühmten Thomaskantors kannte Mozart ebenso persönlich wie den folgenden Komponisten. Von Muzio Clementi wird berichtet, dass er sich gar mit dem Salzburger in einem Wettstreit maß, den Kaiser Josef II. in Wien initiierte – und mit einem diplomatischen „Unentschieden“ beschloss. Eine Geschichte, die auch die Pianistin ihrem Publikum nicht vorenthalten will, ehe sie Clementis Sonate in f-moll opus 13, Nr. 6, vorträgt. Und sie lässt sich von ihrem federleichten, wohlakzentuierten Spiel auch nicht abbringen, als währenddessen am Sonntagnachmittag der Rasen vor dem Haus mit einem fahrbaren Rasenmäher gekürzt werden muss. Manches ist einfach eine Frage der Organisation. Und dazu gehört wohl auch die Klärung der Frage, wie ernst die Veranstalter eigentlich ihre Konzertreihe nehmen.

Der zweite Teil des fortgeschrittenen Nachmittags gehört dann Wolfgang Amadeus Mozart selbst. Dramaturgisch ist die Programmfolge geschickt gewählt, kommt sie doch jetzt zu den bekannteren Klängen, wenn die Sonate in B-Dur K333 erklingt. Und im letzten Stück des offiziellen Programms darf es dann auch noch etwas frischer zugehen, wenn die Pianistin nicht länger an der Sonatenform festhält, sondern eine Improvisation wiedergibt. Die zehn Variationen in G-Dur über Unser dummer Pöbel meint aus Christoph Willibald Glucks Oper Pilger von Mekka beenden den musikalischen Teil, der dann ab Juli auf dem neuen Album zu hören sein wird. Tatsächlich ist das Erscheinungsdatum auf der Netzseite des Labels noch nicht angekündigt. Vorbestellungen nimmt Anna Khomichko allerdings gern selbst entgegen, E-Mail genügt.

Auf türkische Art versüßt die Musikerin dem Publikum den Heimweg, wenn sie Mozarts türkischen Marsch als Zugabe anstimmt. Allerdings gibt es nicht das Original des Gassenhauers, sondern eine Überarbeitung von Fazil Say, der das Stück um Jazz-Elemente bereichert hat. Das brillante Spiel der Wahl-Mannheimerin lässt daraus einen Hörgenuss zum Niederknien entstehen. Da hält es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Trotz der Widrigkeiten hat es einen wunderbaren Nachmittag erlebt, den es nicht so schnell vergessen wird. Und das liegt auch daran, dass Anna Khomichko alles andere als abweisend ist. Ihre herzliche Art wird vielen im Gedächtnis bleiben.

Michael S. Zerban