O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Hartmut Sassenhausen

Aktuelle Aufführungen

Schöne lyrische Momente

ELISABETH LEONSKAJA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
2. Juni 2025
(Einmalige Aufführung)

 

Klavier-Festival Ruhr, Zentrum für Kirche und Kultur Gevelsberg

Das Programm hat es in sich. Zwei wegweisende Werke der zweiten Schule bilden den Rahmen für zwei umfangreiche Sonaten der Romantik plus ein Stück des Impressionisten Claude Debussy, dessen Musik als ein Bindeglied zwischen Romantik und Moderne gilt. Mit dieser gehaltvollen Klavierliteratur ist ins Haus für Kirche und Kultur in Gevelsberg im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr Elisabeth Leonskaja gekommen, die weithin in der Pianisten-Szene wohl zu Recht Grande Dame genannt wird. Denn die 79-jährige Musikerin hat unter anderem Klavierliteratur auf Alben eingespielt, die als Referenzaufnahmen gelten.

Zunächst stellt sie Alban Bergs Klaviersonate vor, offizielles Erstlingswerk. Das einsätzige, 1910 veröffentlichte Opus 1 ist zwar in h-Moll notiert, verlässt aber die Tonalitäten bis hin zur Chromatik und Ganztönigkeit. Es ist nach der tradierten Sonatensatzform – also mit Exposition, Durchführung, Reprise – aufgebaut. Doch sie ist nur ein Gerüst, da nicht nur in der Durchführung, sondern auch davor und danach das Tonmaterial mit seinen zwei Themen vierstimmig polyphon nach strengen kontrapunktischen Regeln, komplexen Modulierungen und rhythmischen Veränderungen meisterhaft verarbeitet wird. Diese Kompositionstechniken sind übereinander geschichtet oder laufen nacheinander ab. Ständig ändern sich Tempi und Dynamiken. Wenn aus den Prozessen Akkorde entstehen, sind dennoch Haupt- und Nebenstimmen stets präsent. Aufgrund der engen Verzahnungen ist es nur verständlich, dass Leonskaja das bedeutende Werk vom Blatt spielt.

Zum Schluss präsentiert sie als zweite Zugabe die sechs kleinen Klavierstücke von seinem Lehrer Arnold Schönberg. Bei diesem Opus 19 aus dem Jahr 1911 handelt es sich um Miniaturen. Das längste Stück ist 18 Takte lang. Die beiden kürzesten umfassen 9 Takte. Es handelt sich um knappe, zwei- bis dreistimmige motivische Gebilde, die neben einstimmigen und polyphonen Elementen akkordisch angelegt sind. Tonale Zusammenhänge werden ausgelassen. Die Musik zieht sich zu prägnanten Gesten zusammen. Dem Komponisten war eine ruhige Ausdrucksart sehr wichtig. Die Tempovorschriften widerspiegeln diese Einstellung: Leicht, zart – Langsam – Sehr langsame Viertel – Rasch, aber leicht – Etwas rasch – Sehr langsam. Dazu gehört auch sein Hinweis unten auf der ersten Seite des Notentexts: „Nach jedem Stück ausgiebige Pause; die Stücke dürfen nicht ineinander übergehen!“. Auch bei dieser Aufführung liegen die Noten auf dem Pult des Flügels.

Foto © Klavier-Festival Ruhr

Zuvor gibt es als erste Zugabe das letzte Stück aus dem zweiten Band Préludes pour piano mit dem Titel Feux d’artifice aus Claude Debussys Feder. Es kommt ohne musikalische Themen aus. Stattdessen dominieren drei Gruppen: ungeordnet lebhafte, in sich ruhende Figuren – schnell aufblitzende Triolen – kurze, aufspringende Motive. Hinzu kommt ein wieselflinkes Gleiten der Finger über die Tastatur, das Glissando genannt wird. Resultat sind rasend schnelle Tonkaskaden, die ein in Töne gefasstes grandioses Feuerwerk – die deutsche Übersetzung des französischen Namens – darstellen.

Eingebettet in diese drei Werke sind zwei ausgedehnte Klaviersonaten. Zum einen ist es ein Frühwerk von Johannes Brahms: das Opus 2 in fis-Moll. Auffallend daran ist die konsequente Verflechtung des thematischen Materials. Auch tritt der fantasievolle improvisatorische Überschwang des jungen Komponisten zutage. Zum anderen erklingt ein Spätwerk von Franz Schubert: die Sonate in G-Dur, Deutsch-Verzeichnis 894. Darin ist eine große Palette an Emotionen verarbeitet wie zarter Klangzauber, schlichte Melodik, heimatliche Ländlerseligkeit, Lebendigkeit, Freude wie Wehmut.

Das Programm stellt hinsichtlich deutlicher Darstellung des musikalischen Tiefgangs, nuancierter Anschlagskultur und Virtuosität sehr hohe pianistische Anforderungen, denen an diesem Abend Leonskaja nicht immer gerecht wird. Sie betört zwar mit traumhaft schönen lyrischen Momenten, etwa bei den Finalsätzen von Brahms und Schubert wie eine feine und rhythmisch genaue Tongebung bei dem zweiten Stück von Schönberg. Doch gehen ihre Darbietungen gerade bei schnellen und virtuosen Passagen mit manchen Tonungenauigkeiten einher. Griffige Passagen wie Akkordkaskaden und mit einer Hand gespielte Oktavläufe kommen durchweg klanglich zu gewaltig daher. Die komplexen polyphonen Strukturen hätten bei Bergs Sonate deutlicher hörbar gemacht werden können. Auch mangelte es bei Schönberg ein wenig an einer ordentlichen inneren Ruhe, um den trotz ihrer Kürze intensiven musikalischen Gehalt packend zum Ausdruck zu bringen.

Das Publikum im ausverkauften Auditorium, das nach Brahms, Schubert und Debussy mehr applaudiert als nach Berg, spendet nach Schönberg lang anhaltenden Schlussapplaus, der in stehende Ovationen mündet, die sogar bei eingeschalteter Saalbeleuchtung anhalten und nur allmählich abebben.

Hartmut Sassenhausen