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Aktuelle Aufführungen
A CEREMONY OF CAROLS
(Diverse Komponisten)
Besuch am
22. Dezember 2023
(Einmalige Aufführung)
Es ist ein nasser und stürmischer Abend im unterfränkischem Gerolzhofen, und in der hiesigen Pfarrkirche, von den Einheimischen auch liebevoll Steigerwald-Dom genannt, steht ein besonderes vorweihnachtliches Konzert auf dem Plan. A Ceremony of Carols, eine Sammlung britischer und lateinischer Weihnachtslieder, arrangiert für Chor und Orgel. Neben den gesungenen Carols gibt es aber auch einige Solostücke für Orgel, die Kirchenmusikerin und Organistin Sylvia Sauer an der Winterhalter-Orgel aufführt. Im Sommer feierte die wunderbare und klangschöne Orgel mit drei Manualen, Pedal und 36 Registern ihr 25-jähriges Jubiläum. Während Sauer oben auf der Empore an der Orgel Platz nimmt, haben sich unten im Kirchenschiff vor dem Altar etwa 50 Sänger des Projektchors des Pastoralen Raums Gerolzhofen unter der Leitung des Kirchenmusikers der Diözese Würzburg und Kantors Karl-Heinz Sauer versammelt. Eröffnet wird die Ceremony of Carols mit dem bekannten O come Emmanuel, mit einer Melodie eines unbekannten Komponisten aus dem 15. Jahrhundert, arrangiert für Chor und Orgel von David Willcocks. In der Begrüßung durch den Pfarrer der Kirche, Stefan Mai, wird das Lied als eines der O-Antiphone erläutert. Als O-Antiphonen werden nach ihrem Beginn in der katholischen Liturgie die Antiphonen zum Magnificat in der Vesper an den letzten sieben Adventstagen vor dem Heiligen Abend, also vom 17. bis 23. Dezember, bezeichnet. Eine mehr als passende Einstimmung in das Konzert.
Im zweiten Stück kann der Chor a capella seine Qualitäten zeigen. A babe is born I wys entstammt einem alten Manuskript aus der Bibliothek der Westminster-Abtei, das von Frederick Bainton in der gehörten Fassung geschrieben wurde. Wieder festlich wird es mit dem nächsten Stück. Personent hodie ist ein Weihnachtslied, das ursprünglich im finnischen Liederbuch Piae Cantiones von 1582 veröffentlicht wurde, einem Band mit 74 mittelalterlichen Liedern mit lateinischen Texten. Eine Melodie, die in einem Manuskript aus dem Jahr 1360 aus der nahegelegenen bayerischen Stadt Moosburg in Deutschland gefunden wurde, ist sehr ähnlich, und auf dieses Manuskript wird das Lied normalerweise datiert. Das Weihnachtslied erlangte in England größere Bedeutung, nachdem es 1916 von Gustav Holst, der von 1874 bis 1934 lebte, für Unisono-Stimmen und Orchester arrangiert worden war. Diese Fassung kommt im Steigerwald-Dom festlich zum Erklingen, Chor und Orgel harmonieren wunderbar.
Mit All this time erklingt der Chor wieder solo, nur gelegentlich fällt die Orgel dazu ein. Der Text stammt aus dem 16. Jahrhundert, komponiert wurde das Werk von dem englischen Komponisten William Walton, der von 1902 bis 1983 lebte. Während seiner sechzigjährigen Karriere schrieb er Musik in verschiedenen klassischen Genres und Stilrichtungen, von Filmmusik bis hin zur Oper. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Façade, die Kantate Belshazzar‘s Feast, seine Erste Symphonie sowie die britischen Krönungsmärsche Crown Imperial und Orb and Scepter. Nach diesem modernen Carol hat der Chor eine kurze Verschnaufpause, während sich Sylvia Sauer an der Winterhalter Orgel mit zwei Solo-Stücken des britischen Komponisten Noel Rawsthorne, der von 1929 bis 2019 lebte, präsentiert. Rawsthorne war ein liturgischer und Konzertorganist sowie Komponist von Musik für Orgel und Chor. Während der Cradle Song etwas wehmütig ertönt, erklingt Unto us a boy is born schon fast hymnisch.
Foto © O-Ton
Ein erster Höhepunkt des Konzertes ist das Stück Once in Royal David’s City. Den Text veröffentlichte im Jahr 1848 Cecil Frances Alexander. Die Melodie dazu schrieb Henry John Gauntlett 1849. Die Fassung für Chor und Orgel stammt wiederum von David Willcocks. Seit 1919 eröffnet die Kapelle vom King’s College Cambridge ihren Gottesdienst am Heiligabend, das Festival of Nine Lessons and Carols, mit Once in Royal David’s City als Eingangslied, um die Prozession zu begleiten. Die erste Strophe wird dabei von einem Mitglied des Choir of King’s Chapel als Solo gesungen. Die zweite Strophe wird vom Chor gesungen, und ab der dritten Strophe singt auch die Gemeinde mit. Abgesehen von der ersten Strophe wird das Lied von der Orgel begleitet. Und in diesem Stil wird das Stück auch bei hier im Dom vorgetragen. Die erste Strophe singt Sauer mit hohem lyrischem Sopran von der Empore, um dann den Chor bei der letzten Strophe wieder an der Orgel zu begleiten. Anschließend gibt es zwei weitere Carols, die der britische Komponist David Willcocks arrangiert hat. Willcocks, der von 1919 bis 2015 lebte, war Chordirigent, Organist, Komponist und Musikverwalter. Besonders bekannt war er für seine Zusammenarbeit mit dem Chor des King’s College in Cambridge, den er von 1957 bis 1974 leitete. Mehrere der Weihnachtsliedarrangements, die er für den jährlichen Gottesdienst von Nine Lessons and Carols schrieb, wurden in der Buchreihe Carols for Choirs veröffentlicht, die er zusammen mit Reginald Jacques und John Rutter herausgab. Willcocks war außerdem Direktor des Royal College of Music in London. Resonemus laudibus ist ein Weihnachtslied aus dem 14. Jahrhundert, das im mittelalterlichen Europa weithin bekannt war und noch heute aufgeführt wird. Das Arrangement von David Willcocks für Chor und Orgel verleiht dem Stück eine durchaus moderne Spannung, während seine Fassung von The Infant King für Solo-Chor fast schon klassisch anmutet.
Nach diesen Stücken ist der richtige Zeitpunkt für ein gemeinsames Lied mit den vielen Zuhörern im Steigerwald-Dom gekommen. Freut euch, freut euch, Menschenkinder steht auf dem Programmzettel, und die Melodie ist allen wohl bekannt, nämlich das berühmte Hark! The Herald Angels Sing in der Fassung von Felix Mendelssohn Bartholdy.
The truth from above ist ein englisches Volkslied unbekannter Urheberschaft, das normalerweise zu Weihnachten aufgeführt wird. Die Melodie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von englischen Volksliedsammlern gesammelt. Es gibt eine Reihe von Variationen der Melodie, der Text bleibt jedoch weitgehend ähnlich. Das Arrangement für Solo-Chor stammt von dem großen britischen Komponisten und Dirigenten Ralph Vaughan Williams, der von 1872 bis 1958 lebte. Sein in über 60 Jahren entstandenes Werk umfasst Opern, Ballette, Kammermusik, religiöse wie säkulare Vokalwerke sowie Orchesterkompositionen, darunter neun Sinfonien. Der nächste Höhepunkt des Konzertes ist der Nativity Carol des britischen Komponisten und Dirigenten John Rutter, der 1945 geboren ist, für Chor und Orgel. Das Lied imponiert durch seinen hymnischen Duktus, bei dem vor allem die Soprane dominant herausragen. Der Projektchor unter Karl-Heinz Sauer zeigt hier eine formidable Leistung, die allerhöchsten Respekt verdient.
Foto © O-Ton
Dann ist es wieder an Sylvia Sauer, mit zwei Orgel-Solostücken ihr Können an diesem Instrument zu zeigen. Zunächst mit dem Stück Pastoral symphony with angels von Colin Hand, der von 1929 bis 2015 lebte, einem sehr ruhigen, fast schon meditativen Orgelstück, und dem anschließenden etwas atonalen, dafür sehr anspruchsvollem Stück Carillon von Herbert Murrill, der von 1909 bis 1952 lebte, das Sauer souverän vorträgt. Anschließend wird es wieder festlich mit It came upon the midnight clear, einem Gedicht und Weihnachtslied, das von Edmund H. Sears, einem Pfarrer aus Wayland im amerikanischen Massachusetts, geschrieben wurde. Er veröffentlichte das fünfstrophige Gedicht im Jahre 1849. Die Melodie dazu stammt von Arthur Sullivan aus dem Jahre 1874. Auch dieses Lied wurde von David Willcocks für Chor und Orgel eingerichtet, genauso wie Ding Dong! Merrily on high, ein englisches Weihnachtslied. Dessen fröhliche Melodie erklingt zu den im Himmel erklingenden Glocken, die die Geburt des Heilands feiern. Sein Kehrvers ist das lateinische Gloria, Hosanna in excelsis! Der Text stammt von George Ratcliffe Woodward, der von 1848 bis 1934 lebte, aus dem 20. Jahrhundert, während die Melodie ein französischer Tanz aus dem 16. Jahrhundert ist. Das Weihnachtslied erschien 1924.
Das letzte Stück für Chor und Orgel an diesem Abend ist Sir Christèmas, ein englisches Carol. Text und Melodie stammen aus einer anonymen Handschrift. Es wurde unter anderem von William Mathias, einem walisischen Komponisten, der von 1934 bis 1992 lebte, bearbeitet. Auch das Stück erklingt etwas atonal und stellt eine große Herausforderung für Chor und Orgel im Zusammenspiel dar, das aber von den Protagonisten hervorragend gemeistert wird. Zum Abschluss steht dann noch ein gemeinsam gesungenes Weihnachtslied auf dem Programmzettel: Nun freut euch, ihr Christen zu der bekannten Musik von Adeste fidelis, das von allen Anwesenden voller Inbrunst angestimmt wird. Als Zugabe wiederholt der Chor noch einmal das Resonemus laudibus. Langanhaltender Applaus ist der verdiente Lohn für ein beeindruckendes und besonderes Weihnachtskonzert vom Projektchor Gerolzhofen unter der Leitung von Karl-Heinz Sauer und seiner Frau Sylvia an der Winterhalter-Orgel.
Es ist eine festliche Einstimmung auf das bevorstehende Weihnachtsfest, und die Gesichter der vielen Besucher strahlen am Ende. Wirklich eine weihnachtliche Vorfreude.
Andreas H. Hölscher