O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Carole Parodi

Aktuelle Aufführungen

Widersprüche fügen sich zusammen

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
1. Juni 2018
(Premiere)

 

Grand Théâtre de Genève in der Opéra des Nations

Ob die Schweizer Frauen Don Giovannis Verführungskünsten erlegen sind, geht aus dem Register des Leporello nicht hervor. Für Regisseur David Bösch ist das keine Frage und so darf zur berühmten Registerarie, in der Leporello Donna Elvira den Alltag ihres Ex-Mannes erzählt, auch eine erschöpfte Frau die rote Flagge mit dem weißen Kreuz schwenken. Es ist eine der vielen, kleinen Pointen, die sich Bösch für seine lebendige Inszenierung hat einfallen lassen.

Mozarts Don Giovanni ist die letzte Premiere der Oper Genf in dieser Saison, und Intendant Tobias Richter hat ein toll harmonierendes Team in die wunderbare Ersatzspielstätte, in die Opéra des Nations, geholt. Wenn man seinen Opernbetrieb in einem alternativen Haus unterbringen muss, dann bitte in diesem. Komplett aus Holz, mit einer wunderbaren Akustik und einem stark ansteigenden Auditorium, so dass von allen Plätzen eine gute Sicht hinab auf die Bühne herrscht. Kaum zu glauben, dass dieses Theater aus Frankreich importiert nur für diesen Zweck in Genf aufgebaut wurde und bald, bei der Rückkehr ins Stammhaus, wieder aus dem Stadtbild verschwinden wird.

Der Theatersaal von Falko Herold, der als Einheitsbühnenbild für die zwei Akte fungiert, hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Da wächst Gras in den Ecken, die Wandbekleidung blättert ab. Das ist sehr liebevoll aufgebaut und bietet fast alles, was man für eine Don-Giovanni-Aufführung braucht, außer den Balkon, auf dem Donna Elvira ein weiteres Mal auf den Filou hereinfällt. Mit der Beleuchtung Michael Bauers ergeben sich dann auch wirklich tolle Stimmungen auf der Bühne und für die Finalszene haben sich die Verantwortlichen noch einen tollen Coup de Théâtre ausgedacht. Allerdings wird nicht ganz klar, warum man sich für diesen Theaterraum entschieden hat. Irgendwie entsteht dadurch keine dramaturgische Bedeutung für die Inszenierung von Bösch.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Der geht an die berühmteste Oper aller Opern recht flott heran und verordnet den Sängern auf der einen Seite eine wunderbar leichte und natürliche Bewegungssprache, weicht aber auch der übernatürlichen Seite des Stückes nicht aus. Die Widersprüche, die es in einer Person selbst, aber auch im Verhältnis zum Bühnenpartner gibt, scheinen Bösch besonders zu motivieren ebenso wie Bezeichnung dramma giocoso. Die Handlung erzählt er schnörkellos, die Charaktere erarbeitet er mit den Sängern ohne Übertreibungen und vor allem trotz einer schönen Prise Humor ohne überflüssige Albernheiten. Wie detailliert er an manche Szene herangeht, zeigt schon die Duellszene zu Beginn. Don Giovanni will erst nicht kämpfen, zwingt dann aber den Komtur in einen Messerkampf. Giovanni verhöhnt den chancenlosen Komtur spielerisch, fast glaubt man, dass in diesem Kampf gar keiner sterben muss. Doch dann ritzt der Komtur aus Versehen seinen übermütigen Gegner am Arm – der von einer Sekunde auf die andere die Beherrschung verliert und den alten Mann erbarmungslos absticht.

Foto © Carole Parodi

Simon Keenlyside ist genau der richtige Sängerdarsteller für eine Produktion wie diese. Der Bariton schöpft aus seinen zahlreichen Erfahrungen als Giovanni. Auch wenn man hört, dass seine Stimme einen Hauch an Kondition und Leichtigkeit verloren hat, ist das Rollenportrait faszinierend, abstoßend und sympathisch gleichermaßen. Seine Mimik und die Beweglichkeit sind nur einige Bestandteile, die seine Ausstrahlung besonders machen, um sich in den Mittelpunkt zu spielen – und natürlich auch zu singen. Die Leistung ist daher umso bemerkenswerter, als Keenlyside ein recht starkes Ensemble um sich herum hat. Mit David Stout als Leporello klappt das Zusammenspiel bestens, und Stout gibt mit seinem profunden Bass-Bariton dem Diener ein recht robust-bodenständiges Profil, das sich wohltuend von gängigen Schemata der letzten Jahre abhebt. Auch der Don Ottavio von Ramon Vargas ist jenseits derzeitiger Hörgewohnheiten. Da hört man die edle Verdi-Stimme, was der Figur gut bekommt, da sie so eben nicht direkt als Feigling abgestempelt wird. Allerdings neigt sein Tenor dazu, etwas abzusacken. Die Intonation von Il mio tesoro ist nicht lupenrein. Der hellstimmige Michael Adams gibt dem Masetto statt bäuerlicher Dummheit jugendlichen Elan. Die Präsenz steht der oft unterbelichteten Figur gut zu Gesicht. Thorsten Grümbel singt gerade die entscheidenden Worte seines finalen Auftritts Don Giovanni, a cenar teco zu unsauber und zögerlich.

Der Herrenriege stehen drei unterschiedliche Damen gegenüber. Patrizia Ciofi ist die Drama Queen, die zuweilen die Linien der Donna Anna etwas zu sehr schleift, was aber irgendwie auch in die Interpretation dieser leidenschaftlichen Frau passt. Ihr individuelles Timbre, die wunderbar gesungenen Koloraturen und ihr schärfenfreier Sopran geben ihr edles Profil. Auch Myrtò Papatanasiu ist oft als Donna Anna auf den Bühnen anzutreffen, empfiehlt sich hier aber trotz einiger engen Höhen als eine jugendliche Donna Elvira, die frei von Hysterie Don Giovanni nicht loslassen möchte.  Papatanasiu spielt und singt das mit einer entwaffnenden Natürlichkeit, die man selten so in der Partie gehört hat. Mary Feminear ist kein niedliches Bauernkind, sondern eine neugierige, junge Frau, die mit ihrem vielversprechendem lyrischen Material auch tatsächlich aufrichtig gemeinte Reue zeigen kann. Die kleinen Beiträge des Chores unter der Leitung von Alan Woodbridge fallen gegenüber den solistischen Leistungen nicht ab.

Eingekleidet sind die Akteure von Bettina Walter, die mit ihren Kostümen aus dem Ende des letzten Jahrhunderts noch für weitere optische Höhepunkte sorgt. Auf musikalischer Seite erledigt das Stefan Soltesz, der mit dem Orchestre de la Suisse Romande fast das Niveau erreicht, das man noch von Essener Philharmoniker in den Erinnerungen hat. In seiner schlanken Interpretation dominieren vor allem die Streicher und Holzbläser, während die Blechbläser meist nur sehr dezent in Erscheinung treten dürfen. Das Ergebnis sind einige wirklich wunderschön musizierte Arien und Ensembles, in denen man nicht nur die magische Begleitmusik hört, die Mozart für die Sänger geschrieben hat, sondern auch eine Interpretation, die mit der szenischen Deutung Hand in Hand geht.

Das Publikum zeigt sich in der Aufnahme sehr gemischt. Tatsächlich gibt es einige, die regelmäßig ihre Smartphones nach neuen Nachrichten untersuchen. Immerhin gibt es oft Zwischenapplaus, aber dafür fällt der Schlussbeifall nicht so enthusiastisch aus, wie er könnte. Auch das Regieteam wird ohne nennenswerte Schwankungen nach oben oder unten empfangen, Orchester und Dirigent dagegen gefeiert. Auf der Bühne ist die gelöste Stimmung nach der Aufführung greifbar.

Christoph Broermann