O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Götterdämmerung in der Mühle

KRABAT
(Himmelfahrt Scores, Coppelius)

Besuch am
5. Juni 2022
(Uraufführung)

 

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

An Vertonungen und Bühnenfassungen von Otfried Preußlers Roman Krabat mangelt es nicht. Auch das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier kann jetzt mit zweijähriger Verzögerung endlich sein Auftragswerk aus der Taufe heben: eine dreistündige, aufwändige, stilistisch zwischen Musical, Rock- und Filmmusik schlingernde Oper, entstanden als Gemeinschaftsarbeit des dreiköpfigen Hamburger Komponistenkollektivs Himmelfahrt Scores und der Berliner Steampunk-Band Coppelius.

Wie der Roman liefert die Oper keine leichte Kost. Preußler greift auf ein altes sorbisches Märchen um den Waisenjungen Krabat zurück, der in einer Mühle als Lehrling nicht nur das klassische Müllerhandwerk erlernt, sondern auch die „schwarze Magie“. Zunächst ist er von den Künsten des charismatischen „Meisters“ fasziniert, bis er merkt, dass der Meister seinen Machterhalt mit Gewalt und Rücksichtslosigkeit sichern will. Eine Geschichte von Verführung und politischer Barbarei, für Otfried Preußler ist es „die Geschichte meiner Generation und die aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken.“ Eine Geschichte, die 50 Jahre nach Erscheinen des Romans mit Blick auf die derzeitige Weltlage an Aktualität noch hinzugewonnen hat.

Bei Preußler wird die Welt durch die von Liebe geprägte Erkenntnis einer Frau von der bösen Zaubermacht des Meisters erlöst. Kantorka, die einzige Frau im Stück, erkennt in einer Prüfung des Meisters mit verbundenen Augen Krabat daran, dass er nicht nur seinen eigenen Vorteil im Blick hat, sondern auch das Gemeinwohl. Ein optimistischer Schluss, dem Manuel Schmitt, der Regisseur der Gelsenkirchener Oper, allerdings misstraut. Der Befreiungsakt aus dem Joch des ominösen Führers hinterlässt bei ihm eine orientierungslose Gesellschaft, die nichts mit dem gewonnenen Frieden anfangen kann und hilflos über die Bühne wankt.

Auch die Komponisten verzichten auf eine symphonische Apotheose oder einen zackig rockigen Kehraus. Mit einsamen Harfentönen schließt der Abend. Dafür zieht man vorher für die Neue Philharmonie Westfalen und die Berliner Band alle Register, wenn es um bedrohliche Stimmungsbilder und aggressive Attacken geht. Märchenhaft sanfte Klänge sind nicht zu hören, stattdessen elektronisch verzerrte Geräuschgirlanden, passend zum Bühnenbild von Julius Semmelmann. Zu sehen ist keine Mühle am rauschenden Bach, sondern ein monströses Mahlwerk, das den Hintergrund wie ein gigantischer Höllenschlund beherrscht. Die Szenerie ist durchweg schwarz oder in tristen Grautönen gehalten, Nebelschwaden vertiefen den Eindruck einer kalten, von Krieg und Unterdrückung verseuchten Welt. Lediglich das rote Kleid der erlösenden Kantorka und die in Flammen aufgehende Mühle am Ende stechen aus dem düsteren Inferno heraus. Der Weltenbrand der Götterdämmerung lässt grüßen, die allerdings hoffnungsvoller in die Zukunft blickt als Schmitt in seiner Inszenierung.

Das bedrückende Szenario wird zwar durch einige Rock-Einlagen und romantisch angehauchte Orchester-Sequenzen ein wenig aufgelockert. Doch so unbeschwert austoben wie in der Adaption der Novelle Klein Zaches von E. T. A. Hoffmann vor sieben Jahren kann sich das musikalische Team angesichts des Stoffs diesmal nicht. Dafür setzt nicht nur das gewaltige Schlagzeug, das auf einer eigenen Schiene im Hintergrund immer wieder in die Szene gefahren wird, beklemmende optische und klingende Akzente.

Auch die Schauspieler, darunter die Mitglieder der Coppelius-Band, wirken durchweg gehemmt. Nicht nur Martin Petschan als Krabats Freund Juro, der sich bei einem Bühnenunfall einen Fuß brach und mit einem Rollstuhl begnügen muss. Die Distanz, die Preußler mit seinem märchenhaft stilisierten Erzählton bewusst anstrebt, steht einer emotional aufgeladenen Aufbereitung im Stil eines konventionellen Musicals oder einer romantischen Oper schroff im Wege.

Musikalisch überzeugen vor allem die instrumentalen Anteile der von Peter Kattermann geleiteten Neuen Philharmonie Westfalen, der Coppelius-Band und der geschickten elektronischen Aufbereitung. Den mitunter zäh und recht stereotyp angelegten Vokalparts helfen die Sängerdarsteller mit ihren überwiegend bescheidenen gesanglichen Leistungen allerdings auch nicht auf die Sprünge. Selbst Bastille alias Sebastian Schiller, der Sänger von Coppelius, bleibt in der Titelrolle blass. Vollauf überzeugen können lediglich Bele Kumberger mit ihrem glockenklaren Sopran als Kantorka und Heribert Feckler, der als eingesprungener Gast mit seiner substanzreichen Musical-Stimme die Rolle des Meisters am Bühnenrand singt, während Regisseur Schmitt die Figur mit Kinski-hafter Hintergründigkeit mimt.

Begeisterter, langanhaltender Beifall für eine anspruchsvolle Vertonung einer anspruchsvollen Vorlage mit einigen Längen, aber auch etlichen beklemmenden Momenten.

Pedro Obiera