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AURORA
(Giuseppe Spota, Roser López Espinosa)
Besuch am
29. Oktober 2022
(Premiere)
Aurora, die Morgenröte als Symbol des Erwachens, des Neubeginns und der Hoffnung, bestimmt die neue Tanz-Kreation Giuseppe Spotas und seiner MiR Dance Company Gelsenkirchen im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier. Ein zweiteiliger, straff gebündelter, qualitativ freilich nicht durchgängig überzeugender Abend, der beim Premieren-Publikum auf einhellige, zum Teil enthusiastische Zustimmung stößt.
Dem von Roser Lòpez Espinosa choreografierten Hauptwerk stellt Ballettchef Giuseppe Spota unter dem Titel It’s a Match einen Prolog voran, in dem er das Motiv des Erweckens mit dem Dornröschen-Mythos verknüpft. Bei Spota drängen gleich vier Prinzen darauf, die junge, in einem gläsernen Schrein verschlossene Schönheit wecken und befreien zu dürfen. Sie selbst kann sich nicht entscheiden. Letztlich fällt das Publikum in einer etwas undurchsichtigen Wahlaktion vor der Aufführung das Urteil.
Foto © Bettina Stöß
Ein pfiffiger Einfall, der in der Ausführung allerdings recht blass aufgelöst wird. Das liegt weniger am beeindruckenden körperlichen Einsatz der Tänzer, die sich aktiv in die Choreografie eingebracht haben, sondern an der eher ablenkenden Mixtur aus realem Tanz, einer fragwürdigen Musik-Melange und eines Podcasts, in dem King Ronzio seine Version des Dornröschen-Stoffs rezitiert. Nicht sehr publikumsfreundlich auf Englisch, noch dazu durch elektronische Verfremdungen und musikalische Überlagerungen nur teilweise verständlich und insgesamt eher störend. Die Musik ist als Collage aus abstrakten Soft-Klängen und Bruchstücken aus Tschaikowskys Dornröschen-Ballett angelegt, die am Ende von einem Handy nur noch dünn aus dem Hintergrund plätschert. Tänzerisch gerät Spota bei den Balztänzen der Prinzen schnell an die Grenzen seines Bewegungs-Reservoirs. Da ist ihm schon Originelleres eingefallen.
Aurora, das eigentliche Hauptwerk des Abends, deutet die Choreografin Roser Lòpez Espinosa als Vision einer Gruppe junger Menschen, die am Morgen erwachen und zueinander finden wollen. Ein ganzes Kaleidoskop menschlicher Beziehungs-Chiffren werden bemüht: Die Suche nach Zusammenhalt und Geborgenheit, aber auch der Hang nach individueller Profilierung und Machtstreben inklusive aggressiver Ausbrüche. Die werden jedoch schnell durch den sehr optimistisch zur Schau gestellten, ein wenig naiv überhöhten Drang nach ungetrübter Harmonie pulverisiert. Das Ensemble ist stets allgegenwärtig, Solo-Passagen werden vom gesamten Team getragen und aufgefangen. Angesichts der Vorliebe der Choreografin für akrobatisch kraftvolle Köpersprachen ist das auch nötig, wenn die Tänzerinnen wie in einer Cheerleader-Show durch die Luft geworfen werden.
Angesichts der nahezu durchgängig sprudelnden Vitalität, die von der jungen Compagnie virtuos umgesetzt wird, stechen Momente introvertierter Ruhe umso nachhaltiger hervor. Die vielfältigen Stimmungen unterstreicht Mark Drillich mit seiner rhythmus-betonten Musik treffsicher. Das Stück endet in einem harmonischen Tableaux inniger Verbundenheit. Ein Zeichen für die positive Kraft der Aurora. Dass man sich angesichts der hell leuchtenden Hoffnungsschimmer mit grauen Kostümen im Schlabber-Look begnügt, wirkt dagegen eher ernüchternd. Das mögen die jungen Tänzer möglicherweise anders sehen. Denn der gesamte Abend, und darin liegt eine seiner Stärken, versprüht die Aufbruchstimmung einer jungen, von Hoffnung erfüllten Generation.
Begeisterter Beifall für einen in seiner Art diskussionswürdigen Tanzabend.
Pedro Obiera