Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen
LEONKORO QUARTET
(Diverse Komponisten)
Besuch am
3. und 4. September 2025
(Einmalige Aufführungen)
Ein kleines, aber ganz besonderes Festival veranstaltet die Stadt Füssen jedes Jahr im Spätsommer im ehemaligen Kloster St. Mang mitten in der schönen Stadt am Fuße der Königsschlösser Ludwigs II. Die Abteilung Kultur der Stadt als Veranstalter und die vielen Hände des Vereins Festival Vielsaitig ermöglichen eine ganze Reihe von hochkarätigen Veranstaltungen, die in erster Linie Liebhaber von Streichinstrumenten ansprechen. Zusätzlich findet im Refektorium der Treffpunkt Geigenbau statt, bei dem Geigenbauer ihre Instrumente ausstellen und unter dem Motto „Hör mal, was drinsteckt …!“ Vorträge gehalten werden. Das ehemalige Benediktinerkloster dient heute als Museum zur Geschichte der Stadt Füssen und stellt kostbare historische Instrumente und deren Fertigung in der einstigen Metropole des Lauten- und Geigenbaus aus. Besonders zu bemerken sind noch die verbliebenen Totentanzfresken der Annakapelle, die ältesten in ganz Bayern. Betritt man den mächtigen Innenhof des alten Gebäudes, hat man das Glück, von den umtriebigen und netten Damen des Vereins Festival Vielsaitig bei der Eröffnung bewirtet zu werden. Im unglaublich prächtigen, 1723 fertiggestellten, barocken Kaisersaal finden die Konzerte des Festivals statt. Er fasst nur 127 Zuhörer und ermöglicht den Zuhörern von jedem Platz auf das Geschehen auf der Bühne ohne Schwierigkeiten visuell und akustisch voll zu erfassen. Julian Steckel, Festivalleiter und renommierter Cellist der jüngeren Generation, hat einen bunten Reigen an Konzerten zusammengestellt, vom klassischen Streichquartett bis zu Hardangerfidel und Tango.
Das Leonkoro Quartet, ein Streichquartett der absoluten Extraklasse, eröffnet mit ambitionierten Programmen an zwei Abenden. Die vier Musiker spielen erst seit 2019 zusammen, sind zwischen 26 und 29 Jahren alt und entfachen im vollbesetzten Saal ein wahrhaftes Feuerwerk, das an Intensität kaum zu überbieten ist. Das Quartett ist mit zahlreichen internationalen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet und befindet sich schon mehr als am Anfang einer Weltkarriere.
Leonkoro bedeutet auf Esperanto „Löwenherz“ und ist programmatisch gewählt. Die Geschichte von Astrid Lindgren geht um die unbedingte Liebe zweier Brüder über den Tod hinaus. Ein Buch, das dem schmerzlichen Prozess des Sterbens eine herzlich-warme Portion Trost entgegenstellt – ein Zusammenhang, dem sich auch an vielen Stellen das Repertoire des Streichquartetts widmet, wie das Programmheftchen mitteilt. Der Name ist durchaus sprechend, denn wie sich die beiden Brüder Jonathan Schwarz an der ersten Violine und Lukas Schwarz am Cello verständigen, ist phänomenal, eine Verbindung nicht nur über Blicke, scheinbar kontaktlos im Äußeren. Aber auch die beiden anderen Mitglieder im Quartett geben sich hinein in die unglaubliche Kraft. Mayu Konoe an der Viola verzaubert mit samtigen, satten Tönen. An der zweiten Geige findet man an den beiden Abenden Loïc Rio, Geiger des Quatuor Modigliani, da das Ensemblemitglied Amelie Wallner aus gesundheitlichen Gründen entschuldigt wird. Rio ist ganz knapp eingesprungen, und so trifft man das Quartett vor Beginn des Konzertes noch intensiv übend auf der Bühne an. Hier noch eine Feinheit, dort eine Absprache. Primgeiger Jonathan Schwarz wirkt etwas nervös, weil so wenig Zeit bleibt. Aber dennoch ist er guter Dinge, so einen Ersatz zu finden, der das Repertoire auf so hohem Niveau kennt, ist ein Glücksfall, sagt er im kurzen Gespräch. Das Quatuor Modigliani seinerseits ist bereits seit seiner Gründung 2003 in der Welt unterwegs und hat zahlreiche Alben veröffentlicht, die in der Kritik bestes Echo finden.

Foto © Jutta Schwegler
Die vier jungen Künstler werfen sich mit dem ersten Ton der Fünf Stücke für Streichquartett von Erwin Schulhoff von 1923 hinein in ein Musizieren ohne den geringsten Kompromiss. Schulhoff kommt dem Quartett mit seinem Suchen nach unbedingtem Ausdruck entgegen. Der Komponist schreibt selbst: „Ich habe eine außerordentliche Leidenschaft für modische Tänze, und es gibt Zeiten, da gehe ich Nacht für Nacht tanzen allein aus Begeisterung für den Rhythmus und aus unbewußter Sinnlichkeit … das gibt meiner Arbeit einen phänomenalen Impuls“. Das Programmheft schreibt weiter zu den Stücken: „Erinnerungen an einen Wiener Walzer, aus dem kurz die Fledermaus herausschaut; eine schräge, vom klampfenden Cello getragene Serenade, gezackte Umrisse eines Furiant, eine Milonga mit Schlagseite; und eine Tarantella, in der sich die Springbögen der Streicher zum Saltarello versammeln – alles immer nur ‚in der Art von‘, mehr Schein als Sein und so zeitgeistreich, als wäre alles nagelneu“. Schulhoff, einer der glänzendsten Musikerpersönlichkeiten zwischen den beiden Weltkriegen, wurde es zum Verhängnis, dass er die sowjetische Staatsbürgerschaft erlangte und als Jude, Kommunist und Schöpfer der sogenannten „entarteten Musik“ – Schulhoff war Anhänger des Dadaismus – durfte er ab 1933 in Deutschland und ab 1933 in der Heimat Tschechoslowakei nicht mehr auftreten. 1942 starb er im Internierungslager Wülzburg, wo er als sowjetischer Staatsbürger interniert worden war.
An zweiter Stelle im Programm gibt es wegen der Umbesetzung eine Änderung, Maurice Ravels Streichquartett F-Dur von 1902/03 spielen die vier sehr delikat, effektvoll, aber nicht effektheischend und teils mit großem Schmelz. Rio in der zweiten Geige passt sich sehr gut an, auch der Klang seiner Guadagnini vermählt sich mit dem Instrument desselben Geigenbauers von Primgeiger Jonathan Schwarz. Wie aus dem Nichts entstehen die Klänge bei dem Quartett, tiefste Musikalität trifft auf höchste Kunstfertigkeit. Der vielbesprochene „Ennui“ bei Ravel darf hier wirklich nur das Warten, das Dehnen der Zeit bedeuten, keinesfalls Langeweile. Im dritten Satz zelebrieren die beiden Geiger die hohen zirpenden Stellen mit Dämpfer wie den Gesang von Vögeln über dem tiefen Abgrund, erzählen Ungeheuerliches. Immer wieder lassen sie verhaltene Bilder entstehen, um dann mit vollem Drang erneut vorwärtszustreben.
Das Quartett ist in den letzten drei Jahren schon reifer geworden, hat von seiner jugendlichen Frische aber nichts verloren. Im folgenden Streichsextett Es-Dur nach KV 364 gesellen sich Julian Steckel als zweiter Cellist und Takehiro Konoe, Zwillingsbruder der wunderbaren Bratscherin Mayu Konoe, als zweiter Bratscher hinzu. Das Werk wurde von einem unbekannten Arrangeur nach der Sinfonia Concertante Es-Dur für Sextett bearbeitet. Beide Solostimmen sind hier auf alle Instrumente verteilt, alle befinden sich in einem ständigen Dialog miteinander. Am ehesten fällt einem hier das Spiel von Lukas Schwarz auf, der wie auf dem Sprung an seinem Cello sitzt und sich gänzlich dem intensiven Ausdruck widmet. Steckel fügt sich mit großem Spaß und intensiver Spielfreude in den Kreis der fantastischen Musiker ein. Konoe bereichert mit expressivem Spiel die Bratsche. Und ehrlich, im Presto wirken sie manchmal wie Kinder, die sich mit Blicken zum Spiel verabreden und dann loslegen. Mozart hätte mit Sicherheit seine Freude dran gehabt.
Das Publikum dankt mit großem Applaus, eine Zugabe freilich gibt es an diesem Abend wohl wegen der Umbesetzung nicht.

Foto © Jutta Schwegler
Im zweiten Konzert steht Ludwig van Beethovens Streichquartett c-Moll, op. 18 Nr. 4 als erstes auf dem Programm des Abends, das allein von den Leonkoros bestritten wird. Von Spannung getragene Sforzati wechseln mit sehr lieblichen Stellen. Mit kernigem, fließendem Ton treibt Jonathan Schwarz das Allegro ma non tanto voran, mit einem Glockenschlag wird es beendet, gerade so, dass das Team von BR-KLASSIK, das den Abend aufnimmt, ihn sicherlich noch gut wegschneiden kann. Das Scherzo gerät maßvoll heiter, nie süßlich, das Menuetto – Trio drängend, und das letzte Allegro wird den vieren völlig verhagelt, ein Gewitter entlädt sich über der Stadt. Jonathan Schwarz am Cello gibt starke Impulse, die weich aufgefangen werden. Überhaupt: Alles greift weich und so ineinander, dass man denkt, es würde nur einer spielen. Großes Lob an Rio, der sich nahtlos einfügt.
Dmitrij Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8, c-Moll, op. 110 von 1960 steht nun auf dem Programm, komponiert unter dem Einfluss der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg. Mit dem aus den Initialen des Komponisten bestehenden Anfangsthema d-s-c-h setzt das Cello weich und klangvoll ein, ein dunkler, unheilvoller Beginn. Fahle Haltetöne in der ersten Geige weisen auf weiteres Unheil hin. Kurz danach bläst der Forte-Teil die Zuhörer fast von den Stühlen, wie losgelassene Drachen werfen sich die vier auf die Zuhörer. Bis fast ins Unerträgliche reizen sie es aus, voller Unerbittlichkeit und Verzweiflung. Später wird tiefe Trauer in der ersten Geige mit harten, kurzen Schlägen der anderen kommentiert. Und dann die fahle Melodie, herb-süß und sehnsuchtsvoll, bis sich bittersüß die Melodie in der Geige in Dur wandelt, dennoch: so traurig.
Franz Schuberts Streichquartett Nr. 14 d-Moll, op. post., D 810, passt hier dazu, auf eine ganz andere Art natürlich. Man hat den Eindruck, dass dem Ensemble das Problematische gut liegt, sie überbieten in dem berühmten Der Tod und das Mädchen genannten Quartett von 1824/26 die Heftigkeit des vorherigen Vortrags nochmals. Nach dem gleichnamigen Lied von Schubert komponiert und immer wieder die Themen daraus aufnehmend, entstehen herzzerreißende Momente. Dazu erhellen Blitze wieder die alten Scheiben und der Donner rollt über dem alten Kloster.
Als der vierte Satz in feinabgestimmter Dynamik vorbei ist, herrscht atemlose Stille im Raum, bevor die Zuschauer begeisterten Applaus spenden. Rio tritt vor und dankt den Leonkoros, dass er dabei sein durfte, bei dem Erlebnis mit „nicht nur einem sehr jungen, sondern einem der besten Quartette der Welt“.
Am 11. September um 18 Uhr auf BR-KLASSIK in der „Festspielzeit“ wird das Konzert übertragen, mit kleinen Ausbesserungen, die wegen der heftigen Donnerschläge und dem Prasseln des Hagels auf die alten Butzenscheiben des Kaisersaales nachgespielt wurden.
Das Festival geht noch bis zum 10. September weiter und lohnt auf jeden Fall einen Besuch.
Jutta Schwegler