O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jutta Schwegler

Aktuelle Aufführungen

Heiße Rhythmen und begeisterte Cellisten

CUARTETO SOLTANGO UND MEISTERSCHÜLERKONZERT CELLO
(Diverse Komponisten)

Besuch am
6. September 2025
(Einmalige Aufführungen)

 

Festival Vielsaitig, Füssen

Die Formation Soltango bringt die Zuschauer im Füssener Kaisersaal beim Festival Vielsaitig zum Schwitzen. Ein Quartett spielt auf, wie man es selten erlebt: eine Geige, ein Klavier, ein Cello, soweit, so gut, als viertes aber ein Bandoneon. Dieses Handzuginstrument aus der Gruppe der Harmonikainstrumente wurde von Heinrich Band um 1846 erfunden. War es in Deutschland zuerst in der Arbeiterbewegung zum Volksliedspiel beliebt, wanderte es zu Beginn des 20. Jahrhundert über den großen Teich und etablierte sich in den Orquestra Tipica in Südamerika. Wie der norwegische Bandoneonspieler Andreas Rokseth erklärt, wurde sein Instrument auch auf den Schiffsreisen bei Gottesdiensten als Ersatz für eine Orgel verwendet, woran ein Bachchoral als Programmpunkt an diesem Abend erinnern soll. Die mittlerweile große Beliebtheit des Bandoneons ist aber dem Tango zu verdanken.

Die „goldene Ära“ des argentinischen Tangos währte etwa von 1930 bis 1950. Allein in Buenos Aires gab es damals über 100 Tangoorchester, die die Säle mit ihrem intensiven Klang füllten, wie Martin Klett, Leiter des Cuarteto SolTango anfangs den Zuhörern erklärt. Auch die anderen Mitglieder des Quartetts melden sich während des Konzertes mit kleinen Beiträgen zur Musik. Die Gruppe hat sich den verschiedenen Stilen verschrieben, so werden an diesem Abend Tangos, Milongas, und Vals gespielt.

Schon gleich beim ersten Stück – zarte, flüsternde Passagen wechseln mit sattem, vollem Klang – laden die Schwingstühle des Kaisersaals zum Wippen ein. Später liest Rokseth ein trauriges Gedicht, es folgt ein elegisches, emotionsgeladenes Stück mit sehr klassisch gespielter Geige. Große, flächige Klänge mit ruhig laufendem Fundament im Klavier leiten hin zum Bachchoral, den Rokseth mit Andacht zelebriert.

Foto © Jutta Schwegler

Ganz anders kommt die Musik von Osvaldo Pugliese daher, bei seinem Tango Argentino geht es drunter und drüber, ein Stück, das nicht zum Tanz, sondern für den Konzertsaal komponiert ist. Die Musiker haben dabei großen Spaß. Thomas Reif an der Violine spielt normalerweise als Konzertmeister im Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks und hat sichtlich Freude an dem so anderen Genre. Ihm und den anderen Musikern merkt man die Schulung an der Klassik an, mit großer Kunstfertigkeit spielen sie alle ihr Instrument. Mit viel Witz und Humor geleiten die vier die Zuhörer in die Pause.

Ein Werk von Horacio Salgán steht danach auf dem Plan, Klett am Klavier gibt die Impulse, Karel Bredenhorst am Cello und die anderen folgen ihm in großer Übereinstimmung. Mal witzig, mal traurig sind die Stücke, aber immer schmissig und einnehmend. Dazwischen geben sie den Zuhörern die Möglichkeit, etwas zu entspannen, bei einem intensiv musizierten Klavier- und Celloduo, dem sich Geige und Bandoneon dann als Perkussionsinstrumente dazugesellen – herrlich. Alle Stücke des Abends sind von Martin Klett arrangiert und werden mit viel Spaß, virtuos und äußerst schwungvoll dargebracht.

Dem begeisterten Publikum geben die Musiker noch zwei Milongas als Zugaben, bevor sie den Saal für die Studenten des Meisterkurses Cello am nächsten Tag räumen, die bisher nur eifrige Zuhörer bei den Konzerten waren.

Akito Marschik – Foto © Jutta Schwegler

Der künstlerische Leiter des Festivals Vielsaitig, Cellist Julian Steckel, kann schon auf eine bemerkenswerte Karriere zurückblicken, mit dem Gewinn des ARD-Musikwettbewerbs 2010 ging die internationale Karriere los, seitdem ist Steckel in der Welt zuhause. Seit 2011 hat er eine Professur inne, zuerst in Rostock, jetzt an der Hochschule für Musik und Theater in München. Hier beim Festival gibt er sein Können an die nachkommende Generation weiter, im Meisterkurs arbeitet er mit Musikstudenten und Musikschülern, die ein professionelles Studium anstreben, an ihrer Technik, Interpretation und dem musikalischen Können. Sechs junge Musiker sind in den Kurs aufgenommen worden und genießen Julian Steckels intensive Art zu unterrichten im Colloquiums-Saal des ehemaligen Klosters St. Mang mitten in der Stadt Füssen. Von den Fenstern aus hat man einen wunderbaren Blick auf den vorbeifließenden Lech. Aber darum geht es hier nicht. Hier drinnen herrscht höchste Konzentration auf den Ton. Und nicht nur irgendwie, nein, auf die Millisekunde beim Ansatz und bei der Entwicklung des Tones kommt es an. Steckel lehrt voller Energie, kaum hält es ihn auf dem Stuhl, er rauft die Haare, steht auf, nimmt auch schon mal sein Cello im Gehen hoch und spielt darauf etwas vor. Dabei ist er streng, moniert dezidiert Kleinigkeiten, gibt sich selten zufrieden. Dabei aber bleibt er freundlich und witzig, zitiert seinen Lehrer Heinrich Schiff: „Du musst hier klingen wie ein kleines blasses Mädchen mit Herzfehler, nicht gesund und pausbäckig“. So viel zu Schubert.

Beim nächsten Schüler liegt Tchaikovsky auf dem Pult. Der junge Mann spielt zupackend, mit großem Ton und großer innerer Beteiligung. Steckel greift sehr geschickt, mit klaren Bildern ins Geschehen ein und gibt dem Ganzen eine bessere Façon. Musik als Begegnung: „Darf ich Sie hereinbitten“ als Motto vor einer Phrase anstatt der Ansage „ritardando und piano“. Bewegt sich Steckel, nimmt man wahr, mit welch innerer Energie er das tut. Gleich einem Balletttänzer hebt er die Arme und natürlich den Bogen. Ein bisschen überträgt sich das auch auf den Schüler, sein Spiel wird weicher, seine Intention deutlicher.

Oscar Hollmer – Foto © Jutta Schwegler

Beim Kurs begleitet Chifuyu Yada, die seit 2008 als Dozentin an der Hochschule für Musik und Theater in München lehrt. Unglaublich, wie sie ohne jede Ansage sofort in den Notentext springt, wie sie blitzschnell Stimmungen erfasst und die Schüler in jeder Situation unterstützt – eine großartige Arbeit.

Das Konzert der Meisterschüler, die übrigens bei privaten Gastgebern in Füssen wohnen dürfen, lockt nochmals viele Besucher in den Kaisersaal. Als erster kommt der 17-jährige Maximilian Kolloros  aus Villach auf die Bühne. Er studiert bei Igor Mitrovic an der privaten Gustav-Mahler-Universität in Klagenfurt. Er spielt das Allegro aus dem Cellokonzert in e-Moll op. 85 von Edward Elgar sehr leidenschaftlich, entschlossen, mit großer Fingerfertigkeit und viel Ausdruck an den langsamen und elegischen Stellen. Akito Marschik ist 20 Jahre alt und studiert an der Hochschule in München bei Wen-Sinn Yang. Er bringt das Allegro moderato von Joseph Haydn aus dem Cellokonzert Nr. 2 in D-Dur Hob. VII:2 mit, ein Stück, das bei fast jedem Orchestervorspiel verlangt wird, sagt Steckel. Marschik wirkt schon in gewissem Maß reif, sicher und freut sich augenscheinlich sehr an den wunderbar warmen Tönen, die da aus seinem Cello kommen. Oscar Hollmer aus Köln, erst 15, lernt schon bei Wolfgang Emmanuel Schmidt an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und zeigt beim Vorspiel im Saal, was er im Kurs gelernt hat. Peter Tchaikovskys Variationen op.33 in A-Dur stehen auf dem Programm. Bei großer Virtuosität und mit vollem Einsatz gibt er sich hinein in das Stück und vermittelt seine ganz besondere Interpretation. Aleksander Simic studiert in Wien bei István Várdai an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Er hat das Allegro Vivace aus der Sonate für Klavier und Cello Nr. 2 Op. 99 von Johannes Brahms mitgebracht. Man hat den Eindruck, dass er sie ganz besonders romantisch, fast schon wienerisch spielt, mit großem Schmelz im langsamen Teil. Am Ende des Abends spielt Lennard Voigt das Pezzo capriccioso in h-Moll, Op. 6 von Tchaikovsky, sehr gefühlvoll, sehr elegisch, die Töne sehr schön abgefangen, locker ausschwingend. Der 15-Jährige wird in Berlin von Ildikó Szabó an der Hochschule der Künste unterrichtet. Seine Finger schnellen leicht und locker, mit großer Fingerfertigkeit über die Saiten, dabei lotet er die Tiefen der Melancholie Tchaikovskys aus. Ein Teilnehmer des Kurses musste sehr zu seinem Bedauern schon vorzeitig abreisen.

Vielleicht fehlt dem einen oder anderen noch ein Quäntchen Innerlichkeit, müssen innere Bilder entwickelt und technisch nachgebessert werden. Sicherlich ist auf dem steinigen Weg bis zur Konzertreife noch einiges zu lernen. Aber allen ist eines gemeinsam, sie brennen alle für ihr Instrument. Dass ein solcher Abend sehr wichtig ist, sieht man allein schon daran, dass alle Teilnehmer nach der ersten Verbeugung gleich hinter der Bühne verschwinden wollen, so groß ist die Aufregung. Pianistin Yada, die auch am Abend hinreißend begleitet, muss wirklich jeden an der Tür erinnern, sich vor dem kräftigen Applaus nochmals zu verbeugen. Und am Ende stehen sie alle mit Steckel glücklich gemeinsam auf der Bühne und werden herzlich gefeiert.

Bis zum 10. September ist noch Gelegenheit, Interessantes zu entdecken.

Jutta Schwegler